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EU-Taxonomie: Greenwashing von fossilem Gas und Atomenergie

Die EU-Kommission hat entschieden, fossiles Gas und Atomenergie als nachhaltige Finanzanlagen einzustufen. Das ist ein schlechtes Signal für den European Green Deal, die Anstrengungen zum Klima- und Naturschutz und für den Finanzmarkt.

Die EU-Kommission hat Fakten geschaffen: Nachdem sie am Silvesterabend 2021 ihren Entwurf für fossiles Erdgas und Atomenergie in die EU-Taxonomie versandt und sowohl den Mitgliedsstaaten als auch einer eigens einberufenen Expert*innengruppe wenig Zeit gab, sich zu diesen Vorschlägen zu äußern, hat sie ihren eigenen Entwurf am 2. Februar 2022 verabschiedet. Fossiles Erdgas und Atomenergie sollen ab dem 1. Januar 2023 als nachhaltige Investitionen gelten. Vorausgegangen ist dieser Entscheidung eine monatelange Auseinandersetzung zwischen der EU-Kommission, den Mitgliedsstaaten, Expert*innen, sowie Umwelt- und Lobbyverbänden. Auch Teile der Finanzwirtschaft haben sich im Vorfeld gegen die Pläne der EU-Kommission ausgesprochen.

Mit der Entscheidung der EU-Kommission steht nun ein zentrales Instrument des European Green Deal vor Akzeptanz- und Wirkungsproblemen. Hinzu kommt Unsicherheit für ökonomische Akteure. Einst als Goldstandard für nachhaltige Finanzen gedacht, könnte die EU-Taxonomie nun hinter Branchenstandards zurückfallen. Besonders frappierend: Die „Platform on Sustainable Finance“, ein eigens von der EU-Kommission einberufenes Expert*innengremium, hat den Entwurf entschieden zurückgewiesen. Die EU-Kommission hat die Stellungnahme der Plattform zwar entgegengenommen. Am Ende hat sie sich vom Votum der Expert*innen jedoch nicht von ihrem Plan abbringen lassen. Vielmehr hat sie ihren ursprünglichen Plan gerade bei den Gaskriterien weiter gelockert – eine Forderung, die insbesondere in Berlin erhoben wurde. Am 10. März wurde der Kommissionsvorschlag dem Europäischen Rat und dem Europaparlament übermittelt. Beide Institutionen haben nun bis zu sechs Monate die Möglichkeit diese Pläne zu stoppen.

Dennis Zagermann

Dr. Dennis Zagermann ist Politikwissenschaftler mit Schwerpunkt Europäische Politische Ökonomie. Als Referent für Sustainable Finance des Naturschutzbundes Deutschland e.V. (NABU) arbeitet er auf deutscher und europäischer Ebene daran, Finanzflüsse auf Nachhaltigkeit auszurichten.

Was ist die EU-Taxonomie

Die EU-Taxonomie ist ein zentrales Instrument der europäischen Sustainable Finance-Strategie. Diese soll dazu dienen, die Ziele des European Green Deals zu erreichen. Mit Hilfe von ambitionierten, wissenschaftsbasierten Standards soll sie effektiv Finanzflüsse umleiten . Die Europäische Union will die Klima- und Naturkrise effektiv bekämpfen und bis 2050 die Netto-Treibhausgasemission auf null reduzieren, sowie das Wachstum vom Ressourcenverbrauch entkoppeln. Hierzu wird viel Geld benötigt. Allein zur Erreichung der Klimaschutzziele geht die EU für den Zeitraum 2021 bis 2030 von einem jährlichen europäischen Investitionsbedarf von bis zu 350 Milliarden Euro aus. Die EU-Taxonomie soll daher Transparenz über Nachhaltigkeitswirkungen von Investitionen schaffen, Greenwashing vermeiden und effektiv Finanzflüsse in nachhaltige Finanzanlagen umleiten. Dazu formuliert die EU-Taxonomie sechs Ziele: 1) Klimaschutz, 2) Klimawandelanpassungen, 3) Schutz von Wasser und maritimen Ressourcen, 4) Schutz vor Umweltverschmutzung, 5) den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, sowie 6) den Schutz von Biodiversität und Ökosystemen. Als nachhaltig gelabelte Aktivitäten müssen diese Ziele einen positiven Beitrag leisten und dürfen nicht gleichzeitig in einem anderen Bereich Schaden anrichten. Sie müssen zudem einen Mindestschutz ausüben, der die Einhaltung der Leitprinzipien der UN für Wirtschaft und Menschenrechte und OECD-Leitsätze für internationale Unternehmen sicherstellt. Technische Prüfstandards, anhand derer ermittelt wird ob eine Aktivität als nachhaltig gelten kann, gehen mit einer erweiterten Unternehmensberichterstattung einher. Durch die Taxonomie will die EU-Kommission einen Standard mit Signalwirkung für nachhaltige Investitionen schaffen und über die Europäische Union hinaus wirksam werden. Denn noch immer fließt weltweit viel Kapital in emissionsreiche und riskante Technologien, die Klima und Natur schaden. 

