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Die alte Idee von der Geldmenge und der Inflation

Die monetaristische Idee, dass die Geldmenge die Inflation steuert, hat in diesen Tagen Hochkonjunktur. Zuletzt wurde sie in der Sendung von Markus Lanz prominent diskutiert. Ulrike Herrmann wies den Unternehmer Frank Thelen zurecht, dass die alte Theorie wissenschaftlich nicht haltbar ist. In seinem Beitrag legt Maurice Höfen auch anhand empirischer Fakten dar, warum Geldmenge und Inflation per se nichts miteinander zu tun haben.

Totgesagte leben länger. So auch die Idee, Inflation komme von zu viel Geld. Jahrelang war Inflation kein Thema, dieser Tage bekommt die alte Idee aber wieder Hochkonjunktur. Am Donnerstag hat Frank Thelen die Theorie mal wieder vor Millionenpublikum bei Markus Lanz platziert. Sie geht zurück auf US-Ökonom Irving Fisher (1867-1947), wurde später aber vor allem prominent von dem neoliberalen Vordenker schlechthin vertreten — Milton Friedman (1912-2006). Monetarismus ist das Etikett für die Theorie. 

Doch diese Lanz-Sendung war besonders. Denn Frank Thelen wurde in der Sendung am Donnerstag heftig widersprochen. So heftig, dass daraus ein Trend-Thema auf Twitter und in der Presse wurde. Endlich mal! Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann hat ihn damit nicht durchkommen lassen. Zu häufig habe ich schon das Gegenteil gesehen. Zu häufig kamen Monetaristen mit ihrer stumpfen Theorie unwidersprochen durch, zuletzt noch Ex-Finanzminister Peer Steinbrück bei Maischberger. Neben klassischen Talkshows findet man die Theorie auch in Schulbüchern, bei MrWissen2Go auf YouTube und natürlich bei Bitcoinern und Crashpropheten wie Marc Friedrich, Max Otte, Markus Krall, Roman Reher und so weiter. In einem Reaktionsvideo bin ich schon auf die Debatte zwischen Herrmann und Thelen eingegangen, will hier aber noch ein paar Gedanken anfügen.

Thelen widerspricht sich

Bevor Thelen und Herrmann in der Sendung heftig aneinandergerieten, debattierte die Runde über eine mögliche Insolvenzwelle. Nachdem Habeck das Thema bei Maischberger losgetreten hatte, kündigte er letzte Woche im Bundestag einen großen Schutzschirm gegen Firmenpleiten an. Allen voran für Firmen, die durch die Energiekrise unter die Räder geraten sind. Die Hilfsprogramme scheint Thelen an sich richtig zu finden. Er stimmt Lanz zu, dass es eine »Katastrophe« wäre, Bäckereien, Kleinbetriebe wie auch den industriellen Kern dieses Landes, pleitegehen zu lassen. Mehr Schulden solle der Staat dafür aber bitte nicht machen. Thelen führt aus:

Maurice Höfgen

Maurice ist Ökonom und Betriebswirt. Derzeit ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Bundestag tätig. Er ist Vertreter der Modern Monetary Theory und hat 2020 das Buch »Mythos Geldknappheit« veröffentlicht. 2022 ist sein Buch »Der neue Wirtschaftskrieg« erschienen, 2023 sein Buch »Teurer!«. Regelmäßig veröffentlicht er informative Videos zu ökonomischen Themen auf seinem YouTube-Kanal »Geld für die Welt«.

Diese Lösung, wir drucken Geld, habe ich bei Covid noch akzeptiert, da hatten wir noch gewissen finanzielle Reserven, aber jetzt haben wir die höchste Inflation seit Dekaden, da können wir nicht einfach sagen, wir hauen noch ein paar Euro oder Dollar raus, das geht nicht. 

Für das Gelddrucken sei die Zentralbank verantwortlich, sagte Thelen ganz selbstbewusst, ohne allerdings die Mechanismen zu erklären. Wie also die Zentralbank Guthaben in ihrer Bilanz erstellt und dann dafür sorgt, dass die Zentralbankguthaben auf unseren Konten ankommen und von dort aus die Preise bei Bäcker Lutze treiben, bleibt völlig offen. Kein Wunder, denn darüber wird er nicht viel wissen. Gilt übrigens auch die genannten Vulgär-Monetaristen wie Friedrich, Krall und Reher (Blocktrainer).

