Der Begriff der Freiheit
Politische Bewegungen und Parteien haben ein Interesse daran, zu behaupten, es gäbe nur eine Möglichkeit, zu bestimmen, was »Freiheit« sei. Schon ein kurzer Blick in die Ideengeschichte verrät, dass solche Vereindeutigungsversuche unhaltbar sind. Daniel-Pascal Zorn zeigt, in welche logischen Schwierigkeiten sich der politische Streit um die Freiheit verstrickt und schärft so den Blick dafür, wie es zur konkreten Verwirklichung dieser kommt.
Kaum ein Begriff ist politisch so umkämpft wie der Begriff »Freiheit«. Als Schlachtruf wendet er sich gegen Fremdbestimmung und Unterdrückung, als utopisches Ideal bedeutet er eine Welt, in der das gute Leben für alle ein in jeder Hinsicht selbstbestimmtes Leben ist. Sowohl der Schlachtruf als auch die Utopie bergen allerdings Schwierigkeiten, die aus dem Zusammenspiel der Logik des Freiheitsbegriffs und seiner Anwendung entstehen.
Der Schlachtruf »Freiheit!« lässt sich gegen die Tyrannis und den absoluten Herrscher ebenso richten wie gegen die Einrichtungen des Staates, der Steuern erhebt und sein Gewaltmonopol ausübt. Radikal verstanden kann er schließlich jede Festlegung betreffen, nicht nur die, die andere von außen an einen herantragen, sondern auch jene, mit denen man sich selbst bestimmt. Ob Weltanschauung, Meinung, Haltung oder Identität: wer absolut frei sein will, sieht es schon als Zumutung, wenn man überhaupt auf etwas festgelegt wird oder sich auf etwas festlegen muss. Wer man ist, was man ist, wird dann fluide, ist im Fluss, ist nicht greifbar und entkommt so jeder Bestimmung und Festlegung. Man könnte auch sagen: Es verschwindet im radikalen Wechsel.
Die Utopie wiederum birgt ein grundsätzliches Problem, das sich aus den drei Forderungen »gutes Leben«, »selbstbestimmtes Leben« und »für alle« ergibt. Ist etwas, das für alle gelten soll, denn tatsächlich selbstbestimmt? Ist, umgekehrt, ein Leben, das auf radikale Selbstbestimmung ohne Rücksicht auf andere setzt, ein gutes Leben für alle? Ist es überhaupt ein gutes Leben, ständig auf der Hut vor dem größeren Fisch zu sein, der den kleineren frisst? Radikale Selbstbestimmung ohne jede Bindung zu anderen, zu denen man sich gleichwohl verhält, weil man sich ja von ihnen abgrenzt, endet in einem Recht des Stärkeren, das selbst kein Recht, sondern nur Gewalt ist. Die Freiheit, die beim Ich beginnt, endet in Unfreiheit aller anderen oder zumindest aller, die das Pech hatten, diesem Ich in den Weg zu treten.
Daniel-Pascal Zorn
Ein »Recht im emphatischen Sinne des Worts ist … die Wiedereinebnung eines veränderten Ausschlagens in den grundlegenden Ausgleich« 1 Buchheim 1994, S.68 . Das aber setzt eine Einigung aller darüber voraus, dass es diesen Ausgleich geben soll. Wo der Rechtsgedanke in der Philosophie zum ersten Mal begegnet, im Satz des Anaximander, wird dieses Recht durch den Kosmos gewährleistet, ist es Naturrecht. Die Natur gleicht aus, neigt zum Gleichgewicht und zur Einebnung des Extrems und des Ungleichgewichtigen. Doch zugleich richtet sich der erste Freiheitsdrang des Menschen eben gegen diese Natur, gegen die Fremdbestimmung durch – wirkliche oder vermeintliche – Naturnotwendigkeiten: Krankheiten und kurze Lebensdauer, Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein junger Menschen, Gewalt durch Tiere und andere Menschen, Witterung und Klimaveränderungen. Die Befreiung des Menschen durch Medizin, Technologie und – nicht zuletzt – soziale und kulturelle Einrichtungen, durch Gesellschaft und Staatlichkeit.
