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Klimaschutz durch direkte Demokratie – Klimaentscheide in Deutschland

Die Debatte um die Klimaschutzziele wird bislang vor allem auf Bundes- und Landesebene geführt. Aber ohne ein Mitwirken der Kommunen wird Klimaneutralität in Deutschland nicht erreicht werden. Initiativen in ganz Deutschland haben sich daher zur Aufgabe gemacht, mithilfe von Bürgerentscheiden den Klimaschutz auf kommunaler Ebene voranzutreiben. Die Idee: wenn alle Gemeinden Deutschlands klimaneutral werden, kann damit Deutschland insgesamt klimaneutral werden.

Klimaschutz ist längst kein Randthema mehr. Deutschland hat mittlerweile einen Klimaschutzminister und sogar das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass die bisherigen Bemühungen Deutschlands nicht ausreichen, um die Ziele des Paris-Abkommens einzuhalten. Immerhin ist ein Umdenken langsam und zunehmend erkennbar: sowohl in der Politik als auch in der Gesellschaft setzt sich die Erkenntnis durch, das entschlossenes Handeln dem Wunsch der breiten Bevölkerung entspricht und letztlich sogar der klügere und auch kostengünstigere Weg ist und ein Abwarten und Weiter so ungleich höhere Kosten mit sich bringen würde. Oft ist für die betroffene Bevölkerung jedoch wenig greifbar, wie sich die Klimaschutzziele des Bundes oder der Länder konkret auf ihren Alltag auswirken werden. An dieser Stelle setzen die Klimaentscheide an, die seit etwa 2 Jahren vermehrt in deutschen Städten initiiert werden. Sie bringen den Klimaschutz auf kommunale Ebene und damit in das unmittelbare Umfeld der von den Klimaschutzmaßnahmen betroffenen Bürger:innen.

Was ist ein Klimaentscheid?

Klimaentscheide nutzen Bürgerbegehren als Instrument der direkten Demokratie, um auf kommunaler Ebene den Klimaschutz voranzutreiben. Angestrebt wird eine Abstimmung der Gemeindebürger:innen über Klimaschutzziele. Die Forderungen der mittlerweile über 70 Klimaentscheide in Deutschland sind im Detail zwar individuell auf die örtlichen Gegebenheiten abgestimmt. Gemeinsam ist ihnen aber, dass sie Klimaneutralität in der jeweiligen Kommune bis zum Jahr 2030 oder 2035 fordern. Es werden dabei keine Einzelmaßnahmen wie beispielsweise der Bau eines Radweges oder der Einsatz von LEDs in Straßenlaternen zur Abstimmung gestellt. Stattdessen soll der Gemeinderat selbst aktiv werden und einen Maßnahmenplan ausarbeiten, mit dem Klimaneutralität bis zum jeweils geforderten Jahr erreicht werden kann. Somit handelt es sich dabei um ein ordnungspolitisches Instrument.

Veronika Thalhammer

Veronika Thalhammer ist Rechtsanwältin und promoviert an der Universität Bayreuth zum Thema Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen. Ehrenamtlich engagiert sie sich beim „Klimaentscheid Bayreuth“.

Dieses Vorgehen ist ganz bewusst gewählt: Den Städten soll ausdrücklich „nur“ ein ambitioniertes Klimaschutzziel gesetzt werden, die Umsetzung wird aber der Stadtverwaltung bzw. den Entscheidungen des Stadtrates überlassen. Denn gerade bei der Stadtverwaltung liegt die Expertise dazu, welche Maßnahmen die Kommune am kostengünstigsten umsetzen kann und wo am meisten Potential für Treibhausgas-Einsparungen vorhanden ist. Dieses interne Wissen haben die Bürger:innen, die sich für Klimaentscheide engagieren, gerade nicht. Es wäre daher wenig zielführend, in einer kleinen Gruppe von Privatpersonen die Planung teils komplexer Maßnahmen anzugehen. Selbstverständlich heißt dies nicht, dass die ehrenamtlich Aktiven die Städte nicht mit kreativen Ideen zum Klimaschutz unterstützen können.

