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Milliardäre verdoppeln ihr Vermögen – jetzt sollten wir sie besteuern

Während der Coronakrise sind die Superreichen reicher und die Armen ärmer geworden. Es werden deshalb verschiedene Vorschläge zur Besteuerung von Superreichtum diskutiert. In seinem aktuellen Beitrag analysiert Lukas Scholle drei Varianten — mit interessanten Ergebnissen, denn nicht alle Möglichkeiten machen ökonomisch Sinn.

Seit Jahren geht die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander – international wie national. Während der Coronakrise hat sich diese Spaltung verschärft. Aufgrund von Einkommensverlusten wurden Ersparnisse aufgezehrt und Kredite aufgenommen, wohingegen die Aktienmärkte Rekordhöhen erreichten. Im Jahr 2019 war weltweit das Vermögen von 26 Menschen genauso hoch wie das der ärmeren 3,9 Milliarden der Weltbevölkerung zusammengenommen. Und in Deutschland besaßen im Jahr 2021 zwei Familien mehr Vermögen als die unteren 50 Prozent der Deutschen – das sind 41 Millionen Menschen. 

Der Reichtum der Superreichen ist förmlich explodiert. Das Vermögen der zehn reichsten Menschen der Welt ist während der Pandemie um 100 Prozent gestiegen und das Vermögen der zehn reichsten Deutschen ist in derselben Zeit um 78 Prozent angewachsen. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Rendite liegt selbst bei Superreichen über mehrere Jahre hinweg bei unter 10 Prozent.

Solche Vermögen entstehen aus dem Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren, angefangen bei der Aneignung des Mehrwerts Tausender, Zehntausender – oder im Falle von Amazon-Großaktionär Jeff Bezos sogar Hunderttausender – Beschäftigter, millionenschweren Erbschaften, dem Ausnutzen marktbeherrschender Stellungen über die Privilegierung in Steuerfragen bis hin zu großzügigen staatlichen Subventionen. Um diese Vermögen und die damit einhergehende Macht einzuschränken, gibt es viele Möglichkeiten. Besonders effektiv und politisch notwendig ist in diesem Zusammenhang die Besteuerung von derart exzessiven Vermögen, was auch dieser Tage wieder verstärkt diskutiert wird. Während der Coronapandemie wurde eine bereits totgeglaubte Forderung wiederbelebt: die Vermögensabgabe. 

Sie unterscheidet sich von der Vermögenssteuer in der Hinsicht, dass sie ein einziges Mal anfällt und jedenfalls in Deutschland auf eine Krisensituation beschränkt ist – so gab es eine Vermögensabgabe in Deutschland etwa nach dem Zweiten Weltkrieg in Form des sogenannten Lastenausgleichs. Vom Internationalen Währungsfonds oder einigen Millionären wurde sie bereits gefordert. Zuletzt brachte auch Oxfam einen ähnlichen Vorschlag vor, nämlich eine Notabgabe, die jedoch nicht auf das Gesamtvermögen, sondern nur auf Vermögenszuwächse, die während der Coronakrise erzielt wurden, erhoben werden soll. Daneben schlagen die Ökonomen Zucman und Saez die einmalige Besteuerung von Buchvermögen vor. 

Umverteilung durch Notabgabe

Die Forderung nach einer Notabgabe, wie sie Oxfam vorschlägt, ist auf den ersten Blick leicht nachvollziehbar: Während die große Mehrheit unter der Pandemie litt, wurde ein kleiner Teil noch viel reicher als zuvor. Es ist naheliegend, dieses Vermögenswachstum nun zu besteuern. Das ist leider leichter gesagt als getan. 

Lukas Scholle

Lukas ist Ökonom und als wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Bundestag tätig. Nebenbei ist er Redakteur für Finanzthemen bei Jacobin. Darüber hinaus veröffentlicht er wöchentlich den Podcast »Wirtschaftsfragen«, wo er Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik interviewt.

Zunächst ein Blick auf die Fakten: Oxfam fordert eine 99-prozentige Sofort-Abgabe auf alle Vermögenszuwächse, welche die zehn reichsten Menschen während der Pandemie verbuchten. Diese Zuwächse sind nicht auf eine Vermögensklasse beschränkt, bestehen aber zum Großteil aus Buchgewinnen, also dem Wertzuwachs von Unternehmensbeteiligungen ohne Veräußerung.