Natur und Gesellschaft
Die Ideengeschichte des Freiheitsbegriffs beginnt nicht mit einem philosophischen Räsonnement darüber, was Freiheit ist oder wann oder ob der Wille des Menschen frei ist. Sie beginnt mit Überlegungen, die bereits mitten im Leben stehen: mit der Frage, was Freiheit in der Natur, mit der Natur und von der Natur, in der Gesellschaft, mit der Gesellschaft und von der Gesellschaft bedeutet. Die politischen Systeme, auf denen unsere gegenwärtigen parlamentarischen Demokratien und ihre Legitimationsnarrative basieren, ringen allesamt mit diesem Problem:
Freiheit von einer generationenübergreifenden Schuldknechtschaft und Blutrache, einer Gewalt, die kein Recht zügelt; Freiheit zum eigenen Land, zur Gestaltung des eigenen Lebens. Freiheit von der Willkür, von der Dynastie von Tyrannen, die sich die Stadt und den Staat zur Beute machen. Freiheit zur Teilhabe an der Regierung, erst der Wenigen, dann der Vielen, geknüpft an einen Militärdienst, der Athen zeitweise zur Großmacht erhebt, bis die Demokratie zusammenbricht und zur Oligarchie wird, in der der Terror die Straßen regiert. Oder: Die Freiheit von der Herrschaft eines Königs, Freiheit von der Herrschaft der Oligarchie der Patrizier, Freiheit zur Mitbestimmung durch Volkstribune, die mit dem Senat regieren. Freiheit von der korrupten Herrschaft des Senats und den Demagogen des Volkes, Freiheit für Rom unterstützt von den Soldaten, die für Rom im Feld stehen. Befreiung der Republik unter dem Mandat eines Ersten unter Gleichen, der schließlich zum Alleinherrscher wird. Oder: Die Freiheit von der absoluten Herrschaft der Sonnenkönige in ihren goldenen Palästen, während das Volk hungert. Freiheit dazu, ihnen die Köpfe abzuschlagen, schließlich: das Abschlagen von Köpfen als Praxis der Freiheit, die Befreiung vom Adel als Säuberung. Die Freiheit von den Tyrannen mit der Guillotine. Die Freiheit, andere Völker von den Tyrannen zu befreien. Der innere Kampf darum, wer den äußeren Kampf für die Freiheit bestimmen darf. Die Befreiung der Republik von den Konterrevolutionären. Die Freiheit des napoleonischen Alleinherrschers, Frankreich neu zu ordnen und Europa zu erobern.
Das Problem der Freiheit in der Philosophie
Diese Schwierigkeiten, die sich im politischen Entwurf konkreter Freiheitsideen ergeben, finden ihre logische Entsprechung in der philosophischen Diskussion rund um die Aspekte des Freiheitsbegriffs. Dabei darf man nicht den Fehler machen, nur begrifflich nach Entsprechungen von »Freiheit« zu suchen. Diese sind auf konkrete historische Erfahrungen bezogen, bleiben aber vage 2 Meier 1982, S. 741-785. :
Das griechische »eleutheros« bezeichnet den Stand des Freien im Gegensatz zum Sklaven und die Abwesenheit von Fremdherrschaft und Tyrannis. Die konkrete politische Diskussion dreht sich vor allem um die Gleichheit vor dem Gesetz, in der Teilhabe an der Regierung der Polis, um die »isonomia« in der »demokratia«. Platon weist in der Politeia darauf hin, dass diese Diskussion so verlaufen kann, dass »das Äußerste tun … immer eine große Hinneigung zum Gegenteil zu bewirken [pflegt]« 3 Politeia 563-564a : Wer über Gebühr auf Freiheit pocht, wird irgendwann auch die gemeinsam entschiedenen Gesetze in Frage stellen, sie als unerträglichen Zwang erfahren. Bringen geschickte Demagogen die Bürger dazu, Gesetze abzuschaffen, und sich selbst die Kontrolle über die gesetzlich geregelten Bereiche zu entziehen, kann eine Demokratie in eine Oligarchie oder Tyrannis umkippen, sich selbst abschaffen. Schon die Antike kennt damit das Konzept einer »übermäßigen Freiheit«, einer »ametro eleutherias«, einer Freiheit, die als Utopie alleine denen nutzt, die sie in ihrem Sinne auslegen.
