Photo by Stephanie Davison on Unsplash

Was sind Commons? Ein Überblick

Um die Beschäftigung mit Commons auf diesem Blog einzuleiten, soll dieser Beitrag einen Überblick verschaffen und dabei das enorme Potenzial der Commons(-Forschung) aufzeigen.

Die Commons-Forschung kann uns analytisch helfen, die Welt besser zu verstehen. Sie hilft uns dabei unterschiedlichste Herausforderungen zu erfassen und diesen zu begegnen. Zu diesen Herausforderungen gehört die kollektive Übernutzung und Verschmutzung von Gütern bzw. Ressourcen, die etwa zur Klimakatastrophe führen oder auch zu leeren Regalen bei der Toilettenpapierabteilung. Auch die Unternutzung von Gütern, etwa von Patenten und die daraus resultierende Blockade von Forschung an Medikamenten können mithilfe der Commons-Forschung verstanden und angegangen werden.

Gleichzeitig können Commons praktisch gelebt werden und dabei tiefgreifende, sozial-transformative Wirkung entfalten. Beispiele dafür sind etwa ein genossenschaftlicher nachbarschaftsgeführter Supermarkt, der Anwohner:innen Zugang zu günstigen, lokalen Lebensmitteln verschafft und den Stadtteil lebendig zusammenbringt. Commons können auch Projekte sein, die Wohnraum dem spekulativen Markt entziehen und in die Hände der Bewohner:innenschaft geben, sodass diese ihn gemeinschaftlich und selbstverwaltet für künftige Generationen erhalten. 

Was sind also Commons und was ist unter dem Forschungsfeld der Commons zu verstehen? Auf deutsch wird der Begriff Commons oft mit den Wörtern „Allmende“ oder „Gemeingut“ übersetzt. Vereinfacht ausgedrückt, beschreibt der Begriff „Commons“ eine Praxis bzw. einen Zustand, bei dem mehrere Personen gemeinschaftlich ein gemeinsam genutztes Gut bewirtschaften. Dabei hat das Commons drei Bestandteile: mehrere Personen (Commoner:innen), das Gut (Common) und die Praxis der gemeinsamen Bewirtschaftung (Commoning). Was genau den „Commons-Charakter“ der gemeinsamen Bewirtschaftung ausmacht, ist jedoch umstritten. Dieser Streit ist Ausdruck einer geteilten Forschungslandschaft, bei dem zwei (nicht trennscharf abgrenzbare) Strömungen Commons unterschiedlich beforschen und sich für Commons engagieren. Diese beiden Strömungen können als die „institutionalistische“ Strömung und die „alternative“ Strömung der Commons-Forschung beschrieben werden. Beide Strömungen sind jedoch wesentlich von dem Diskurs geprägt, der um das Modell der „Tragödie der Commons“ kreist. Daher soll dieses Modell hier kurz dargestellt werden.

Noah Neitzel

Noah forscht zurzeit an der Stanford University dazu, wie Wohnraum als Commons konzipiert werden kann. Vor seiner laufenden Promotion an der Freien Universität in Berlin hat er an der Bucerius Law School in Hamburg und an der Sciences Po in Paris Jura und Grundlagen des Rechts studiert.

Das Modell der Tragödie der Commons

Dieses auf den Biologen Garret Hardin zurückgehende Modell besagt, dass Commons zwangsläufig zum Scheitern verurteilt sind. Es sei unausweichlich, dass Commoner:innen das Common durch Überbenutzung zerstören würden. Diese Aussage verdeutlichte Hardin anhand eines seither viel zitierten Beispiels einer Schafsweide: Auf einer gemeinsamen Weide des Dorfes lassen alle Bewohner:innen ihre Schafe grasen. Obwohl alle wissen, dass die Wiese langfristig nur mit einer Begrenzung der Schafe erhalten werden kann, wollen alle so viele ihrer Tiere wie möglich dort grasen lassen. Niemand möchte sich beschränken, wenn andere dann einen Vorteil daraus ziehen, die Weide zu übernutzen. In der Folge beschränkt sich niemand. Alle wollen wenigstens kurzfristig den eigenen Nutzen maximieren und so nimmt die Tragödie der Commons ihren Lauf.

