Wie staatliche Bürokratie Eigentumsparadigmen codiert
Was ist Grundeigentum? Ein Eintrag in einem staatlichen Register, dessen Nutzung durch die technische, rechtliche und organisatorische Architektur der Daten geprägt ist. Diese Wissensinfrastrukturen sind nicht neutral, in ihnen sind Vorstellungen wünschenswerter Zukünfte und legitimer gesellschaftlicher Verhältnisse eincodiert. Im Fall des Grundbuches ist das Ordnungssystem älter als unsere Verfassung. Was heißt das für Grundeigentum angesichts der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts?
An landwirtschaftlichen Böden wird die Verbindung zwischen Klimawandel und den weiteren globalen Sozial- und Umweltkrisen besonders deutlich. Aktuell treiben Tierhaltung, Land- und Forstwirtschaft den Klimawandel nicht nur mit an, sondern zerstören gleichzeitig die Anpassungsfähigkeit der Ökosysteme, z.B. durch Absinken des Grundwasserspiegels aufgrund von hohem Wasserbedarf, Artensterben durch Monokulturen und Pestizideinsatz und Bodendegradation. Böden und Ökosysteme verlieren dadurch ihre Fähigkeit zur CO2-Aufnahme, erodieren, trocknen aus oder sind brandgefährdet. Nicht nur, um die Kettenreaktion geschädigter Ökosysteme zu bedenken und einzudämmen, braucht es eine stärkere integrierte und kohärente Klima- und Biodiversitätsgovernance.
Viele Klimaszenarien und -maßnahmen sind aktuell „bodenlos“ gedacht: Sie basieren auf der Idee, dass Treibhausgase überall kompensiert werden können. Doch die Windräder, Solaranlagen und Energiepflanzen sowie Wälder für Kompensationsmaßnahmen brauchen Fläche. Und diese ist schlecht kompensierbar. Einige Szenarien des Weltklimarats (IPCC) stehen in der Kritik, da die zugrundeliegenden Modelle von einer Flächenkapazität für CO2-Senken ausgehen, die die vorhandenen Flächen weit überschreitet. Bisher wurde auch der Flächenbedarf der angekündigten freiwilligen CO2-Kompensationsmaßnahmen nicht zusammengerechnet, davon abgesehen, dass diese bisweilen sogar von mehreren Akteuren gleichzeitig beansprucht wird. Solange der Flächenbedarf von Kompensationsmaßnahmen nicht analysiert wird, ist zu befürchten, dass wir eine weitere Erde allein für die Klimaneutralitätsversprechen von Konzernen bräuchten.
Mit dem Emissionshandel wurde ein neues Eigentum(sregime) „aus der Luft“ geschaffen. Das Eigentum an Boden dagegen kann nicht neu „geschaffen“ werden und seine Verteilung hat bereits eine lange Geschichte der Eigentums- und Nutzungskonflikte hinter sich. Sowohl Klimawandel als auch Klima- und Biodiversitätspolitik werden diese Konflikte voraussichtlich noch verstärken. In der Landwirtschaft muss Klima- und Biodiversitätsschutz daher auch mit sozialer Gerechtigkeit zusammengedacht werden. Der Zugang zu Land und zur sicheren (Selbst)Versorgung mit Nahrungsmitteln muss besonders für ärmere Gruppen sichergestellt werden, um die Verschärfung von Hunger, Konflikten und Vertreibung als soziale Kettenreaktionen des Klimawandels einzudämmen.
Ich möchte daher nicht wie gewöhnlich die Rolle der Landnutzer*innen und die EU-Agrarpolitik ins Visier nehmen, sondern die Bedeutung von Landeigentum für die sozial-ökologische Transformation hervorheben. Während etwa der Weltklimarat besonders die Bedeutung sicherer Landrechte für eine wirksame Klimagovernance betont, argumentiere ich, dass Eigentumsregime auch transparent und verhandelbar sein müssen.
Felicitas Sommer
Die implizite „Klimagovernance“ des Landeigentums
Mit zunehmenden Umweltkatastrophen und -konflikten wird deutlich, dass auf einem Grundstück viele Gemeingüter miteinander verbunden sind (und interagieren), wie beispielsweise Biodiversität, Stoffkreisläufe, CO2-Senken und (Grund)Wasser. Aktuell kommen weder Regulierung noch Marktinstrumente hinterher, diese überlebenswichtigen Gemeingüter der freien Verfügung der Grundstückseigentümer*innen zu entziehen, um ökologische Tragödien zu verhindern. Gerade zu viel Privateigentum an Land – verstanden als Kern der freien Verfügung – führt so dazu, dass aus jeder neuen Übernutzung eines Gutes auf dieser Fläche eine Kettenreaktion an neuen Zertifikaten und Regulierungen entstehen müsste, um die Privateigentümer (und die Gesellschaft) vor ihrem eigenen Handeln zu schützen.