Warum aber ist diese Freiheit übermäßig? Das hat mit grundlegenden logischen Zusammenhängen zu tun: alle, einige oder niemand soll frei sein – das sind die drei Möglichkeiten für eine Freiheitsforderung.
Wenn alle gleichermaßen frei sind, dann setzt das zum einen genau dieses Postulat voraus: alle sollen gleichermaßen frei sein. Ein solcher Allsatz, der etwas für alle fordert, ist bereits eine Norm, ein Maßstab, an den sich alle zu halten haben. Wer aber sorgt dafür, dass das auch tatsächlich passiert? Wenn dagegen nicht alle gleichermaßen frei sein sollen, sondern nur einige, stellt sich die Frage: Von woher wird das bestimmt? Wer bestimmt das? Auch hier wird ein Maßstab vorausgesetzt, an den sich alle zu halten haben, diejenigen, die frei sind und diejenigen, die unfrei sind gleichermaßen.
Wenn niemand frei sein soll, fällt auch diese Äußerung selbst darunter. Sie ist fremdbestimmt und ihr Wahrheitsanspruch folglich zweifelhaft. Natürlich kann sie auch ein Tyrann äußern, der für alle die Unfreiheit einführt und sich selbst als fremdgesteuert betrachtet – durch die Natur, die Geschichte, das Schicksal, durch Gott. Aber in diesem Selbstbezug steckt dann immer noch der Widerspruch, dass der Tyrann offenbar frei genug ist, seine eigene Unfreiheit zu bestimmen und festzulegen. Da er aber zugleich die Quelle dieser Bestimmung ist – seine eigene Angabe ist zugleich ihr eigenes Prinzip –, ist er in derselben Hinsicht frei und unfrei zugleich. Denn sonst wäre ja wieder zweifelhaft, ob seine Aussage wahr ist, wenn er fremdbestimmt ist und kein souveränes Urteil fällt.
Es gibt also keinen logischen Weg für die Freiheit, der ohne Maßstab auskommt. Allerdings unterscheiden sich diese Maßstäbe.
Wer behauptet, dass einige frei und andere unfrei sein sollen, muss angeben können, was der Maßstab dafür ist. Die anderen sind ja nicht einfach schon durch die Behauptung der Norm frei oder unfrei. Weil das aber so ist, wird die Begründung dieses Maßstabs zu einer Wiederholung. Einige sollen frei, andere unfrei sein, weil es von Natur aus so ist, weil Gott das so bestimmt hat, weil es schon immer so war: das wiederholt nur die Behauptung. Wird irgendein Merkmal genannt – Haarfarbe, Größe, Hautfarbe, Herkunft usw. –, stellt sich die Frage, wer dieses Merkmal als Kriterium festgelegt hat. Ebenso wenig überzeugend sind Aussagen wie »weil ich es so will« oder »weil sie es selber so wollen«: auch hier wird die Behauptung wiederholt, dieses Mal performativ. Wer es »so will«, ist offenbar frei – wer es »selber so will«, unfrei sein, ist schon darin unfrei, dass er nicht mal für sich selbst sprechen kann.
Wer behauptet, dass niemand frei sein soll, nimmt Freiheit in Anspruch, das zu behaupten oder hebt seinen Wahrheitsanspruch auf. Eine fremdbestimmte Aussage, die also das Diktat eines anderen übernimmt, ist grundsätzlich nicht wahrheitsfähig. Denn wenn das Diktat auf seine Wahrheit überprüft werden soll, muss es als Diktat, als einfach hinzunehmender Satz, aufgehoben werden. Es ist dann eine Behauptung, kein Diktat mehr.