Fehlentscheidung mit Folgen

Durch ein Nachhaltigkeitslabel für fossiles Erdgas und Atomenergie droht die Taxonomie ihre Lenkungswirkung zu verfehlen: Statt privates Kapital effektiv in die Transformation der Wirtschaft umzuleiten, könnten unter dem Nachhaltigkeitslabel neue fossile, riskante Anlagen entstehen. Fossile Lock-In-Effekte wären eine mögliche Folge. Denn Geld, das in neue Atom- oder Gasanlagen investiert wird, fehlt für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Der vielzitierte Übergang könnte dann eine Dauerlösung werden, denn Investor*innen dürften kein Interesse daran haben, neue Anlagen schnell wieder abzuschreiben. Zugleich beinhaltet der Vorschlag der EU-Kommission keine Sanktionsmöglichkeiten bei Nichteinhalten der Standards. Anders als bei den bisherigen Taxonomie-Standards liegt der Nachhaltigkeitseffekt vor allem in der Zukunft. In den im April 2021 zu Klimaschutzzielen verabschiedeten Standards sollten Klimaschutzeffekte unmittelbar mit nachhaltigen Aktivitäten verbunden sein. Bei den nun verabschiedeten Standards zu Erdgas und Atomenergie liegt der Zeitpunkt des Klimaschutzeffekts jedoch in der Zukunft.

„Übergangstechnologien“ mit Lock-In-Gefahren

Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Der Vorschlag der EU-Kommission sieht vor, dass Investitionen in ein neues Gaskraftwerks unter gewissen Einschränkungen als nachhaltige Investitionen gelten werden. Diese Anlage müsste erst ab 2036 vollständig auf emissionsarme Treibstoffe umgestellt werden. Bis 2035 könnte sie mit fossilem Erdgas betrieben werden und dadurch hohe CO2-Emissionen produzieren. Damit dem neuen Gaskraftwerk keine direkten CO2-Grenzwerte im Weg stehen, hat die EU-Kommission einen Budgetansatz formuliert. Durch einen Durchschnittswert über 20 Jahre wird so ermöglicht, zunächst höhere Emissionen zu verursachen und auf eine spätere Umstellung auf emissionsarme Treibstoffe zu setzen. Hinzu kommt, dass die nun beschlossenen Grenzwerte nur auf Emissionen fokussiert, die unmittelbar im Gaskraftwerk entstehen: Vorgaben etwa zur Reduktion von Methanemissionen bei Extraktion und Transport von fossilem Erdgas sind nicht Teil des Kommissionsverschlags. Dabei entstehen hier bis zu 30 Prozent der Klimawirkung des fossilen Erdgases. Die Emissionen im Lebenszyklus der neuen „grünen“ Anlagen dürften bis 2035 also höher ausfallen, als das vorgegebene Budget es vorsieht.

Ab 2036 soll der Übergang zu emissionsfreien Kraftstoffen beim Betrieb von Gasanlagen insbesondere durch die Nutzung von grünem Wasserstoff stattfinden. Dass dieser 2036 jedoch in ausreichendem Maße vorhanden ist und wirtschaftlich in ehemaligen Gasanlagen genutzt werden kann, kann zu diesem Zeitpunkt niemand garantieren. Zwar werden an unterschiedlicher Stelle Wasserstoffstrategien angeschoben, wie etwa durch die Bundesregierung im Dezember 2021. Allerdings ist der Interessent*innenkreis groß und die Produktionskapazitäten bisher niedrig. Dasselbe gilt für Biogas, das durch seine Flächenbedarfe zudem negative Folgeeffekte für die Landnutzung befürchten lässt. Es besteht also die Gefahr, dass heute Anlagen als „grün“ klassifiziert werden, die den „fuel switch“, d.h. den Umstieg auf emissionsfreie Treibstoffe, zum festgelegten Zeitpunkt nicht durchführen können. Dies wäre nicht nur ein Problem aus der Sicht des Natur- und Klimaschutzes. Auch für Verbraucher*innen entstehen hierdurch Fragen.