»Registrieren heißt nicht nur, etwas in ein Verzeichnis aufzunehmen, sondern etwas wahrzunehmen: Register codieren Wertvorstellungen in die Praktiken und Wahrnehmung des Staates hinein.«
Land und Wald oszillieren in der öffentlichen Wahrnehmung zwischen Gemeingut und Privateigentum: Wenn der Wald brennt und vertrocknet, ist er Gemeingut. Wenn es um Förderprogramme und CO2-Zertifikate geht, wird Land- oder Waldeigentum oft als eine „Leistung“ betrachtet, die Eigentümer*innen vergütet bekommen wollen. Gleichzeitig profitieren diese von der Bodenrente ohne eigene Leistung, ohne die unsichtbare Reproduktionsarbeit der Ökosysteme zu schützen. Ganz im Gegenteil schränken die weiter steigenden Pacht- und Bodenpreise die finanziellen Spielräume für eine nachhaltige Landnutzung gerade noch mehr ein – bei gleichbleibender niedriger Grundsteuer A für die Eigentümer*innen.
Inwiefern mit Landeigentum nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten und Verantwortung einhergehen sollten, wird viel zu selten debattiert. Landeigentümer*innen nutzen ihre Verfügungsrechte bisher kaum, um Nachhaltigkeitsanforderungen an die Landnutzung zu binden. Dies hat bereits zu Kritik gegenüber der Verpachtungspraxis von Kirchen und öffentlichen Institutionen geführt, deren Auftrag für das Gemeinwohl auch eine nachhaltige Flächenvergabe beinhalten sollte. Ein Bürgerbündnis hat beispielsweise für die Flächen der Stadt Greifswald erfolgreich eine an sozial-ökologische Kriterien gebundene Flächenverpachtung angestoßen.
Was ist Landeigentum?
Neue Gesetze und Verwaltungsstrategien, wie z.B. die Flächenvergabe durch Kriterien, konkretisieren sich in bürokratischen Strukturen. Wir reden viel über Digitalisierung, aber beschäftigen uns wenig mit der Bedeutung der Informationsinfrastrukturen, die sie transformieren soll. Auch Landeigentum ist nicht der Boden selbst, sondern die bürokratischen Artefakte in einer Datenbank, welche nach bestimmten Mechanismen abgerufen und verändert werden. Sie verlinken normative Vorstellungen und politische Ziele mit konkreten Maßnahmen und Adressaten. Registrieren heißt nicht nur, etwas in ein Verzeichnis aufzunehmen, sondern etwas wahrzunehmen: Register codieren Wertvorstellungen in die Praktiken und Wahrnehmung des Staates hinein.
Trotz des sozial-demokratischen Leitbilds einer „breiten Streuung von Grund und Boden“ für eine freiheitliche Gesellschaftsordnung und des grundgesetzlich verankerten Rechtsbegriffs der „gesunden Agrarstrukturen” haben wir praktisch kein systematisches, empirisches Wissen darüber. Die aktuellen Konflikte um das Land – sei es „Wir haben es Satt”, „Rettet die Bienen” oder aber um Land Grabbing und Höfesterben – zeigen, dass sich auf Basis der bestehenden Repräsentationen des ländlichen Raums keine Lösungen für die sozialen und ökologischen Probleme entwickeln lassen. Deswegen wurden in den letzten zwei Jahren Forschungsprojekte angestoßen, welche Landeigentumsverhältnisse und Marktmacht auf den Bodenmärkten erstmalig in der Bundesrepublik erheben.
Wissens- und Kommunikationsinfrastrukturen werden oft erst sichtbar, wenn sie versagen. Das wurde auch bei der letzten Hochwasserkatastrophe sehr deutlich. Auch die gesteigerte Aufmerksamkeit für Eigentumsverhältnisse zeigt: Agrar- und Bodenmarktpolitik basieren mit Blick auf das Eigentum an Betrieben und Land auf Dateninfrastrukturen, die diese Realität gar nicht wahrnehmen können. Ihre Kategorien und Ordnungssysteme als Grundlage für die Durchführung von Ordnungsmaßnahmen sind nicht auf komplexe Unternehmensverflechtungen und die Erfassung von Vermögenskonzentration ausgelegt.