Als Beispiele führt Oxfam dazu die Vermögensentwicklungen der zehn reichsten Menschen auf: Elon Musk hat sein Nettovermögen während der Pandemie von 24,6 auf 294,2 Milliarden Dollar gesteigert – ein inflationsbereinigter Anstieg von 267,8 Milliarden Dollar, der mit 99 Prozent besteuert werden würde. Elon Musk hätte dann nach der Steuerzahlung von 265,12 Milliarden Dollar ein Nettovermögen von 27,27 Milliarden Dollar. Im Vergleich besaß Bill Gates hingegen vor der Pandemie ein Vermögen von 98 Milliarden Dollar, nach der Pandemie 137,4 Milliarden Dollar – ein inflationsbereinigter Anstieg von 32,4 Milliarden Dollar. Nach der Notabgabe von 32,07 Milliarden Dollar würde das Vermögen von Bill Gates demnach 98,32 Milliarden Dollar betragen. 

Daran zeigt sich, dass Elon Musk prozentual deutlich höher besteuert werden würde, obwohl kein erheblicher kausaler Zusammenhang zwischen Teslas Aufstieg und der Pandemie besteht. Bill Gates (Microsoft), Jeff Bezos (Amazon) oder Mark Zuckerberg (Facebook) haben hingegen durch die Geschäftsmodelle ihrer Unternehmen von der pandemischen Lage profitiert – dennoch würden sie geringer besteuert werden. 

»An dem Beispiel zeigt sich, dass das Konzept der Notabgabe von Oxam unpraktikabel ist und im schlimmsten Fall ernsthafte Folgen für die Finanzstabilität haben könnte.«

Oxfams Vorschlag hätte weitreichende Konsequenzen. Da wie beschrieben einige sehr stark besteuert würden und andere vergleichsweise kaum, sind die makroökonomischen Folgen zwar überschaubar, auf der mikroökonomischen Ebene wird es jedoch umso komplizierter. So hätte beispielsweise Elon Musk mehrere Möglichkeiten, um an das Geld zur Zahlung seiner Steuerlast zu kommen. Er könnte ein Darlehen aufnehmen, bei dem er seine Anteile als Sicherheit hinterlegt. Durch die Zahlung der Steuerlast würde sein Bruttovermögen konstant bleiben, da er den gleichen Wert an Unternehmensanteilen besitzt. Sein Nettovermögen würde aber sinken, da er auf der anderen Seite noch die Schulden aus dem Darlehen hat. Infolgedessen würde er entweder über Jahre Firmenanteile verkaufen oder Tesla zu massiven Gewinnausschüttungen drängen, um das Darlehen bedienen zu können. Beides würde sein Brutto- und Nettovermögen erheblich verringern, da beim Aktienerlös und der Dividendenausschüttung Kapitalertragsteuer fällig wird. Dieser Fall ist aufgrund des riesigen Darlehens und der hohen Wertschwankungen Teslas äußerst unwahrscheinlich. Naheliegender ist, dass Elon Musk dazu gedrängt würde, seine Anteile direkt zu verkaufen. Würde er alle Aktien einzeln verkaufen wollen, würde das wiederum massive Auswirkungen auf den Aktienkurs von Tesla nach sich ziehen. Da der Markt der Tesla-Aktien so riesig ist, könnte Musks Verkauf eine Kettenreaktion mit weitreichenden Folgen für die Finanzstabilität auslösen. 

Angenommen es gäbe keine erheblichen Auswirkungen auf den Aktienkurs, so würde jedoch ein anderes Problem auftreten. Auf die Verkaufserlöse müsste Musk Kapitalertragsteuer zahlen, die nach den Plänen von US-Präsident Biden bei 43,4 Prozent läge. Um den Betrag von 265,12 Milliarden Dollar zahlen zu können, müsste er Aktien im Wert von 468,40 Milliarden Euro verkaufen. Dabei beläuft sich sein Vermögen jedoch nur auf 294,2 Milliarden Dollar. An dem Beispiel zeigt sich, dass das Konzept der Notabgabe von Oxam unpraktikabel ist und im schlimmsten Fall ernsthafte Folgen für die Finanzstabilität haben könnte. Abgesehen davon werden Milliardäre, deren Vermögen während der Pandemie nicht gestiegen sind, komplett verschont. 

Buchgewinne besteuern?

