
Das Endspiel der Rule of Law. Zum Fall Abrego Garcia
Seit Trumps zweiter Amtszeit wankt die Rule of Law in den USA. Im Zentrum steht ein Einwanderer, der ohne Verfahren nach El Salvador deportiert wurde: Kilmar Armando Abrego Garcia. Können die Gerichte standhalten – oder ist dies das Ende der Verfassung?
Seit dem Beginn der zweiten Amtszeit Donald Trumps steht die überkommene US-amerikanische Verfassungsordnung unter Druck. Was am 20. Januar 2025 mit einer Reihe von offensichtlich verfassungswidrigen Exekutivanordnungen anfing, setzt sich in einer undurchsichtig-oligarchisierten Verwaltungsdemontage und etlichen wahlweise idiosynkratischen, abwegigen oder niederträchtigen Maßnahmen fort.
Über Gesetzesvorhaben der Regierung muss kein Wort verloren werden – die gibt es im Gegensatz zu den vielen Direktiven und den sie betreffenden Gerichtsverfahren nämlich gar nicht. Damit ist eine begriffliche Differenz angesprochen. Der kontinentale Rechtsstaat in Europa betrachtet das formelle Gesetz als »verbindende Zentralkategorie« von Staat und Recht – vom Parlament verabschiedet, die Regierung programmierend. Er ist Gesetzgebungsstaat. 1 Carl Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 7 f. Im angelsächsischen rule of law erfüllt diese Funktion der Richter. 2 Oliver Lepsius, Verwaltungsrecht unter dem Common Law, 1997, S. 211. Freilich hat das Gesetz im regulatory state eine „kontinentale Rolle“ gefunden. Gleichzeitig sei die für unseren Rechtskreis merkwürdig selbstverständliche Feststellung Cass Sunsteins angeführt, die den fortbestehenden Unterschied der Rechtskulturen markiert: „As a result, lawyers who operate in the regulatory state (which is to say nearly all lawyers) need to have an understanding of legislation.“, Cass R. Sunstein, After the Rights Revolution, 1990, S. 29 f. Die amerikanischen Vorgänge lassen sich vor dieser Folie präzise beschreiben: Während sich die Exekutive bislang abstrakt im Widerspruch zum Recht befand, gerät sie jetzt in den Widerspruch zur Justiz. Die Autorität der common law Gerichte, der Inbegriff der rule of law, muss sich gegen das factum brutum exekutiver Aktion behaupten. Das wird auf lange Sicht nicht gelingen.
Abschiebungen und Ausschlüsse
Die Trump-Administration leistete vielen Anordnungen der Justiz nur unzureichend und mit größeren Verzögerungen Folge. Der antistaatliche Furor von Musk und DOGE ist am Rechtsrahmen – disrupting, breaking things, moving fast etc. – prinzipiell nicht interessiert; die Behörden lassen sich zunächst aber auch auf allerlei rechtmäßigen Wegen sehr gut zerlegen. Der Verwaltungsaufbau bringt im MAGA-Lager jedoch niemanden auf die Barrikaden, weswegen man seine Demontage fortlaufend als Kampf gegen den »deep state« verkaufen muss. Anders liegt das beim Thema der (illegalen) Migration. Der Quellgrund rassistischer Mobilisierung ist unerschöpflich. Nicht zufällig lässt es Trump genau hier auf eine Konfrontation mit der Justiz ankommen.
Die Regierung deportierte Mitte März hunderte vermeintliche Bandenmitglieder nach El Salvador. Ihre Rechtfertigung: Ein Gesetz von 1789, das es erlaubt, feindliche Kombattanten anderer Staaten ohne faires Verfahren (»due process«) aus dem Bundesgebiet zu entfernen. Eine unabhängige Überprüfung, ob die Beschuldigten tatsächlich der organisierten Kriminalität schuldig sind, fand ganz überwiegend nicht statt.