Oft wird in Diskussionen zur EU-Taxonomie hervorgehoben, dass neue Gaskraftwerke notwendig für die Energiesicherheit in der klimaneutralen Transformation seien. Diese zweifelsohne wichtige Frage kann hier nicht beantwortet werden. Klar ist allerdings, dass fossiles Erdgas höhere CO2-Emissionen produziert, als dies die EU-Taxonomie für viele ähnliche Aktivitäten vorsieht. Zudem befasst sich die EU-Taxonomie nicht mit der Frage der Energiesicherheit. Sie soll transparent darstellen, welche Aktivitäten wissenschaftsbasiert als nachhaltig betrachtet werden können. Werden neue Gaskraftwerke als wichtig für die Energiesicherheit betrachtet, ist die EU-Taxonomie daher der falsche Weg um ihre Finanzierung zu gewährleisten. Hinzu kommt: Die EU-Taxonomie ist keine Ausschlussliste: Investitionen in Aktivitäten, die nicht als nachhaltig gelabelt werden, sind weiterhin möglich.

Eine klare Linie aus Deutschland fehlte im letzten Jahr

In den zurückliegenden Monaten haben sich einige Mitgliedsstaaten, angeführt von Frankreich, für das Greenwashing von Gas und Atomenergie durch die Taxonomie stark gemacht. Begleitet wurde dies von einem hohen Lobbydruck, der auf der EU-Kommission lastete, wie die NGO Reclaim Finance aufzeigte. Was in den zurückliegenden Monaten fehlte, war eine klare Leitlinie aus Deutschland. Zwar hat sich die Bundesregierung im Mai dieses Jahrs in ihrer Sustainable Finance-Strategie dazu verpflichtet, für eine EU-Taxonomie ohne Atomenergie zu arbeiten. Doch eine ambitionierte Position zur Taxonomie und fossilem Erdgas fehlte. Im Gegenteil: Fossiles Erdgas wird auch auf Wunsch der Bundesregierung in die EU-Taxonomie eingebunden werden – im Gegenzug zum französischen Wunsch nach einem Nachhaltigkeitslabel für Atomenergie. So hat die Ampelkoalition in ihrer Stellungnahme zum Kommissionsentwurf zwar ein klares Nein zu einem grünen Label für Atomenergie ausgesprochen. Doch für fossiles Erdgas warb sie für eine Lockerung der Standards. Diesem Wunsch ist die Kommission nachgekommen.

Nach der Bundestagswahl schien die EU-Taxonomie zunächst kaum eine Rolle zu spielen, obwohl das Thema auf europäischer Ebene an Brisanz gewann. 129 NGOs appellierten im November 2021 an Olaf Scholz, sich gegen die Einstufung von Gas und Atomenergie als nachhaltige Finanzanlagen auszusprechen. Vergebens. Lediglich Svenja Schulze hat sich in ihrer früheren Rolle als Umweltministerin vor der Entscheidung der EU-Kommission öffentlich mehrfach gegen ein Nachhaltigkeitslabel für Atomenergie gestellt. Nach dem Bekanntwerden des Kommissionsvorschlags in der Silvesternacht, haben sich auch Wirtschafts- und Energieminister Robert Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke gegen ein Nachhaltigkeitslabel für die Atomenergie ausgesprochen. Doch da waren die Würfel in der EU-Kommission bereits gefallen.

Wie geht es weiter?

In den kommenden Monaten haben zwei Institutionen die Möglichkeit, sich mit dem Kommisionsvorschlag zu befassen: Der Europäische Rat und das Europaparlament. Beide könnten den Vorschlag durch einen Mehrheitsbeschluss kippen. Während dies im Rat nicht zu erwarten ist, spielt das Europaparlament eine wichtige Rolle. Hier besteht zumindest eine Möglichkeit, dass 353 Abgeordnete gegen den Delegierten Rechtsakt stimmen. Auch der Klageweg ist denkbar: die österreichische Regierung hat eine Klage vor dem EuGH bereits angekündigt. Auch Luxemburg prüft eine Klage. Die deutsche Bundesregierung behält sich diesen Weg vor, wirkt aktuell aber noch unentschieden.

Offen bleibt weiterhin, wie die EU-Kommission darüber hinaus mit der Taxonomie weiter verfahren wird. Zwar hat die EU-Kommission bereits Standards für die Klimaziele der Taxonomie verabschiedet. Doch Standards für die Naturschutzziele drei bis sechs (Schutz von maritimen Ressourcen und Wasser, Übergang zu einerKreislaufwirtschaft, Schutz vor Umweltverschmutzung, sowie Erhalt von Ausbau von Biodiversität und Ökosysmten) stehen weiterhin aus. Zudem wurden die Klimaschutzstandards für den Agrarsektor immer wieder verschoben. Angesichts der aktuellen Entwicklung steht zu befürchten, dass auch naturschädliche Wirtschaftsaktivitäten als „grün“ gelabelt werden und das eigentlich sinnvolle Instrument der EU-Taxonomie weiter Glaubwürdigkeit und Wirkung verliert.