Welche Vorteile bietet ein Klimaentscheid?

Ein Bürgerentscheid mag auf den ersten Blick wie ein Tropfen auf den heißen Stein wirken. Was bringt es schon, wenn eine einzelne Stadt im Jahr 2030 oder 2035 klimaneutral wird? Sicherlich reicht eine Stadt bei Weitem nicht aus, um den globalen Klimawandel aufzuhalten. Dennoch sollte der Effekt solcher Bürgerentscheide nicht unterschätzt werden. Das Motto der Klimaentscheide, die von der Organisation German Zero unterstützt werden, lautet „Klimaschutz von unten nach oben“. Die Idee dahinter: „Wenn alle Kommunen in Deutschland klimaneutral wären, dann wäre Deutschland klimaneutral“. Zudem kann damit indirekt auch die Bundespolitik beeinflusst werden: Stadträt:innen und Bürgermeister:innen kommen aufgrund der Bürgerentscheide unter Zugzwang und arbeiten kommunale Klimaschutzmaßnahmen aus. Fehlen hierfür – bei den oft klammen kommunalen Kassen – die nötigen Gelder, können sie auf höherer Ebene Druck machen und bei Ländern und Bund auf Förderprogramme für Klimaschutz in Kommunen pochen. Ebenso können sie auf Gesetzesänderungen drängen, die dringend nötig sind für eine klimafreundliche Transformation der Kommunen, beispielsweise im Baurecht.

Doch nicht nur für den Klimaschutz in Deutschland insgesamt ist dieser Druck von unten nach oben ein Mehrwert. Auch für die Kommune selbst bringt ein Klimaentscheid erhebliches Potential mit sich. Denn er macht Klimaschutz für die Gemeindebürger nahbarer. Sicherlich sind bei Weitem nicht alle Bürger:innen glücklich über die Bestrebungen von Klimaentscheiden. Beim Sammeln der Unterschrift auf der Straße bekommen die Aktiven neben enorm viel positivem und motivierendem Zuspruch teils auch erheblichen Gegenwind. Doch selbst darin liegt eine Chance: Selten gibt es Situationen außerhalb der eigenen sozialen Blase, in denen so direkt über Klimaschutz diskutiert wird, wie in solchen Begegnungen zwischen Einwohner:innen und den ehrenamtlichen Klimaschützer:innen, die versuchen, ihre Mitbürger:innen für den Klimaschutz zu begeistern. In solchen Gesprächen wird oft deutlich, dass viele Bürger nicht per se gegen Klimaschutz sind, sondern vor allem Sorgen haben. Sorgen, dass der Alltag durch Klimaschutz immer teurer wird, dass man auf Dinge, die man liebgewonnen hat, verzichten müsse. Oder die Angst, dass Menschen abgehängt werden und von der Bundespolitik allein gelassen werden. Gerade der Klimaschutz auf kommunaler Ebene kann jedoch viele positive Effekte gerade für die Menschen vor Ort haben, etwa ruhigere Innenstädte mit guter Luftqualität oder einen wirklich attraktiven öffentlichen Nahverkehr, der die Bedürfnisse Aller berücksichtigt. Die Gespräche, die sich beim Sammeln der Unterschriften ergeben, bieten die Chance, über eben diese Dinge zu sprechen. Und zwar nicht von oben herab von Politiker:innen zu Bürger:innen, sondern auf Augenhöhe zwischen den Einwohner:innen derselben Stadt. 

»Je früher Kommunen aus eigener Motivation anfangen, die notwendige Transformation einzuleiten, desto mehr haben sie noch die Möglichkeit, aktiv zu gestalten anstatt nur noch zu reagieren.«

Dieser Austausch kann durchaus in beide Richtungen Früchte tragen. Denn auch die Ehrenamtlichen können viel lernen in diesen Gesprächen. Etwa über die negativen Konsequenzen, die Klimaschutz für bestimmte Bevölkerungsgruppen haben kann. Diese sollte man bei der Suche nach den passenden Klimaschutzmaßnahmen nicht aus den Augen verlieren, sondern aus diesem Grund sollte man eine gut durchdachte sozial-ökologische Transformation anstreben. Gleichzeitig können Passant:innen im Gespräch mit motivierten Klimaschützer:innen von den positiven Nebeneffekten des kommunalen Klimaschutzes erfahren. Diese Erkenntnisse auf beiden Seiten können ein gegenseitiges Verständnis fördern.