Bleibt die Forderung, dass alle gleichermaßen frei sein sollen. Wenn alle gleichermaßen frei sind, dann bedeutet die Inanspruchnahmen meiner Freiheit, dass ich die Freiheit aller anderen bestätige. Ich kann nur frei sein, indem es alle anderen auch sind. Diese anderen können wiederum ihre Freiheit nur in Anspruch nehmen, indem sie meine bestätigen – das bedeutet »gleichermaßen« als Prinzip der Inanspruchnahme, noch vor jeder inhaltlichen Auslegung. Dass alle gleich darin sind, frei zu sein, ergibt sich schlicht daraus, dass die Alternativen nicht überzeugen: Ungleichheit in Freiheit muss begründet werden mit Maßstäben, die nur vor dem Hintergrund gleicher Freiheit anerkannt werden können, denn sie sind Forderungen. Sie können nicht im Vorhinein gelten, denn das würde bedeuten, dass ihr alle schon zugestimmt haben, bevor sie überhaupt geäußert wurde. Oder es bedeutet, dass einfach davon ausgegangen wird, dass alle zugestimmt haben, ohne sie überhaupt zu befragen: das ist das Wiederholungsproblem von oben, reflexionslogisch ausgedrückt. Absolute Unfreiheit kann schlicht nicht konsistent behauptet werden, weil sich die Behauptung selbst aufhebt.
Gleichheit in Freiheit wiederum begründet sich als Forderung selbst, indem sie einfach darauf verweist, dass man in Anspruch nehmen kann und nimmt, was jeder andere auch in Anspruch nehmen kann und nimmt. Wird sie verneint, hat derjenige, der sie verneint, die Freiheit in Anspruch genommen, sie zu verneinen – und bestätigt sie darin. Die Forderung des gleichmäßigen Freiheitsanspruchs wird entweder bejaht oder verneint. Wird sie bejaht, stimmt man ihr zu– wird sie verneint, wird sie durch die Inanspruchnahme von Freiheit in der Verneinung bewiesen. Meine Freiheit findet ihre Grenze in der Freiheit der anderen einfach deswegen, weil ich nicht meine Freiheit in Anspruch nehmen kann, wodurch ich die Freiheit aller anderen bestätige, um ihnen dann ebendiese von mir bestätigte Freiheit zugleich abzusprechen.
Allerdings ist auch »Gleichheit« mehrdeutig, ebenso wie »Freiheit«.
Versteht man Gleichheit absolut, wird die Forderung, dass alle gleichmäßig frei sein sollen, absurd: Menschen haben kontingenterweise verschiedene Möglichkeiten, mal mehr, mal weniger. Menschen sind sterblich und die Welt um sie herum beugt sich nicht jedem Wunsch, den sie äußern. Der Stein geht nicht zur Seite, weil ich es will. Also bedeutet die Forderung, dass alle Menschen gleichermaßen frei sein sollen, eher so etwas wie: »Alle haben das gleiche Recht, in gleicher Weise ihre … ungleichen … Möglichkeiten in ungleicher Weise zu entfalten.« 4 Schällibaum 2013, S. 170
Ein weiteres Missverständnis liegt darin, die Gleichheit der Freiheit im Sinne bloß negativer Freiheit ohne jede weitere normative Beschränkung aufzufassen. Denn erstens stellt sich dann wieder die Frage, woher diese Freiheit eigentlich bestimmt wird, wenn sie einmal für alle gelten soll, aber dann doch wieder nur für mich selbst, d. h. ohne Bezug auf alle anderen. Zweitens entspricht die Vorstellung bloß negativ freier Individuen dann einer unverbundenen Masse von Willen, die sich ohne gemeinsame Norm voneinander abstoßen. Eben weil Menschen kontingenterweise unterschiedliche Möglichkeiten haben, läuft eine solche Vorstellung auf das Recht des Stärkeren hinaus: derjenige bleibt frei, heißt das, der die Mittel dazu hat, seinen Willen gegen den Willen anderer durchzusetzen, ohne dass diese sich zur Wehr setzen können.