Hinter dieser Tragödie steht unter anderem das Problem, dass Schäfer:innen, die ein zusätzliches Schaf auf die Weide lassen, sofort den vollen Nutzen dieser Handlung erhalten (mehr Nahrung für das eigene Tier). Die Kosten dieser Handlung (Beitrag zur Übernutzung der Weide) werden hingegen langfristig durch alle geschultert. Ähnlich verhält es sich mit dem Nutzen eines Passagierflugs: Wer fliegt, verursacht einen signifikanten CO2-Ausstoß. Der Nutzen des Flugs kommt unmittelbar de:m:r Passagier:in zugute. Die Kosten für das Klima trägt langfristig die Gemeinschaft, denn der Preis für das Ticket berechnet nicht die Kosten ein, die durch den Flug für die Menschheit entstehen. Nutzen wird also internalisiert und Kosten werden externalisiert.

»Es wurde herausgearbeitet, dass das Modell der Tragödie der Commons nicht falsch ist, aber nur unter extrem eng umrissenen Bedingungen die Realität beschreiben kann.«

Eine mögliche Lösung dieses Problems der Übernutzung kann es sein, durch Privatisierung Kosten zu internalisieren. So könnte z. B. die Weide nicht von allen Bewohner:innen gemeinsam genutzt werden, sondern in private Parzellen geteilt werden. Jede:r Schäferin erhält eine Parzelle als dauerhaftes Privateigentum. Dadurch erhält nun jede:r Schäfer:in den vollen Nutzen der Bewirtschaftung der eigenen Parzelle, muss aber auch die vollen Kosten tragen, wenn die Parzelle durch Übernutzung zerstört wird. Alternativ könnte der Staat durch eine Behörde die Nutzung der Weide überwachen. Wer ein Kontingent von Schafen pro Tag überschreitet, muss damit rechnen sanktioniert zu werden. Das wäre der Lösungsweg der staatlichen Regulierung.

Die institutionalistische Commons-Forschung

Die institutionalistische Commons-Forschung hat aufgezeigt, dass Privatisierung oder staatliche Regulierung nicht die einzigen Lösungen für die Tragödie der Commons sind. Elinor Ostrom hat als bekannteste Vertreterin dieser Strömung gemeinsam mit Forscher:innen an der Indiana University unzählige Commons untersucht und dabei herausgefunden, dass keineswegs alle an Übernutzung litten. In vielen Fällen schafften es Commoner:innen sich auf Regeln und Institutionen zu verständigen, die eine Übernutzung verhinderten und die Herstellung und Instandhaltung des Common sicherten. Dabei ermittelte das Team um Ostrom strukturelle Gemeinsamkeiten bei erfolgreichen Commons. Diese lagen nicht in konkreten Regelungen (z. B. „nur fünf Schafe pro Kopf, pro Tag“), sondern in Institutionen und Strukturmerkmalen.

Elinor Ostrom

Elinor Ostrom wurde 1933 in Los Angeles geboren und starb 2012 in Bloomington. Sie war Mitbegründerin der Bloomington School of Political Economy – eine der wichtigsten Forschungsgruppen für Commons weltweit. Foto: Holger Motzkau / CC BY-SA 3.0

Hieraus leitete Ostrom sieben „Designprinzipien“ ab, welche für das Gelingen von Commons förderlich sind. Diese sieben Designprinzipien sind wie folgt:

1.) Klar definiertes Common und klar definierter Kreis von Commoner:innen.
2.) Regeln des Commonings sind angepasst an örtliche Begebenheiten.
3.) Commoner:innen die von Regeln über das Commoning betroffen sind können diese Regeln beeinflussen.
4.) Regeln und Institutionen des Commonings werden nicht durch staatliche Stellen infrage gestellt bzw. werden durch den Staat anerkannt.
5.) Es gibt ein System, welches die Einhaltung der Regeln des Commonings überwacht. Dies geschieht durch Commoner:innen oder Personen, die gegenüber den Commoner:innen verantwortlich sind.
6.) Es gibt abgestufte Sanktionen für den Bruch der Regeln des Commoning.
7.) Es gibt zügig und kostengünstig verfügbare Foren zur Konfliktlösung.