Victor Loxen
Am frühen Morgen desselben Tages – die Betroffenen waren bereits in der Luft – ordnete der vorsitzende Richter des Bezirksgerichts Columbia die Aussetzung der Ausweisung und die Rückkehr der Flugzeuge an. Mit juristisch unhaltbaren Argumenten wurde die Verfügung von der Trump-Administration beiseite gewischt, die Abschiebe-Flugzeuge landeten kurze Zeit später in El Salvador und die Delinquenten im (mittlerweile) berüchtigten und von den Vereinigten Staaten finanzierten Foltergefängnis CECOT. Bis heute sind sie dort eingesperrt.
Man würde erwarten, dass die US-amerikanischen Medien sich vor Empörung überschlagen. Aber die Kontrolle über den Zugang zu seinen Pressekonferenzen ist Trump ebenfalls der Gerichtsmissachtung wert: In der letzten Woche verpflichtete ein Bundesgericht die Administration, Reporter und Fotographen der »Associated Press« (AP) wieder zum Oval Office zuzulassen. Die Pressestelle des Weißen Hauses ignoriert diese verfassungsrechtliche Verpflichtung. Die AP war ausgeschlossen worden, weil sie sich weigert, die präsidentielle Umbenennung des Golfs von Mexiko in »Golf von Amerika« zu übernehmen.
Der Fall Abrego Garcia
Ein einzelner Prozess im Kontext der Deportationen hat das Potential, die klassische Gewaltenteilung fundamental in Frage zu stellen, erhält seine Prägung jedoch zugleich aus dem spezifisch US-amerikanischen Verständnis ihrer amerikanischen Spielart. Seit jeher ist dieser »separation of powers« die Unterscheidung von Innen und Außen eingeschrieben, die sich auch in Garcias Fall unheilvoll niederschlägt. Ist er vielleicht sogar erst möglich geworden durch Struktur und Tradition des amerikanischen Präsidialsystems?
Der Reihe nach: Am 15. März befand sich unter den verfahrensfrei Deportierten auch der El Salvadorianer Kilmar Armando Abrego Garcia. Er kam zwar illegal in die Vereinigten Staaten, durfte aber, wie im Jahr 2019 ein sogenannter »Immigration Judge« feststellte, jedenfalls nicht zurück nach El Salvador abgeschoben werden, weil sein Leben dort der organisierten Kriminalität preisgegeben wäre. Abrego Garcia hat zwischenzeitlich eine Familie gegründet und eine Arbeitserlaubnis erlangt. Somit ist er einer von Millionen zwielichtlegalen Einwanderern, auf denen wesentliche Sektoren der amerikanischen Wirtschaft fußen und deren fügsame Ausbeutung einerseits rechtlich durch ein obskures und mindestens wöchentlich verschärftes Aufenthaltsrecht, andererseits praktisch durch den stochastischen Terror einer systematisch sehr nah an der Gesetzlosigkeit agierenden Immigrationsbehörde (»ICE«) sichergestellt wird (dazu gleich).
Abrego Garcia fand sich nun in dem Deportationsflugzeug wieder, weil ICE wohl die Akte des Verfahrens vor dem Immigrationsrichter gefunden hat. Dieses fand seinen Anstoß in der Anschuldigung, Garcia sei Mitglied der berüchtigten »MS-13«-Bande. Einen strafrechtlichen Prozess gab es deshalb indes nie, und wie ein später nochmal die Bühne betretendes Bundesgericht vor einer Woche konsterniert feststellte, stützte ICE sich bei dieser Vermutung erstens auf die Kleidung Garcias (»Chicago Bulls hat and hoodie«), zweitens auf den vagen, unbestätigten Hinweis eines anonymen Informanten. 3 Kilmar Abrego Garcia v. Kristi Noem, 25-1345 (4th Cir.), S. 14. Kurzerhand wurde Garcia also am 12. März unter falschen Angaben verhaftet und innerhalb weniger Tage ausgerechnet nach El Salvador, ins CECOT-Gefängnis, verbracht.