Das Problem der absoluten Freiheit
Die logischen Probleme der absoluten Gleichheit und der absoluten Freiheit spiegeln sich in den Problemen, die mit dem Begriff des Absoluten selbst verbunden sind. »absolutus« bedeutet in seinem lateinischen Gebrauch nämlich zunächst selbst so etwas wie Freiheit. Wörtlich übersetzt wird es mit »abgeschlossen« oder »vollkommen«, sein Partizip »absolvere« mit »loslösen«, »jemanden befreien«. Absolut ist das, was befreit ist, von einer Bürde oder Pflicht, was abgeschlossen und deswegen vollkommen ist. Es ist das, was frei ist von Bedingungen und damit im Wortsinn unbedingt.
Wir haben es der pyrrhonischen Skepsis zu verdanken, dieses Freiheitsideal kritisch befragt zu haben. Sextus weist darauf hin, dass das Absolute wie es die Stoiker behaupten, argumentativ nicht zu halten ist. »Unterscheidet sich das Absolute vom Relativen oder nicht? Wenn es sich nicht unterscheidet, ist es selbst auch relativ [weil es dann das Relative ist]. Wenn es sich aber unterscheidet, so ist das Absolute selbst relativ.« 5 Grundriß der pyrrhonischen Skepsis, I, 137 Das Absolute muss behauptet werden und damit ist es immer relativ auf das Argument, das es behauptet. Wenn es unterschieden wird, ist es bedingt durch das, wovon es sich unterscheidet. Das Absolute ist ein Widerspruch in sich.
Das überträgt sich auch auf die Forderung »absoluter Freiheit«: Eine absolute Freiheit von allem, das Ideal vieler utopischer Freiheitsbewegungen, bedeutet in letzter Instanz auch Freiheit noch von der Position, die sie feststellt. Sie bedeutet sogar die Freiheit davon, das festzustellen. Beides zeigt immer noch Abhängigkeit an, das eine Abhängigkeit von einer bestimmten Position, Identität oder Haltung, das andere Abhängigkeit von der Praxis einer wahrheitsorientierten Argumentation.
Wer konsequent Willkür umsetzen will, darf sich also nicht festlegen lassen. Einige Willkürdespoten haben diese Konsequenz verstanden und umgesetzt: Stalin etwa änderte willkürlich die Kriterien dafür, wann etwas im Sinne der Revolution, wann etwas »konterrevolutionär« war, oft von einem Tag auf den anderen, und er ließ alle anderen, besonders seinen engsten Kreis, im Ungewissen über seine Absichten und Position. Absolute Freiheit kann sich selbst nicht bestätigen, wenn sie sich nicht aufheben will. Sie muss als rein negative Freiheit am Ende auch sich selbst negieren. Wird die Freiheit der Negation untergeordnet, hebt sie sich selbst auf.
Inkonsistente Freiheit ist also kein rein theoretisches Problem, ebenso wenig wie konsistente Freiheit. Beide finden konkrete Entsprechungen in realen politischen Phänomenen. An diesen Phänomenen kann man beobachten, dass Selbstübereinstimmung das Kriterium ist – und nicht etwa die abstrakte Auftrennung zweier Aspekte der Differenz, die wir »Freiheit« nennen.
Die substanzielle Unterscheidung von negativer und positiver Freiheit, als handle es sich um unterschiedliche Begriffe, geht nämlich in die Irre. Freiheit ist immer beides, Freiheit von etwas und Freiheit zu etwas. Letzteres kann man – wie Irving Berlin – als Freiheit, zwischen vorgegebenen Wahlmöglichkeiten zu wählen, verstehen und damit als Unfreiheit. Aber jeder Mensch ist begrenzt und in dieser Hinsicht unfrei: niemandem stehen immer alle Möglichkeiten zur Verfügung. Freiheit zu etwas muss aber nicht als Wahlfreiheit verstanden werden. Die Wahlfreiheit ist nur der inhaltliche Aspekt einer grundlegenderen Freiheit, die auch die Freiheit von etwas noch ermöglicht.