Zur Zeit könnte selbst mit hohem finanziellen, technischen und organisatorischen Aufwand nur unzureichend bestimmt werden, wie viele Flächen verpachtet oder von Auftragsfirmen bestellt werden, in welche globalen Unternehmensverflechtungen und finanzielle Kontrollbeziehungen Agrarbetriebe eingebettet sind und wer die ultimativen Eigentümer*innen von im Grundbuch eingetragenen Unternehmen oder Gesellschaften sind. Durch die erstmalige Bodeneigentumserhebung des Thünen-Instituts in 59 Gemeinden in Deutschland wissen wir zumindest: Selbst in Westdeutschland gehört der größte Teil der Flächen Nicht-Landwirt*innen, also beispielsweise Körperschaften, Kirchen, Stiftungen, verstreuten Privatpersonen, ehemaligen Landwirten, Erben(gemeinschaften), Adelsfamilien und Investoren.
Aufgrund einer EU-Verordnung wurden dieses Jahr erstmalig auch die Zugehörigkeit von Betrieben zu Unternehmensgruppen in die bundesweite Agrarstrukturerhebung aufgenommen. Davor wurden lediglich landwirtschaftliche Einzelbetriebe gezählt – selbst wenn hunderte davon einem einzigen Konzern gehören. Seit letztem Monat wissen wir daher: Mehr als 1,7 Millionen Hektar von 16 Millionen landwirtschaftlicher Gesamtfläche in Deutschland werden von Unternehmensgruppen mit mehr als 500 Hektar pro Unternehmen bewirtschaftet. Auf einer Fläche von einer Millionen Hektar bewirtschaften Unternehmensgruppen laut Destatis jeweils mehr als 2.000 Hektar. In Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen und Thüringen sind mehr als 30% in Besitz von Unternehmensgruppen. Nach einer Fallstudie des Thünen-Instituts von 2017 lag dabei der Anteil überregionaler Investoren in landwirtschaftlichen Betrieben in Ostdeutschland bei 25%, davon 12% außerlandwirtschaftlich.
Die Obskurität von Landeigentumsstrukturen
Auch wenn man mit den ausgedruckten Statistiken des Statistischen Bundesamtes wohl die Fläche der Bundesrepublik tapezieren könnte, wissen wir also praktisch nichts über die Eigentumsstrukturen von Land. Nicht, weil Daten über Landeigentümer unter Verschluss sind. Es ist die technische, juristische und organisatorische Ausrichtung der staatlichen Datensysteme, in die die Vorstellung von Landeigentum als lokal und familiär eingebettete Fläche im Eigentum natürlicher Personen eingeschrieben sind. In diesem Bild hallt das Versprechen der Aufklärung von Freiheit und Privatsphäre des Individuums wider. Dieses ist älter als unser heutiges Bewusstsein der ökologischen (und sozialen) Probleme und auch als das Grundgesetz, welches Eigentum verpflichtet und im Rahmen der Gesetze gültig macht.
Das Grundbuch wird oft als Spiegel der Grundstücksrechte bezeichnet. Aber es ist vor allem der Spiegel eines „besitzindividualistischen“ Konzeptes von Eigentum – die Idee, welche aus globalem Boden eine isolierbare Sache macht: die Privatsphäre eines einzelnen Individuums. Laut § 12 der Grundbuchordnung ist der Zugang zu Eigentümerinformationen daher beschränkt, weil das Grundbuch sensible persönliche Informationen enthält. Dies wurde im 19. Jahrhundert besonders vom preußischen Adel gefordert. Würde die Regel tatsächlich nur für die natürlichen Personen gelten, die auf ihrem Grundstück leben oder arbeiten, nicht aber für die Konzerne und Anleger, dann müsste man den größten Teil des Grundbuches wahrscheinlich problemlos einsehen können.
»Die Privatsphäre von Vermögen ist in Deutschland weitaus besser geschützt als die einzelner Bürger*innen.«
Während diese rechtliche Hürde für den Zugang zu Eigentümerinformationen an einem einzigen Grundstück überwindbar ist, sind die technisch konfigurierten Einschränkungen für die Erhebung von Vermögensverhältnissen weitaus größer: Denn das Landvermögen einer Person oder eines Unternehmens ist im Ordnungssystem jedes einzelnen Grundbuch eines Bezirkes in isolierte Grundstücke aufgesplittert. Somit sind deren Eigentümer nicht eindeutig identifizierbar und damit zusammenführbar. Auch zum Handelsregister, in dem durchaus persönliche Informationen von Anteilseignern von Unternehmen veröffentlicht sind, gibt es keine Verknüpfung (z.B. durch Identifikatoren). Somit lassen sich die ultimativen Eigentümer eines im Grundbuch eingetragenen Unternehmens nicht eindeutig zuordnen. Während die Bürger-ID kommt, hat der Eigentümer im Grundbuch keine ID. Die Privatsphäre von Vermögen ist also weitaus besser geschützt als die einzelner Bürger*innen.