»The path to perfect lawlessness«
Auf die geschaffenen Fakten konnte das erstinstanzliche Bundesgericht nur noch reagieren. Am 4. April stellte es die auch von der Administration zugegebene Rechtswidrigkeit der Abschiebung fest und ordnete an, bis zum 7. April auf die Rückkehr von Abrego Garcia hinzuwirken (»facilitate«) und sie herbeizuführen (»effectuate«). Auf dieses Begriffspaar kommt es im Folgenden entscheidend an.
Bereits am 7. April lehnte das Berufungsgericht in zweiter Instanz die beantragte Aussetzung dieser Verpflichtung im Ergebnis einstimmig ab. Gestritten wurde schon hier allerdings nicht mehr um die Rechtmäßigkeit der Deportation, sondern um die Rechtsfolgenanordnung des erstinstanzlichen Gerichts. Die Regierung gab ja die Rechtswidrigkeit der Deportation unumwunden zu, stellte sich aber auf den Standpunkt, Garcia befände sich jetzt in der Gewalt eines fremden Souveräns, womit die erste Instanz mit jeder zwingenden Anweisung an die Verwaltung ihre Jurisdiktion überschreiten würde.
Das Berufungsgericht erkannte die praktische Konsequenz dieser Argumentation sofort. Es lohnt sich, das in diesem Punkt beipflichtende Votum von Richter Wilkinson länger zu zitieren 4 Kilmar Abrego Garcia v. Kristi Noem, 25-1345 (4th Cir.), S. 18. :
The facts of this case thus present the potential for a disturbing loophole: namely that the government could whisk individuals to foreign prisons in violation of court orders and then contend […] that it is no longer their custodian, and there is nothing that can be done. It takes no small amount of imagination to understand that this is a ›path of perfect lawlessness‹, one that courts cannot condone.
Drei Tage später schreibt Richterin Sotomayor in der, diesen Beschluss einmütig bestätigenden, Supreme Court-Entscheidung dieselbe Beobachtung auf, und unterstreicht die Gefahr des exekutiven Vollzugsvorsprungs für den gerichtlichen Rechtsschutz: »The Government’s argument, moreover, implies that it could deport and incarcerate any person, including U. S. citizens, without legal consequence, so long as it does so before a court can intervene«. 5 Kristi Noem et al. v. Kilmar Armando Abrego Garcia et al., 604 U.S. ___ (2025), S. 3. Die Deportation auch von Staatsbürgern hat Trump mittlerweile selbst ins Spiel gebracht. 6 Das ist in dieser Form, falls das hilft, aus mehreren Gründen rechts- und verfassungswidrig, siehe https://www.dorfonlaw.org/2025/04/wait-can-he-actually-do-that-part-14.html.
Tatsächlich ist im Votum von Wilkinson bereits vorgezeichnet, dass es sich mit der Rückkehr Garcias nicht so einfach verhalten wird, wie vom Bezirksgericht erwartet. Dieses Gericht könne die Exekutive zwar dazu verpflichten, auf die Freilassung und Rückführung von Garcia hinzuwirken (facilitate), es kann die Exekutive aber nicht dazu zwingen, sie um jeden Preis tatsächlich herbeizuführen (effectuate).
Die introvertierte Gewaltenteilung
Grund dieser Einschränkung ist das Modell der Gewaltenteilung im präsidentiellen System der Vereinigten Staaten. Um diese Besonderheit zu verstehen, muss man sich für einen Moment das Verfassungsrecht genauer ansehen, um die Ausmaße und die besondere Natur der Zuweisung von Kompetenz an den Präsidenten zu verstehen, die das US-amerikanische System in Bezug auf internationale Beziehungen vornimmt. Der Blick auf das Verfassungsrecht macht auch verständlich, warum Trump und seine Regierung überraschend große Spielräume haben, und welches Maß an Missachtung des Rechts es erfordert, selbst diese zu übertreten.