Freiheit zu … kann auch – prinzipieller – bedeuten, dass man in jeder Aussage und Handlung schon Freiheit in Anspruch genommen hat. Sie bedeutet dann nicht: Freiheit zu etwas Bestimmtem, sondern: Freiheit zu dem, was man immer schon gesagt oder getan hat. Insofern setzt auch negative Freiheit, die Freiheit von etwas, die Freiheit dazu voraus, sich von etwas Bestimmtem abzugrenzen. Umgekehrt setzt die Freiheit zu etwas im prinzipiellen Verständnis nicht negative Freiheit voraus, weil die Negation in diesem Freiheitskonzept sich immer von etwas abgrenzt, was schon bestimmt ist. Dogmatismus und negative Freiheit bedingen einander. Ihr Tertium, ihr logisches Drittes, ist die prinzipielle Freiheit zu … als Bedingung jeglicher Bestimmung.
Strukturen des politischen Streits um die Freiheit
Die politische Freiheitsdiskussion verläuft, solange sie sich auf negative Freiheit als Prinzip festlegt, immer entlang der logischen Problematiken von Dogmatismus und Relativismus. Dogmatismus bedeutet Selbstermächtigung über andere, die dann dieser Macht gegenüber unfrei sind. Sie haben immer schon zugestimmt oder liegen immer schon falsch – wenn sie dem Dogma nicht zustimmen. Negative Freiheit bedeutet dann nur, diejenigen von sich abzustoßen, die einem nicht zustimmen. Problematisiert man dieses durchgreifende, so gar nicht freie Freiheitsverständnis, wird oft darauf verwiesen, dass das ja jeder tun könne.
Dogmatismus, der sich nicht durchsetzen kann – schließlich geht es um eine Forderung für alle, nicht nur für einen selbst – verteidigt sich oft als Relativismus. Aus dem Dogma der »Freiheit beginnt beim Ich« -Vertreter wird der Relativismus der verschiedenen individuellen Willen: lauter Ichs in einem ewigen Krieg gegeneinander, alles dogmatische Positionen, die sich gegenseitig negieren. Diesem Relativismus eignet erkennbar ein idealistisches Moment – er muss ja davon ausgehen, dass sich alle Willkürpositionen daran halten, dass keines von ihnen die Alleinherrschaft über alle anderen übernimmt. Aber warum sollten diese sich daran halten, wenn es ihren eigenen Willen einschränkt?
Der Streit um die Freiheit dreht sich um Alternativen, die durch die logische Virtualität, die begrenzten logischen Auslegungsmöglichkeiten des Freiheitsbegriffs bestimmt werden:
Bedeutet Freiheit prinzipiell positiv, dass wir alle gleichermaßen frei sind und unsere Freiheit aber auch in derjenigen der anderen ihre Grenzen findet? Oder bedeutet Freiheit nur die Freiheit Weniger, die das, was nur ihnen nutzt, als etwas verkleiden, was allen nutzt? Bin ich frei, wenn ich tun kann, was ich will? Bin ich frei, wenn ich absolut frei bin? Oder bin ich dann dem Zwang unterworfen, ständig im Streit mit allen anderen zu stehen, die auch etwas wollen oder im Streit mit mir selbst, der sich als etwas wahrnehmen, das Gesagte als etwas bestimmen muss? Resultiert die Forderung nach mehr Freiheit tatsächlich in mehr Freiheit? Oder resultiert sie in weniger Freiheit, weil sie nur diejenigen begünstigt, die ihre Freiheit jenseits gesellschaftlicher Kontrolle aber unter Rückgriff auf die Ressourcen der Gesellschaft durchsetzen wollen?
Im nächsten Teil der Kolumne wird thematisch werden, wie diese abstrakt anmutenden Schwierigkeiten in der Geschichte der Freiheitsbewegungen ganz konkrete politische Verwirklichungen finden.
Literatur
Buchheim, Thomas: Die Vorsokratiker. Ein philosophisches Portrait, München 1994.
Meier, Christian: Art. »Freiheit«, in: Otto Brunner / Werner Conze / Reinhart Koselleck (Hgg.): Geschichtliche Grundbegriffe Bd. 2, Stuttgart 1982.
Sextus Empiricus: Grundriß der pyrrhonischen Skepsis. übers. v. Malte Hossenfelder, Frankfurt a. M. 1985.
Schällibaum, Urs: Macht und Möglichkeit, Passagen Verlag GmbH, Wien 2013.