Auch in der Agrar- und Bodenmarktpolitik steht weiterhin der (familiengeführte) Einzelbetrieb im Fokus. Dies führt häufig nicht zu seinem Schutz, sondern zu Gesetzeslücken für Großkonzerne. Grund- und Betriebseigentum werden in solchen Fällen als ein Wirtschafts- und Lebensraum von Privatpersonen behandelt, selbst wenn das bei einem zunehmenden Teil der Flächen vor allem die Privatsphäre von verstreuten Anlegern und Anteilseignern an Gesellschaften – also eher „Kollektiven des Kapitals” – schützt.
Eigentum ist kein Naturgesetz
Wir nutzen und verstehen in anderen wirtschaftlichen Bereichen komplexe Zahlen, wie das Bruttoinlandsprodukt, Inflation oder den Gini-Koeffizienten. Aber gerade bei der Agrarstrukturerhebung von Destatis – in der es um gut visualisierbare, räumliche Strukturen und Flächengrößen geht – haben sich die Gliederungszahlen in Tabellen erhalten. Deren Größenklassen sind so limitiert, dass Großbetriebe dort verschwinden. So können wir die Konzentration und Verflechtungen von Eigentum buchstäblich nicht „sehen”. Wir zahlen Milliarden an Agrarsubventionen – und alles, was die Steuerzahler*innen über die profitierenden Unternehmensstrukturen und die Bodenverteilung in der Landwirtschaft informiert, sind ein paar Tabellen. Eine wirksame Agrarpolitik, welche unerwünschte Policy-Effekte z.B. der EU-Subventionen nachvollziehen will, braucht ein besseres Verständnis der wirtschaftlichen Strukturen des Agrarsektors.
Der landwirtschaftliche Grundstücksverkehr war bisher ebenfalls vor allem darauf ausgerichtet, dass einzelne Flächen nicht weiter zersplittert und nicht an Nicht-Landwirte verkauft werden. Damit war insgesamt dem Gemeinwohl und dem Artikel 14 des Grundgesetzes gedient, wie das Bundesverfassungsgericht 1967 erneut bestätigte. Gesetzesinitiativen einiger Bundesländer planen nun, auch Vermögenskonzentration und den mittelbaren Verkauf von Land durch die Veräußerung von Unternehmensanteilen an Betrieben (Share Deals) zu regulieren. Dabei muss der Begriff der „gesunden Agrarstruktur” nun konkretisiert und geschärft werden.
»Um den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu begegnen, müssen die Rechte und Pflichten am Boden verhandelbar sein.«
Was ist unerwünschte Marktmacht und Vermögenskonzentration im Sinne des Gemeinwohls? Darauf finden die Gesetzesinitiativen verschiedene Lösungen. Es wird beispielsweise vorgeschlagen, die Flächenkonzentration eines Eigentümers künftig innerhalb eines räumlichen Rasters oder innerhalb einer Region zu messen, eine absolutes maximales Flächeneigentum festzulegen oder aber die 25% der größten Unternehmen nicht mehr weiter wachsen zu lassen. Und erst zuletzt wurde argumentiert, dass auch sozial-ökologische Initiativen im Sinne einer gesunden Agrarstruktur sind und daher ebenfalls ein Vorkaufsrecht haben sollten. In Forschung und Gesetzgebung zeichnen sich also Suchbewegungen ab, die den unbestimmten Rechtsbegriff der „gesunden Agrarstrukturen“ erstmalig an der Frage schärfen, wie sozial und ökologisch nachhaltiges Landeigentum aussehen könnte. Eine neue Perspektive in der Verwaltung schafft wiederum neue Datenbestände, die die empirische Forschung weiterbringt.
Die Praxis, Legitimation und unsere Wahrnehmung von Eigentum sind sozial gestaltet und Gegenstand politischer und gesellschaftlicher Auseinandersetzung. Derzeit wird an vielen Stellen um neue Leitbilder gesunder Agrarstrukturen gerungen, obwohl wir so wenig über die tatsächliche Bodenverteilung wissen. Wir brauchen also zunächst einen Realitätsabgleich. Daher sehe ich eine wichtige politische Aufgabe darin, Dateninfrastrukturen so auszurichten, dass Fragen der Vermögenskonzentration und seiner Auswirkung auf das Gemeinwohl und die freiheitliche demokratische Ordnung empirisch erforschbar werden. Auf EU-Ebene wird derzeit die Einführung eines Vermögensregisters geprüft. Das Vermögen am Boden und seiner Ökosysteme sollte auch in Deutschland transparenter sein. Denn um den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu begegnen, müssen die Rechte und Pflichten am Boden verhandelbar sein.
Dieser Text erschien zuerst auf Markonom.