Weniger als zwei Jahrzehnte nach der Gründung der Vereinigten Staaten setzte der spätere Vorsitzende Richter des Supreme Courts John Marshall ein folgenschweres Diktum zur außenpolitischen Rolle des Präsidenten, das als »sole organ«-Theorie bekannt wurde: »The President is the sole organ of the nation in its external relations, and its sole representative with foreign nations.« 7 10 Annals of Cong. 596, 613 (1800). Hamilton war bekanntlich großer Advokat dieser starken Präsidentschaft vor allem in außenpolitischen Belangen, vgl. Federalist Papers, Nr. 70. Dann freilich brauchte es über 100 Jahre und die Genese der modernen Präsidentschaft am Anfang des 20. Jahrhunderts, um ein einschlägiges Grundsatzurteil hervorzubringen. Im Jahr 1932 brach zwischen Paraguay und Bolivien ein Krieg aus, der US-amerikanischen Waffenhändlern außerordentlich lukrativ erschien. Unter innen- und außenpolitischem Druck erließ der Kongress zwei Jahre später ein Gesetz, das den Präsidenten ermächtigte, ein umfassendes Waffenembargo zu erlassen – was dieser auch prompt tat. Die Waffenhersteller Curtiss-Wright klagten. Sie hielten die Machtfülle des Präsidenten für ungebührlich groß.
Was der Supreme Court daraufhin leistete, war nicht nur eine verfassungsrechtliche Vollsanktion genau dieser Machtfülle, sondern auch eine staatstheoretische Grundlagenarbeit, die eine systematische Spaltung in die Gewaltenteilung einließ. Die positivrechtliche Seite ist schnell abgehandelt: Eine gesetzliche Grundlage für das Embargo hatte der Kongress bereitgestellt. Das reicht. Damit hätte es das Gericht auf sich beruhen lassen können. Das Urteil geht aber weiter. Zunächst wird diktiert: »the President alone has the power to speak or listen as a representative of the nation.« 8 United States v. Curtiss-Wright Export Corp., 299 U.S. 304, 319 (1936) Hinzu tritt eine wichtige Qualifikation der »sole organ«-Theorie: Der Präsident ist nicht nur das einzige Organ der Außenpolitik, er besitzt hierfür auch die »plenary and exclusive power«, 9 299 U.S. 304, 320. hergeleitet nicht aus einzelnen Verfassungsbestimmungen, sondern aus der nationalen Souveränität selbst. 10 299 U.S. 304, 316 ff. Die monokratische Spitze der Regierung hat demzufolge nach außen hin unmittelbar an der nackten Souveränität des Staates teil, die sich im zwischenstaatlichen Naturzustandes behaupten muss. Folgerichtig muss das Gericht in Curtiss-Wright eine kategoriale Kluft zum Inland einziehen, will es verhindern, dass das souveräne Außen im rechtlich gehegten Innen Raum greift. Die Exekutive benötigt danach stets eine rechtliche Grundlage für ihr innenpolitisches Handeln, aber eben auch nur dafür: »The broad statement that the federal government can exercise no powers except those specifically enumerated in the Constitution […] is categorically true only in respect of our internal affairs.« 11 299 U.S. 315-316. Zum Vergleich: Art. 1 III GG bindet auch die auswärtige Gewalt vollumfänglich an die Grundrechte, siehe BVerfGE 154, 152, 215 ff.