Einen ähnlichen Ansatz verfolgen die Berkeley-Professoren Gabriel Zucman und Emanuel Saez. Sie schlagen eine einmalige Besteuerung unrealisierter Vermögenszuwächse (Buchgewinne) bei Vermögen über 50 Millionen Dollar vor. Dies begründen sie nicht mit der Pandemie, sondern mit der eklatanten Vermögensungleichheit. Ihnen zufolge besitzen die reichsten 0,5 Prozent (ab 50 Millionen Dollar) der Bevölkerung 25 Prozent aller Buchgewinne. Die Buchgewinne sind noch konzentrierter als das Vermögen an sich. Dennoch besteht das Vermögen der oberen 0,5 Prozent nur zur Hälfte aus Buchvermögen. Da der Realisationsgrad sehr individuell sein kann, werden auch hier manche sehr stark besteuert und manche nicht. Überdies würden alle Multimillionäre bis 50 Millionen Dollar überhaupt nicht besteuert werden.

Das bedeutet, dass auf der zeitlichen Ebene die Zuwächse, die weiter zurückliegen, miteinbezogen werden. Zucman und Saez sehen im Vergleich zu Oxfam außerdem vor, dass die Abgabe über einen Zeitraum von zehn Jahren gezahlt werden kann, wodurch kurzfristige Folgen am Finanzmarkt vermieden werden können. Ab einem Freibetrag von 50 Millionen Dollar schlagen sie den Steuersatz von 43,4 Prozent vor, was ebenso auch der Tax Act von US-Präsident Biden vorsieht. Um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden, würde die Steuer beim Verkauf erstattet werden, was zu einer erhöhten Kapitalmobilität von Milliardären führen würde. Falls Milliardäre mit illiquiden Vermögen (private Unternehmen) keine Liquidität zur Zahlung der Steuerlast vorweisen können, schlagen Zucman und Saez einen staatlichen und verzinsten Kredit vor, der mit den Unternehmensanteilen besichert ist.

»Gründe für eine Vermögensabgabe gibt es genug, in der Debatte um die optimale Vermögensabgabe ist aber entscheidend, die Wirkungen und Effekte dieser Vorstöße genau auszubuchstabieren – ansonsten haben wirtschaftsliberale Kontrahenten ein leichtes Spiel, sie auseinanderzunehmen.«

Das zugrundeliegende Kernargument ist, dass die Spaltung zwischen Arm und Reich weiter auseinandergeht und die Buchgewinne einen beträchtlichen Anteil an dieser Entwicklung leisten. Problematisch ist daran, dass Milliardäre mit hohen Buchgewinnen gegenüber Milliardären, die Gewinne realisiert haben, deutlich im Vorteil sind. Denn zum einen konnten die Buchgewinne durch die ausbleibende Besteuerung besonders stark wachsen, da eine endfällige Besteuerung im Vergleich zu einer jährlichen Besteuerung eine deutlich höheres Wachstum ermöglicht und zum anderen können sie über die 10-jährige Zahlfrist hinweg weiterhin neue Erträge erzielen. 

Ohne Zweifel würden durch einen solchen Vorstoß einige Milliardäre in nicht zu unterschätzendem Maße besteuert, aber Multimillionäre mit einem Vermögen von bis zu 50 Millionen Dollar würden gar nicht besteuert und Milliardäre mit hohen bereits realisierten Gewinnen würden kaum besteuert. 

Auch die Gewährung eines Kredits bei illiquiden Privatunternehmen könnte schwerwiegende Folgen haben, da der Eigentümer in den Folgejahren auf hohe Gewinnausschüttungen drängen und dem Unternehmen damit wichtige Rücklagen entziehen könnte. Dennoch ist dieser Vorschlag praktikabler als der von Oxfam, da durch die verlängerte Zahlfrist Disruptionen vermieden werden.

Ran an das Gesamtvermögen

Auch die Linkspartei fordert seit langem eine Vermögensabgabe. Im Gegensatz zu den beiden vorherigen Vorschlägen setzt diese Vermögensabgabe jedoch bei dem Gesamtvermögen an. 

Die Vermögensabgabe sieht Freibeträge von 2 Millionen Euro bei Privatvermögen und 5 Millionen Euro bei Betriebsvermögen vor. Damit wären von der Vermögensabgabe gerade einmal 0,7 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland betroffen. Ab dem ersten Euro über dem Freibetrag würde ein linear-progressiver Steuersatz von 10 Prozent bis 30 Prozent bei 50 Millionen Euro erhoben. Die Zahlung der Vermögensabgabe würde über einen Zeitraum von zwanzig Jahren erfolgen und verzinst werden. Problematisch daran ist vor allem der Zeitraum der 20-jährigen Zahlungsfrist, wodurch die jährliche Belastung erheblich reduziert wird. Es zeigt sich auch, dass die Vermögensabgabe gut mit der Besteuerung von Kapitalerträgen harmoniert. Da DIE LINKE eine Besteuerung von 75 Prozent ab einem Einkommen von 1 Million Euro vorsieht, würde die jährliche Belastung nochmal deutlich steigen.