Und noch ein weiterer Pluspunkt der Klimaentscheide ist zu nennen: Angesichts der dramatischen Situation in Bezug auf den Klimawandel ist ohnehin davon auszugehen, dass auch für Kommunen früher oder später strengere Vorgaben kommen werden, was die Einsparungen von Treibhausgasemissionen angeht. Je früher Kommunen aus eigener Motivation anfangen, die notwendige Transformation einzuleiten, desto mehr haben sie noch die Möglichkeit, aktiv zu gestalten anstatt nur noch zu reagieren. Sie können dadurch negative soziale Folgen und allzu drastische finanzielle Einbußen für die Kommune wirksam vermeiden.

Wie reagieren die Städte auf die Klimaentscheide?

Angesichts dieser Vorteile auch für die Kommunen selbst werden die Klimaentscheide in vielen Städten sowohl von der Bevölkerung als auch dem Stadtrat durchaus positiv gesehen. Häufig verabschiedet der Stadtrat daraufhin selbst ambitionierte Klimaschutzziele, teils sogar bevor die nötige Zahl an Unterschriften für ein Bürgerbegehren gesammelt ist. So hat beispielsweise der Stadtrat in Lüneburg die Forderung des Bürgerbegehrens mit großer Mehrheit angenommen, gleiches ist auch etwa in Münster geschehen.

Manchmal schlägt den ehrenamtlich Engagierten aber auch eine große Portion Skepsis entgegen und auch Gespräche mit Bürgermeister:innen und Stadtratsfraktionen führen nicht immer zu einem Umdenken. Noch immer herrscht oft die Angst, man würde einen Status als attraktiver Wirtschaftsstandort verlieren – anstatt sich darauf zu konzentrieren, die Klimaschutzmaßnahmen so zu gestalten, dass auch die Wirtschaft gut damit zurechtkommt oder gar profitiert. Auch wenn dies bedauerlich ist, bedeutet dies zum Glück nicht, dass das Bürgerbegehren damit zum Scheitern verurteilt wäre. Denn hier greift die Stärke dieses Instruments: Sobald die erforderliche Zahl an Unterschriften gesammelt ist, kann das Bürgerbegehren eingereicht werden. Und damit kann dann die lokale Bevölkerung selbst entscheiden, ob sie für die ambitionierten Klimaschutzziele stimmt.

»Es wäre sehr wünschenswert, wenn Städte Klimaentscheide als Chance begreifen und gemeinsam mit den Aktiven an einem Strang ziehen.«

Natürlich gibt es dabei Hürden zu überwinden. Hier sind zum einen juristische Vorgaben zu beachten. So muss beispielsweise darauf geachtet werden, dass die Formulierung der Forderung so gewählt wird, dass das Bürgerbegehren überhaupt zulässig ist. Präzedenzfälle gibt es bislang nicht. Aber wer weiß, ob es nicht schon bald angesichts der Vielzahl an Klimaentscheiden in Deutschland zu entsprechenden „Klimaklagen“ auf kommunaler Ebene kommt, die hier Klarheit schaffen. 

Zum anderen muss schließlich die Bevölkerung mobilisiert werden, damit die nötige Stimmenzahl bei der Abstimmung über die Forderung zustande kommt. Hierbei dürfte den Klimaentscheiden zugutekommen, dass sie bewusst zu demokratischen Mitteln greifen und einen großen Rückhalt in der Bevölkerung haben. Es wäre sehr wünschenswert, wenn Städte Klimaentscheide als Chance begreifen und gemeinsam mit den Aktiven an einem Strang ziehen. So kann man die Stärken der erfahrenen Lokalpolitiker:innen mit der Motivation und dem Tatendran der Ehrenamtlichen kombinieren und so demokratisch und gemeinsam dem Ziel eines klimaneutralen Deutschlands näherkommen.