An dieser introvertierten Gewaltenteilung hat sich im Prinzip bis heute nichts geändert. 12 Das berühmte Votum von Richter Jackson im Grundsatzurteil zu präsidentiellen Kompetenzen, Youngstown Sheet & Tube Co. v. Sawyer, 343 U.S. 579 (1952), begrenzt sich explizit auf die Kompetenzausübung im Inland, 343 U.S. 635-636. Die introvertierte Gewaltenteilung ist im Gegensatz zu Forsthoffs introvertiertem Rechtsstaat dezidiert raumhaft gemeint, vgl. Ernst Forsthoff, Der introvertierte Rechtsstaat und seine Verortung, Der Staat 2 (1963), S. 394. Allerdings ist die Kluft bisweilen eben doch überbrückt worden. Das gilt insbesondere für die Personalhoheit über eingewanderte Ausländer (»aliens«). Der Supreme Court hat dem Präsidenten hier ein Vorrecht eingeräumt, dessen Drastik sich schon aus dem Zitat der maßgeblichen Entscheidung ersehen lässt 13 Fiallo v. Bell, 430 U.S. 787 (1977), Hervorhebung VL. Das war ebenso die ratio decendi der Aufrechterhaltung des „Muslim-Bans“ in Trump v. Hawaii 585 U.S. ___ (2018), 10-12. :
This Court’s cases have long recognized the power to expel or exclude aliens as a fundamental sovereign attribute exercised by the Government’s political departments largely immune from judicial control.
Die Ausländer im Inland sind demnach der präsidialen Ausübung eines »fundamental sovereign attribute« des Staates unterworfen und nicht der Exekutive im System der Gewaltenteilung. Die entfesselte Immigrationsbehörde ICE ist damit bloß ein Symptom dieses verdoppelten Status des Präsidenten. Es ist wesentlich der Entscheidung des »Immigration Judge« zu verdanken, dass Garcia überhaupt ein nennenswert wehrfähiges Bleiberecht erhalten hat.
Kaum überraschend ist daher, dass der Supreme Court am 10. März einstimmig dem Votum des Richters Wilkinson gefolgt ist. Verlangt werden kann nur die Tätigkeit des Präsidenten (»facilitation«), nicht der tatsächliche Rückkehrerfolg (»effectuation«). Das erstinstanzliche Gericht habe seine Anordnung unter Rücksicht (»deference«) auf die ausschließliche außenpolitische Kompetenz des Präsidenten klarzustellen. Das erklärt auch die überpolitische Geschlossenheit des Gerichts, denn was vorgegeben wurde, ist denkbar einfach zu erfüllen und sogar eher ein Sieg für Trump als für Garcia: Die einzigartige Tradition eines halbseitig souveränen Präsidenten ist damit implizit erneut beglaubigt. Trotzdem ahnte Richterin Sotomayor am Ende in ihrer Stellungnahme wohl, dass selbst diese Anforderungen unterlaufen werden könnten: »the District Court should continue to ensure that the Government lives up to its obligations to follow the law.« 14 Abrego Garcia, 604 U. S. ___ (2025), 4.
Um diese Absicherungen hat sich das Bezirksgericht redlich bemüht. Seit der Rückverweisung hat die zuständige Richterin Paula Xinis der Regierung aufgegeben, täglich Bericht über die Rückholbemühungen und den Zustand Garcias zu erstatten. Zunächst geschah schon das nicht, dann rang sich das Justizministerium zu den kahlen Mitteilungen durch, der Delinquent sei noch am Leben. Abseits der grotesken »Rechtsauffassung« der Administration, die Rückführung zu fördern bedeute lediglich, Garcia die beabsichtigte Einreise nicht zu verweigern, verblieb die Beklagtenseite in absoluter Untätigkeit.
Dies blieb so – bis zum Montag des 14. April. Plötzlich behauptete der rechtsextreme Trump-Berater Stephen Miller, die Deportation sei bewusst und rechtmäßig vorgenommen worden: »This was the right person sent to the right place.« Vor allem aber kam es zu einer gemeinsamen Pressekonferenz von Präsident Trump und dem Präsidenten von El Salvador, Nayib Bukele. Letzterer erläuterte neben einem feixenden Trump, er werde Garcia selbstverständlich nicht zurückbringen. Irgendwelche ernsthaften Bemühungen in diese Richtung hat es vorher wie nachher offensichtlich nicht gegeben; sie hätten, davon darf man ausgehen angesichts des quasi-kolonialen Machtgefälles zwischen den Vereinigten Staaten und El Salvador sowie der finanziellen Unterstützung von CECOT, sicher gefruchtet.