Über die Designprinzipien hinaus schärfte die Arbeit der institutionellen Commons-Forschung den Blick auf Commons-spezifische Herausforderungen. Es wurde herausgearbeitet, dass das Modell der Tragödie der Commons nicht falsch ist, aber nur unter extrem eng umrissenen Bedingungen die Realität beschreiben kann. So wird in der von Hardin beschriebenen Schafsweide vorausgesetzt, dass die Schäfer:innen nicht miteinander kommunizieren, nicht in der Lage sind verbindliche Vereinbarungen zu treffen und Vorteilen, die in der Zukunft liegen, kaum Gewicht in ihren Entscheidungen zukommen lassen. Diese Prämissen sind aber in vielen Fällen nicht erfüllt. Nur selten können Personen nicht kommunizieren oder Vereinbarungen treffen und nur selten sind ihnen Vorteile in der Zukunft gleichgültig. Wenn nun das Modell der Tragödie der Commons außerhalb dieser Prämissen angewendet wird, kann dies zu deplatzierten Forderungen nach Privatisierung oder staatlicher Kontrolle führen und funktionierende gewachsene Commons zerstören.

Commons sind zudem nicht nur in der Lage zu funktionieren, sondern sie können Vorteile gegenüber Privateigentum oder staatlicher Aufsicht haben. So kann es z. B. sein, dass eine Schafsweide über verschiedene Abschnitte einer Berglandschaft verstreut ist. Diese Abschnitte können je nach Witterung oder Jahreszeit unvorhersehbar fruchtbar und nutzbar sein oder auch nicht. Wenn nun eine Dorfgemeinschaft die Gesamtfläche gemeinschaftlich nutzt, können alle ihre Schafe auf die jeweils nutzbare Fläche lassen. Wenn sie dabei sicherstellen, dass keine Übernutzung geschieht, gewinnen dadurch alle eine kontinuierliche und dauerhafte Versorgung mit Futter. Hätte jede:r Schäfer:in nur eine eigene feste Parzelle, müssten sie befürchten, dass über längere Zeiträume hinweg keine Futterversorgung besteht, wenn sie nicht in der Lage sind, durch gegenseitige Vermietung eine Versorgung zu bekommen.

Gegenüber der staatlichen Aufsicht hätte das Commons den Vorteil, dass Commoning einfacher, kostengünstiger und effektiver sein kann als staatlich finanzierte Regelfestlegung und -durchsetzung. Commoner:innen kennen ihr Common und haben situiertes Wissen, sodass sie ihr Commoning darauf anpassen können. Gleichzeitig kann Commoning viel mehr Vorteile bewirken, als solche die finanziell messbar wären. Dazu gleich mehr im folgenden Abschnitt. 

»Elinor Ostrom gewann für ihre Arbeit zu Commons als erste Frau den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Insgesamt leistet die institutionalistische Strömung in vielfältigen Bereichen wertvolle Beiträge zur Lösung dringlicher Herausforderungen.«

Neben den Design-Prinzipien hat die institutionalistische Commons-Forschung wichtige andere Erkenntnisse und Unterscheidungen herausgearbeitet, welche die genaue Erfassung und Beschreibung von Problemen bei Commons ermöglichen. Dazu gehört die Einsicht, dass nicht jedes Common gleichermaßen von Übernutzung betroffen ist, sondern vor allem sog. „Common Pool Resources – CPR“. Das sind Güter, bei denen die Nutzung durch eine Person die Nutzung durch eine andere Person ausschließt (z. B. wie bei Gras auf Weideland – anders z. B. als beim Empfang von Funkwellen). Andererseits ist es bei CPR schwierig die Zahl der Nutzer:innen zu begrenzen (z. B. bei Fischbeständen in internationalen Gewässern – anders als bei einem Hamburger). Die institutionalistische Commons-Forschung beschäftigt sich damit, die Übernutzung bei CPR zu vermeiden und ihre Herstellung und Instandhaltung sicherzustellen. Dabei hat sich das Forschungsfeld mit der Zeit ausgeweitet und gewandelt. Inzwischen werden Fragen der Governance z. B. im Bereich KlimaArtenschutz und Wissenscommons beforscht. Auch die sog. „Tragödie der Anticommons“, d. h. die Unternutzung von Gütern durch zu viele Eigentümer:innen, die sich gegenseitig blockieren wurde als Problem identifiziert und Lösungswege aufgezeigt. Elinor Ostrom gewann für ihre Arbeit zu Commons als erste Frau den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Insgesamt leistet die institutionalistische Strömung in vielfältigen Bereichen wertvolle Beiträge zur Lösung dringlicher Herausforderungen.

