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Warum wir eine sozial-ökologische Transformation brauchen

Wer beim gesellschaftlichen Umbau nur auf Ökologie setzt, wird auf deutlich stärkeren Widerstand der Bevölkerung stoßen. Wer das Soziale einseitig priorisiert, untergräbt die Fähigkeit, langfristig soziale Bedürfnisse zu erfüllen. Es braucht deshalb eine sozial-ökologische Transformation.

Obwohl unsere Art des Wirtschaftens die planetaren Grenzen bereits überdehnt, schaffen wir es nicht, durch die gewaltige Ressourcenausbeutung sicherzustellen, dass ein Großteil der Weltbevölkerung ein menschenwürdiges Leben lebt. Kinderarbeit, Kinderarmut, Zwangsarbeit, Genderungleichheit sind immer noch Alltag in unserer heutigen Welt.

Zahlreiche menschenrechtlich anerkannte Grundbedürfnisse bleiben deshalb global unbefriedigt. Und die Fähigkeit, diese Grundbedürfnisse zu befriedigen, wird gleichzeitig abgenutzt: die derzeitige Übernutzung der ökologischen Ressourcen zerstört die Grundlagen unseres Wirtschaftens. Die ökologische Frage lässt sich deshalb auch nicht von der sozialen Frage trennen: Nur bei Erhaltung der ökologischen Ressourcen werden wir die sozialen Bedürfnisse langfristig befriedigen können. 

Am besten lässt sich der Status quo unseres Weltwirtschaftssystems mit der Abbildung der Donut Ökonomie zusammenfassen. Wichtig ist dabei vor allem die Erkenntnis, dass ein Wirtschaftssystem dann langfristig funktioniert, wenn soziale Gründbedürfnisse (innerer Ring) befriedigt werden, ohne dabei die ökologischen Ressourcen über zu beanspruchen (äußerer Ring):

Visualisierung des Donutmodells von Kate Raworth. Bild von Apfelsamen unter CC BY-SA 4.0 Lizenz.

Ein Vergleich der Donut Visualisierungen für einzelne Länder zeigt: Während Länder des globalen Nordens oft soziale Bedürfnisse besser erfüllen als Länder des globalen Südens, schneiden sie ökologisch deutlich schlechter ab. Die alte Logik von „Industrie-“ und „Entwicklungsländern“ muss deshalb überdacht werden: Wenn ein Entwicklungsland ein Land ist, dessen System noch weit von unserer Idealvorstellung entfernt ist und sich deshalb verändern sollte, leben wir alle in Entwicklungsländern. 

Unser Wirtschaftssystem muss sich also radikal verändern, wenn wir dem in internationalen Menschenrechtsverträgen formulierten Anspruch gerecht werden wollen, langfristig allen Menschen eine menschenwürdige(re) Existenz zu ermöglichen. Dabei können nur Lösungsansätze infrage kommen, die das soziale und das ökologische ganzheitlich betrachten: Wer nur auf Ökologie setzt, wird auf deutlich stärkeren Widerstand der Bevölkerung stoßen, wer das Soziale einseitig priorisiert, untergräbt die Fähigkeit, langfristig soziale Bedürfnisse zu erfüllen. Es braucht eine sozial-ökologische Transformation. 

Visionen für die SÖT

Es gibt einige Visionen zur Erneuerung des Wirtschaftssystems, die versuchen, beide Dimensionen zusammenzubringen: Nachdem Kate Raworth ihre Vision der Donut Ökonomie formulierte, also eines Wirtschaftssystems, das sich in der obigen Visualisierung innerhalb des Donut-Rings hält, formulierten die Vereinten Nationen 2015 ihre Ziele einer nachhaltigen Entwicklung (SDGs): 17 Ziele, deren Erreichung zu einem sozial und ökologisch funktionierendem Wirtschaftssystem beitragen sollen. Nachhaltige Entwicklung zielt auf die Schaffung eines Systems ab, das die ökologischen und sozialen Grundvoraussetzungen seines Funktionierens nicht untergräbt, sondern stärkt. Eng verwandt sind die Ansätze der „Gemeinwohlökonomie„. Auch im globalen Süden werden Entwürfe einer gerechteren Gesellschaft, die ihre sozialen Bedürfnisse und ökologischen Grenzen ins Zentrum rückt, diskutiert: Das „buen vivir“, abgeleitet vom Quichua „Sumak Kawsay“ ist ein ganzheitliches sozial-ökologisches Transformationskonzept.