Gerichtliche Hilflosigkeit
Die amerikanische Regierung befindet sich nun also im offenen Konflikt mit der Justiz. Trump und Vizepräsident Vance haben, ungeachtet oberflächlicher Legalitätseide gegenüber dem Supreme Court, rhetorisch seit Monaten für diese Konfrontation vorgebaut. Die plebiszitäre Legitimität des Präsidenten ist in scharfen Kontrast zum Legalitätsmodus (»liberal legalism«) 15 Eine in diesem Diskurs hochakute Vokabel Adrian Vermeules, vgl. ders./Eric Posner, Executive Unbound, 2010, S. 4, 14, 155 ff. und öfter. Zum Abgesang auf das Recht und Madisons Gewaltenteilung ebd. und Adrian Vermeule, Law’s Abnegation, 2016, S. 2 („The last and greatest triumph of legalism was that law deposed itself.“) Mehr dazu an anderer Stelle. der Gerichte gestellt worden. Die Gefolgschaftsverweigerung war abzusehen. Was können die Gerichte tun?
Fast unweigerlich ruft diese Frage in den Vereinigten Staaten einen Aphorismus Andrew Jacksons auf, der auf ein ihm unliebsames Urteil geantwortet haben soll: »The Chief Justice has made his decision, now let him enforce it.« Der Satz taucht zwar erst 32 Jahre nach der Gerichtsentscheidung auf, 16 Gemeint ist Worcester v. Georgia (1832). Die Sentenz ist vom wunderbaren Horace Greeley überliefert; einem Abolitionisten, frontiersman und der Herausgeber der New York Tribune (Margaret Fuller, Marx!), siehe Horace Greeley, The American Conflict: A History of the Great Rebellion in the United States of America, 1860–64, 1. Band 1864, S. 106. ist aus mindestens zweiter Hand und nur vielleicht authentisch, er hat sich jedoch zur stehenden Chiffre einer auf den exekutiven Vollzug angewiesenen Justiz gemausert. Dass J.D. Vance sich ihn programmatisch zu eigen gemacht hat, ist kaum verwunderlich.
In der Tat sind die Möglichkeiten der Judikative begrenzt. Im common law steht ihnen prinzipiell das Mittel des sogenannten »contempt of court« offen, das in ziviler (Bußgelder) und strafrechtlicher (Haft) Variante daherkommt. Tatsächlich erwägt der vorsitzende Richter des Gerichts, das die Deportationsflugzeuge zurückbeordert hat, genau diese Option.
Das Problem ist bloß zum einen, dass Gerichte diese Karte gegen den Staat fast nie ziehen und höhere Instanzen in den wenigen Fällen der Anwendung regelmäßig schnell interveniert haben, zum anderen ist die Durchsetzung des »contempts« von den U.S. Marshalls, das heißt: dem Justizministerium, abhängig. Die derzeitige Justizministerin Pam Bondi erfolgreich in »contempt of court« zu halten, dürfte ein Maß an Amtsethos voraussetzen, das bei dieser Regierung wohl eher nicht zu erwarten ist. Auch auf den in der Literatur über das »Endgame« der rule of law entwickelten, bloß moralischen »shaming effect« 17 Parillo, The Endgame of Administrative Law, S. 777 ff. wird man sich nicht verlassen können. Wie der eingangs zitierte Satz der Umweltbehörde belegt, war das mal ein durchaus relevanter Faktor in der administrativen Entscheidungsfindung. Moralische Effekte dürften bei der Trump-Regierung indes nicht verfangen. Was bleibt? »The threat is not real.«
Letztlich kommt hier nicht nur das Gesetz, sondern auch die rule of law der Gerichte an ihre Grenzen. Andernorts habe ich das den Abgrund schierer Faktizität genannt, in den Vereinigten Staaten ist der Begriff der »constitutional crisis« marktgängig. Zunehmend ist »Tyrannei« wieder in Mode. Die brutale Pointe dieses sich anbahnenden Zustands ist allerdings gerade, dass es auf Worte nicht mehr ankommen wird.