Philip Manow (Ent-)Demokratisierung der Demokratie (Suhrkamp)

Einseitiges vereinseitigen oder die (Ent-) Demokratisierung der Demokratie

„Warum jetzt?“ – diese Frage beschreibt, in aller Kürze, das Rätsel, das Philipp Manow mit seiner zweiten Untersuchung zum Aufkommen populistischer Parteien zu lösen verspricht.

Fragte »Die Politische Ökonomie des Populismus« nach den „gundlegenden Verteilungs- und Knappheitsfragen“ 1 Manow, Philip (2018): Die Politische Ökonomische des Populismus. Berlin: Suhrkamp. die Aufschluss über die „geografische Varianz“ (S. 11) linker und rechter Populismen geben sollten, so richtet sich das Erkenntnisinteresse des Autors jetzt auf die unerklärte Gleichzeitigkeit des Phänomens Populismus, die an allen Ecken und Enden Demokratiekrisendiagnosen hervortreibt.

Dass der Erfolg des Populismus überhaupt einer „Krise der Demokratie“ zugerechnet werden kann, hält Manow allerdings für eine Selbsttäuschung. Nicht die Demokratie sei gegenwärtig in der Krise, sondern die hergebrachten Repräsentationsverfahren. Um diese These zu bekräftigen, schildert Manow in kurzen Worten die Entwicklung des heutigen Verständnisses von „Demokratie“. Historisch hätte sich dieses in der klassischen europäischen Philosophietradition zumeist negativ behaftete Wort nämlich deshalb durchsetzen können, weil es eine entscheidende Transformation erfuhr. Die „wahre und gute Demokratie“ wurde von einer „reinen“ abgegrenzt, wobei erstere sich durch Vermittlung des souveränen Volkswillens über Repräsentation auszeichnete, letztere durch ungehemmte Pöbelherrschaft (S. 33). Dass eine Nationalversammlung mit gebildeten – und das hieß ja immer auch: gut betuchten – Abgeordneten den Volkswillen repräsentieren sollte, war aus Manows Sicht der Gedanke, der die Vorstellung einer „Volksherrschaft“ für die jeweiligen Eliten akzeptabel machte.

Von den Federalists über D’Argenson, Burke und Kant bis zu Hegel schreitet Manow in einer Tour d’Horizon die ideengeschichtlichen Diskurse ab, die diese Transformation des Demokratiegedankens leisteten. 

Oliver Weber

Oliver arbeitet an der TU Darmstadt an einem Dissertationsprojekt zur Ideengeschichte des frühliberalen Eigentumsbegriffs – und den Aporien, die ihm die aufklärerische Geschichtsphilosophie aufgelastet hat.  Er hat Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Regensburg und Mannheim studiert und veröffentlicht regelmäßig Essays und Artikel in diversen Feuilletons und Zeitschriften, wie der FAZ, der ZEIT, der SZ oder dem Merkur. 2019 hat er ein Buch über die demokratische Problematik politischer Talkshows bei Klett-Cotta veröffentlicht.

Die herbeizitierten Positionen werden allerdings kaum erörtert – sie dienen Manow zu kaum mehr 2 Vgl. hierfür die Darstellung aus dem Einleitungskapitel: „Diese Rekonstruktion soll veranschaulichen, dass Repräsentation zunächst insbesondere Exklusion bedeutete“ (S. 24). Das „zunächst“ reduziert sich im Laufe des Buches jedoch immer mehr auf das „insbesondere“. als zur Veranschaulichung der These einer „Repression by Representation“ (S. 45), also dem Bemühen, den Pöbel, trotz aller Betonungen der Volkssouveränität, aus dem politischen Prozess herauszuhalten. Dieses reduktive Vorgehen zeigt sich beispielsweise an der Abfertigung der Position Kants. Die aus der Friedensschrift herbeizitierte Stelle 3 „Alle Regierungsform nämlich, die nicht repräsentativ ist, ist eigentlich eine Unform“ zitiert Manow (S. 43) aus der Schrift Zum Ewigen Frieden. Das Zitat geht aber noch weiter: „[…] weil der Gesetzgeber in einer und derselben Person zugleich Vollstrecker seines Willens (so wenig, wie das Allgemeine des Obersatzes in einem Vernunftschlusse zugleich die Subsumtion des Besondern unter jenem im Untersatze) sein kann“ (ZeF VIII: 352). interpretiert Manow als Argument für einen „Ausschluss des Pöbels“. Tatsächlich argumentiert Kant dort aber für die Repräsentation des allgemeinen Volkswillens in mindestens zwei streng zu unterscheidenden Gewalten, der gesetzgebenden und der gesetzesvollziehenden. Der Grund hierfür ist nicht einfach nur eine Verschleierung von Eliteninteressen, sondern die Gefährlichkeit einer sich selbst aufhebenden despotischen Demokratie. In einer solchen gibt der Mehrheitswille Gesetze und vollzieht sie zugleich gegenüber der Minderheit. Das heißt aber nichts anderes als dass ein Privatwille sich in das Gewand des allgemeinen Volkswillens hüllt, um den verbleibenden zu unterdrücken – ein Zustand, der aber unmöglich noch Demokratie heißen kann. Der Repräsentationsgedanke soll leisten, dass das Volk sich (auch in Gestalt der Mehrheit) auf sich beziehen kann, ohne diesen Selbstbezug sogleich wieder despotisch auszulöschen, wozu eine Abgeordnetenkammer ein pragmatisches Mittel sein kann. Mag die Repräsentationsargumentation historisch auf einen Ausschluss breiter Bevölkerungskreise herausgelaufen sein, wie Manow argumentiert, Kant (und einige andere Autoren) haben prinzipielle Begründungen für die Notwendigkeit, die Demokratie republikanisch zur Selbstregierung zu befähigen. Dass dies nicht nur eine ideengeschichtliche Spitzfindigkeit ist, sondern eine spätere Schwäche des Buches vorbereitet, zeigt sich, wenn Manow mögliche Lösungsvorschläge diskutiert.