Eine fundamentale Rolle spielen spätestens seit den Leitprinzipien der Vereinten Nationen 2011 auch das Thema Wirtschaft und Menschenrechte. Basierend auf dem Anspruch der Menschenrechte, grundlegende menschliche Freiheiten und Bedürfnisse zu gewährleisten und vor Machtmissbrauch zu schützen, wird zunehmend auch unternehmerische Machtausübung dem Rechtfertigungs- und Transformationsdruck der Menschenrechte unterworfen. Dem race to the bottom der Globalisierung werden dadurch die Menschenrechte als globale Mindeststandards entgegengestellt.

Daniel Schönfelder

Daniel ist Rechtsanwalt und Autor im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte und berät Unternehmen, staatliche Stellen und NGOs zu rechtlichen Fragen von nachhaltigem und menschenrechtskonformen Wirtschaften. Hierzu verfasst er regelmäßig Fachartikel, lehrt und hält Vorträge. Außerdem ist er Mitautor eines Handbuchs zum Lieferkettengesetzes. Ehrenamtlich engagiert er sich in der SPD.

Wenn deshalb Unternehmen überall Menschenrechte einhalten müssen, lohnt es sich zunehmend für Staaten, durch starke Regulierung attraktiver Geschäftsstandort zu sein. Wo es vorher lohnenswert gewesen sein mag, durch schwache Regulierung Kapital anzuziehen, lohnt es sich in Zukunft, durch starke Rechtsdurchsetzung Unternehmen anzuziehen. Wer als Unternehmen etwa Kinder- und Zwangsarbeit verhindern will oder muss, dem hilft starke staatliche Regulierung am Produktionsstandort. Der race to the bottom kann so zu einem race to the top werden. 

Handlungsebenen SÖT

Die Handlungsebenen zur Verbesserung sind dabei vielfältig: Es wird auf volkswirtschaftlicher Ebene vorgeschlagen, die klassische Messung von Wohlstand anstatt mit dem BIP mit einem „Common Good Product“ vorzunehmen, um soziale und ökologische Faktoren anstatt nur Produktionskapazität zu messen. 

Die Gesetzgebung nimmt eine zunehmend progressive Rolle ein – Unternehmen werden zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, zur Knüpfung der Vorstandsvergütung an Nachhaltigkeitsziele, aber auch zur Einrichtung von Risikomanagementsystemen für Umwelt und Menschenrechte („umweltbezogene und menschenrechtliche Sorgfaltspflichten“) verpflichtet. 

Dieser Trend wird immer mehr zur Norm, das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ist nur eines von vielen Gesetzen zu menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten, auf EU und UN Ebene werden derzeit weitere Rechtsakte verhandelt. Schon bevor die EU umfassende Regulierungen auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit von Finanzproduktenverabschiedete, war das Thema auf den Finanzmärkten angekommen: Sogar klassische Investoren wie Blackrock fordern andere Unternehmen, in welche sie investiert haben inzwischen auf, Menschenrechte zu achten. 

Unternehmen stehen inzwischen zahlreiche Tools bereit, die sie zur Ausrichtung ihrer Tätigkeit hin zur mehr Nachhaltigkeit nutzen können. Etwa durch eine Gemeinwohlbilanzierung oder eine B-Corp Zertifizierung. Ebenfalls in der Diskussion ist die Schaffung einer neuen Rechtsform für nachhaltige Unternehmen, die GmbH mit gebundenem Vermögen. Gleichzeitig nimmt auch die Ausrichtung der öffentlichen Beschaffung an Nachhaltigkeitszielen zu. 

SÖT auf diesem Blog

SÖT und Nachhaltigkeit sind nicht mehr nur Trend, sondern werden zum New Normal. Auf diesem Blog werden theoretische und praktische Ansätze, Visionen und konkrete Politikforderungen aus dem Bereich SÖT diskutiert, um die Entwicklung zu begleiten. Dabei sollen Vorschläge von NGOs und Gewerkschaften ebenso ihren Raum finden wie die unternehmerische oder staatliche Perspektive. Wir freuen uns auf die Debatte über eine bessere Zukunft für die Menschheit.