Ebenso klagt Thelen an, die EZB hätte früher den Zins erhöhen müssen. Schon einen Satz später gesteht er gleichwohl, dass höhere Zinsen auch Probleme verursachen, weil Firmen dann »nicht mehr an das Kapital kommen«. Das führe dann zu »noch mehr Insolvenzen«. All das passt logisch nicht unter einen Hut. Je höher die EZB den Leitzins zieht, desto teurer werden Kredite für Firmen und desto eher drohen Zahlungsausfälle. Gleichzeitig gegen Insolvenzen und für höhere Zinsen zu sein, geht nicht. Thelen kann außerdem nicht für Hilfsprogramme, aber gegen eine Ausweitung der Geldmenge sein. Denn nicht nur der Staat erhöht die Geldmenge, wenn er Ausgaben tätigt, sondern auch Banken, wenn sie Kredite vergeben. Und Kredite sind die erste Verteidigungslinie aller Hilfsprogramme, typischerweise in Form Krediten der staatlichen Investitionsbank KFW, bei der der Staat für Ausfälle geradesteht und damit Vorzugskonditionen für Kreditnehmer in Not ermöglicht. Ohnehin fällt auf, dass Vulgär-Monetaristen wie Thelen häufig staatliche Ausgaben verteufeln, private Bankkredite aber nicht — obwohl eben beide die Geldmenge ausweiten. Mein Eindruck: Dahinter steckt die das stumpfe Narrativ »Staat schlecht, Markt gut«.

Fakten zählen nicht

Hätten die Vulgär-Monetaristen Recht, müsste die Inflation in den Ländern am höchsten sein, in denen die Bilanzsumme der Zentralbanken wegen »Gelddruckens« und expansiver Geldpolitik am größten sind. Also in Japan und der Schweiz. Die haben mit Anleiheläufen noch viel mehr auf die Tube gedrückt als die EZB. Die chinesische Zentralbank wiederum wirkt dagegen fast bescheiden. Sie ist auch die einzige große Zentralbank, die ihren Leitzins nicht Richtung Null gedrückt hat. In der Schweiz hingegen war der jahrelang sogar negativ!

Und? Haben sie Recht? Nein. Leider ist die nächste Grafik die größte Enttäuschung für die Thelens und Friedrichs dieser Welt. Japan und die Schweiz, die Länder mit der offensivsten Zentralbank und den größten Notenbankbilanzen, die also das meiste Geld »gedruckt« haben, haben auch die geringsten Inflationsraten. Wie passt das mit der monetaristischen Inflationstheorie zusammen? Gar nicht. Weil die Theorie blind für die Wirklichkeit ist und getrost wieder ins Altpapier kann. Die hohen Inflationsraten in Europa und der USA zum Beispiel kommen vom Angebotsschock, von den hohen Energiepreisen, nicht von expansiver Geldpolitik, nicht vom Schuldenmachen, nicht vom »Gelddrucken«.

Japans Zentralbank gibt außerdem seit ganzen 30 Jahren Vollgas, ohne Inflation zu erzeugen. Vulgär-Monetaristen und Crashpropheten verweisen ja gerne auf die entfernte Zukunft, in der dann alles den Bach heruntergeht. Wie weit entfernt soll die sein, wenn 30 Jahre Vollgas nicht reichen? Wenn es erst eine Pandemie und einen Krieg braucht, damit es einen Hauch von Anschein macht, die Crash-Prophezeiungen und Inflationswarnungen wären richtig gewesen?

Fürs Protokoll: All das heißt natürlich längst nicht, dass Japan gute Politik macht. Das steht auf einem ganz anderen Blatt. Aber Japan ist ein schönes Beispiel, um den Unsinn von Monetaristen und Mainstream-Ökonomen zugleich vorzuführen.

Bundesbank und EZB sollten aufklären

Die deutsche Bundesbank hat eine politische Schlüsselfunktion inne. Zu der sollte auch gehören, dass sie solche Mythen in der Öffentlichkeit auflöst und erklärt. Das Problem: Weil jeder Satz, der aus den Zentralbanken kommt, an den Finanzmärkten auf die Goldwaage gelegt und von Spekulanten interpretiert wird, zieht sich etwa der Bundesbankpräsident Joachim Nagel in der Öffentlichkeit auf ein anti-aufklärerisches Minimum zurück. Außer ein paar Standardphrasen der Kategorie »Die Zinserhöhung setzt ein wichtiges Zeichen, dass die EZB die Inflation entschlossen bekämpfen wird« kommt da nicht viel. Warum setzt er sich nicht zu Markus Lanz in die Sendung und erklärt vor Millionenpublikum, was die Bundesbank eigentlich genau macht, welche Instrumente die EZB hat, wie sie funktionieren und warum Inflation nicht per se von der Geldmenge abhängt? Das wäre dringend nötig. Besonders dieser Tage. Allein mir fehlt der Glaube, dass Nagel einen souveränen Auftritt hinlegen und verständlich erklären kann. Seine Auftritte im Finanzausschuss des Bundestages sind dünner als Sky-Interviews nach einem Fußballbundesligaspiel.

Dieser Beitrag ist Teil des Newsletters Geld für die Welt.