Zunächst ermöglicht die ideengeschichtliche Zuspitzung Manows ihm jedoch eine blickerweiternde Zeitdiagnose: Der aufkommende Populismus offenbart für Manow nämlich „symptomatisch, dass ein etabliertes Repräsentationsregime historisch wird“ (S. 50). Unter dem Titel „Das Ende repräsentativer Politik“ (I.2) weist der Autor gekonnt die Sprengung traditioneller politischer Filterungsstrukturen westlicher Demokratien nach: Die Destrukturierung der Parteien, das die Massenmedien unterlaufende Internet, die Nivellierung sozialer Elitencodes. Dass dies zu Stabilitätsproblemen führt (S. 24), gibt Manow gerne zu. Insbesondere interessieren ihn allerdings jene gegenwärtigen Diskurse, die auf diese Implosion hergebrachter Repräsentationsregime polemisch reagieren. Manow spricht von dem Phänomen der „Demokratiegefährdung durch Demokratiegefährdungsdiskurse“ (S. 124). Weil demokratische Akteure ständig damit beschäftigt seien, andere als undemokratisch zu entlarven, verwandle sich der Konflikt „innerhalb der Demokratie“ in einen „Konflikt über die Demokratie“, der dann demokratisch schlechterdings nicht mehr geführt werden kann, da Demokratie die prinzipielle Anerkennung des Anderen voraussetze (S. 142). Die überall zu hörenden Krisendiagnosen der Demokratie sind nach dem scharfen Urteil des Autors also eigentlich Teil der Krise, die sie beschreiben – sie operieren gegenüber ihren Gegnern mit einer Unterscheidung (demokratisch/undemokratisch), die die Krise zuallererst antreibt. Verbunden mit einem generellen Schwinden der Möglichkeiten demokratischer Politik durch Verrechtlichung und Auslagerung von Entscheidungskompetenzen auf zwischenstaatliche Organisationen wie der Europäischen Union (II. 2) könne dieser Prozess als „Entdemokratisierung der Demokratie“ beschrieben werden.

Manows dialektische Explikation des Problems heutiger Demokratien geht damit weit über die üblichen zeitdiagnostischen Warnungen hinaus. Sie werden darin zugleich aufgehoben und auf ihre Tendenz zur Selbstverstärkung verwiesen.

Wie ist dieser verfahrenen Situation abzuhelfen? Manow regt an, diese „Spielart unernsten Sprechens“ (S. 145) abzulegen. Die Demokratiegefährdungsdiskurse seien ohnehin eine „Betrachtung des politischen Geschehens im Modus retrospektiver Rechthaberei“ (S.147). An dieser Stelle bekommt Manows sonst beeindruckend kühl analysierender Essay eine polemische Note, von der sich der Text bis zum Schluss nicht mehr recht erholen kann. Denn auch wenn die von Manow entwickelte „politischen Theorie des Populismus“ (S.7) auf bemerkenswerte Weise imstande ist, die Dialektik von Demokratisierung und Entdemokratisierung aufzuzeigen, so vermag sie es dennoch nicht, sich außerhalb dieser Spannung zu positionieren. In der rhetorischen Frage ist eine Empfehlung versteckt: „Aber müssten wir nicht gerade mit den Gegnern der Demokratie so reden, als wären sie keine?“ (S.150). Ja, müssten wir, aber wir können es nicht – lautet die einzig sinnvolle Antwort. Denn die vermeintliche Lösung verfällt der Einseitigkeit, die sie den Konkurrenzdiagnosen eben noch vorgeworfen hatte. Dass das Ignorieren der demokratischen Illoyalität populistischer Parteien kein praktikabler Ausweg ist, zeigt Manow in den ersten hundert Seiten des Buches selbst. Wo die repräsentativen Institutionen jene Herstellung der Selbstregierungsfähigkeit nicht mehr leisten können, muss der demokratische Diskurs sie aus Mangel an Alternativen vorerst größeren Teils aus sich selbst generieren und populistische Demokratiegefahren abwehren (S.52). Dass dies für die demokratische Normalkonkurrenzsituation ein gefährliches Unterfangen ist, steht außer Frage. Doch es lässt sich damit nicht einfach aufhören, auch wenn die Leser des Buches die beschriebene Krisendynamik für überzeugend halten mögen.

Hier rächt sich Manows Vernachlässigung der prinzipiellen Argumente der Tradition für die Notwendigkeit der Repräsentation. Die kantische Kritik an der despotischen Demokratie zeigt beispielsweise deutlich, wohin ein unmittelbarer Bezug des Volkswillens auf sich selbst führen kann. Die Beachtung des Arguments hätte helfen können, dem Versuch zu widerstehen, ein dialektisches Problem einseitig aufzulösen. Die die Demokratie in ihrer Selbstregierungsfähigkeit gefährdende „Demokratisierung der Demokratie“ kann nicht einfach durch nüchternes Akzeptieren eingehegt werden, sie harrt bis auf Weiteres einer gelungenen – und das heißt: repräsentativen – Integration.