Die alternative Commons-Forschung

Die alternative Strömung der Commons-Forschung ist gleichermaßen in der Wissenschaft als auch in sozial-politischem Aktivismus verwurzelt. Für sie sind Commons eine Möglichkeit, der individualistischen kapitalistischen Marktwirtschaft funktionierende Alternativen entgegenzusetzen. Commons sollen Räume schaffen, in denen Menschen nicht als vereinzelte Konkurrent:innen auf einander treffen, sondern gemeinsam Wege finden, ihre (wirtschaftlichen) Bedürfnisse zu befriedigen und Gemeinschaften zusammenzubringen. 

Die Perspektive der alternativen Commons-Forschung ist damit weniger empirisch auf einzelne Commons bzw. CPR ausgerichtet als bei der institutionalistischen Strömung. Stattdessen werden Commons im Kontext ihrer sozial-ökologischen Bedeutung für die Gesamtgesellschaft betrachtet („nitty gritty vs. big picture). 

In der alternativen Commons-Forschung gibt es eine Vielfalt an unterschiedlichen Vorstellungen und Konzeptionen zu Commons. Ein verbreiteter gemeinsamer Nenner ist jedoch die Vorstellung, dass Commons – wenn nicht begrifflich, so aber inhaltlich – dekommodifiziert sein sollen. Der Begriff der Dekommodifizierung kann auf den Ökonomen Polanyi zurückgeführt werden und beschreibt den Umstand, dass eine Sache oder ein Gut nicht zu profitorientierten Zwecken verwertet werden darf. Commons sollen demnach kein Mittel zur Erzeugung von Profiten sein, sondern subsistenzwirtschaftlich der Befriedigung der Bedürfnisse der Commoner:innen (und Gesamtgesellschaft) dienen. Auf Wohnraum bezogen würde dies z.B. bedeuten, dass die Miete höchstens alle Kosten für die Schaffung, Erhaltung und Verwaltung des Wohnraums, sowie die dafür erforderlichen Rücklagen und Kapitalkosten decken darf. Profite im Sinne einer Kapitaldividende sollen durch die Miete nicht erwirtschaftet werden. Die Konturen dieses Grundsatzes sind nicht absolut trennscharf, sodass Abgrenzungsfragen im Einzelfall verbleiben. Dennoch kann festgehalten, dass Commons und ihre Erträge – so die alternative Strömung – keine Ware sein sollen.

Darüber hinaus steht bei der alternativen Commons-Forschung der Grundsatz im Mittelpunkt, dass Commons ein sozialer Prozess sind. Commoning – so die Vorstellung – ist dabei mehr als nur Selbstverwaltung. Helfrich und Bollier sprechen etwa von „Peer-Governance“ – „[…] einem fortdauernden, dialogorientierten Prozess der Koordination und der Selbstorganisation unter Gleichrangigen.“ Deutlich wird, dass Commons nach Vorstellung der alternativen Strömung nicht nur eine dekommodifizierte Form der Befriedigung von Bedürfnissen sein sollen. Sie sollen darüber hinaus eine wertvolle Form des sozialen Miteinanders schaffen und bewahren. 

Fazit

Auch wenn beide Strömungen der Commons-Forschung unterschiedliche Ansätze verfolgen, schließen sie sich nicht gegenseitig aus. Im Gegenteil ergänzen sich beide Perspektiven um wichtige Aspekte und bilden gemeinsam ein bereicherndes Gesamtbild. Dieser Blog soll daher eine Heimat für Beiträge aus der gesamten Bandbreite der Commons-Forschung werden. Dabei wird der Blick nicht nur auf Commons im engeren Sinne gerichtet bleiben, sondern auf verknüpfte Themen schweifen wie z. B. VerantwortungseigentumAnticommons oder Genossenschaften. Es soll also ein Raum für Ideen geschaffen werden, die Wirtschaftsprozesse und Eigentum durch innovative, gemeinschaftliche Organisationsformen sozialer, ökologischer und „lebendiger“ gestalten können.