Obwohl sich die Vorschläge der Vermögensabgabe von Oxfam, Zucman und Saez sowie der Linkspartei auf den ersten Blick sehr ähneln – Superreiche werden einmalig besteuert –, zeigen sich im Detail erhebliche Unterschiede, gerade hinsichtlich der Folgewirkungen. Die Vermögensabgabe der LINKEN entfaltet aber die größte Wirkung mit den wenigsten negativen Folgen.

Gründe für eine Vermögensabgabe gibt es genug, in der Debatte um die optimale Vermögensabgabe ist aber entscheidend, die Wirkungen und Effekte dieser Vorstöße genau auszubuchstabieren – ansonsten haben wirtschaftsliberale Kontrahenten ein leichtes Spiel, sie auseinanderzunehmen. 

Auch das Framing ist zentral. Die Vermögensabgabe der Linkspartei wurde an die ursprünglichen Tilgungspläne der Corona-Schulden angedockt, sodass eine zusätzliche kausale Legitimation geschaffen wurde. Bei Oxfam hingegen wurde auch eine kausale Verbindung hergestellt, die allerdings fehlgeleitet ist: Oxfam wollte die Einnahmen für progressive Projekte zur Armutsbekämpfung ausgeben. Allerdings sind Staaten nicht auf das Geld von Milliardären angewiesen, um Maßnahmen zur Armutsbekämpfung umzusetzen.

Weichen für die Wirtschaftsdemokratie 

Die verschiedenen Konzepte der Vermögensabgabe entfalten unterschiedliche Lenkungs- und Verteilungswirkungen. Eines der großen Probleme ist die Frage der Liquidität: Wie gestaltet sich der Zahlungsfluss ohne schwerwiegende Konsequenzen für die Wirtschaft nach sich zu ziehen? In der Regel werden Zahlungsfristen und Kredite vorgeschlagen, um dieses Risiko zu umgehen. Doch es gibt auch eine bessere Alternative. Denn die Vermögensbesteuerung bietet auch Perspektiven für die Wirtschaftsdemokratie. Wie Zucman und Saez argumentieren, ließe sich die Steuerlast nicht nur monetär begleichen, sondern auch in Form von Aktien. 

Das bietet dem Staat entweder die Möglichkeit, Einfluss auf die Unternehmensführung zu nehmen oder Anteile vergünstigt an die Mitarbeitenden zu verkaufen. Denkbar wäre auch, dass ein Steuerrabatt gewährt wird, wenn Multimillionäre und Milliardäre die Anteile an Mitarbeitende des Unternehmens direkt übergeben. Dieser Aspekt der Vermögensbesteuerungen ist eine der wenigen Möglichkeiten, um über negative Anreize und Druck die Wirtschaftsdemokratie zu fördern. 

Entscheidend in der Debatte um eine Vermögensabgabe sind also die Maßnahmen, durch die sie umgesetzt werden soll. Alle drei Akteure fordern ergänzend auch eine Vermögenssteuer, vor allem ist aber die Kapitalertragsteuer zentral, die eine große Wirkung entfalten kann. Eine breite und angemessene Besteuerung ist in der Umsetzung auch deswegen so wichtig, um das politische Möglichkeitsfenster für eine Vermögensabgabe zu nutzen, welches sich ohne besondere Krisensituation schnell wieder schließen könnte.

Angesichts der Situation der Vermögensungleichheit muss klar sein: Vermögensbesteuerung muss einen Kernbestandteil progressiver Politik bilden. Sie ist eine der essenziellen Stellschrauben für Gerechtigkeit, den Schutz der Demokratie und die Einschränkung von Macht.


Lukas Scholle ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag für Finanzpolitik und betreibt den Podcast Wirtschaftsfragen.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Jacobin. Redaktionelle AnmerkungIn einer früheren Version dieses Beitrags stand, dass im Jahr 2021 zwei Familien genauso viel Vermögen besaßen wie die unteren 50 Prozent der Deutschen. Dies wurde am 20. Januar korrigiert.