Die Ära der Erben

In »Die Asset-Ökonomie« postulieren Lisa Adkins, Melinda Cooper und Martijn Konings ein Klassenschema basierend auf Vermögensbesitz. Ihre Einsichten sind nicht fundamental neu, aber der Fokus auf den Immobilienbesitz der breiten Bevölkerung hilft zu verstehen, warum sich der neoliberale Kapitalismus so hartnäckig hält, schreibt Helena Schäfer.

Der Kampf um Wohnraum in westlichen Großstädten hat Dimensionen angenommen, die jedes gesunde Maß übersteigen. Nicht selten hört man von jungen Menschen, deren Wohnungssuche erst dann ein Ende findet, wenn ihre Eltern ihnen eine Wohnung kaufen, überlassen oder vererben. Die meisten hangeln sich von Untermiete zu Zwischenmiete, einige werden ganz aus den begehrten Städten vertrieben. Die australischen Soziologinnen Lisa Adkins, Melinda Cooper und der Sozialwissenschaftler Martijn Konings liefern einen analytischen Rahmen für diese Erfahrungen. Sie postulieren eine neue Ausprägung des Kapitalismus, die sich in Jahrzehnten der neoliberalen Politik im angloamerikanischen Raum sowie in anderen westlichen Ländern entwickelt hat: die »Asset-Ökonomie«.

Ihre These ist, dass die Inflation der Immobilienpreise in urbanen Ballungsräumen den Kern einer neuen Logik der Ungleichheit bildet. Das Schlüsselelement, das Ungleichheit in gegenwärtigen Gesellschaften prägt, sei nicht mehr die Arbeitsbeziehung, sondern die Fähigkeit, Assets zu erwerben, also Vermögenswerte und Anlagen, insbesondere Immobilien. 

Die Logik der Vermögenswerte sei für das gegenwärtige Wirtschaftssystem charakterisierender als die paradigmatische Form der Ware. Denn mit der Logik der Kommodifizierung ließe sich nicht verstehen, dass zeitliche Aspekte der Ungewissheit und Spekulation konstitutive Aspekte des zeitgenössischen Wirtschaftslebens seien. In ihrer Argumentation greifen die Autoren auf den postkeynesianischen Ökonom Hyman Minsky zurück, der Spekulation nicht für eine Pathologie, sondern für eine dem Kapitalismus inhärente Logik hielt.

Kritik an Piketty

»Die Asset-Ökonomie« ist eine kritische Auseinandersetzung mit Thomas Piketty, dem bekannten Theoretiker der Ungleichheit im 21. Jahrhundert. Er hat die steigende Ungleichheit seit den 1980er Jahren als Rückkehr zur Plutokratie das »Gilded Age« gedeutet, also zu den Gesellschaftsverhältnissen des späten 19. Jahrhunderts in den USA, als eine Rentierklasse mit Spekulation Vermögen anhäufte. Die von Piketty erhobene Tendenz, dass die Vermögen heute schneller wachsen als der durchschnittliche Arbeitslohn (r > g), hält er für die Bestätigung eines Grundgesetzes des Kapitals. Die Autoren der »Asset-Ökonomie« verstehen die heutige Ungleichheit dagegen nicht als Rückkehr in eine vergangene Ära, sondern als qualitativ neues Ergebnis einer Reihe von spezifischen institutionellen Veränderungen in der Steuer- und Geldpolitik der letzten Jahrzehnte. Sie kritisieren, dass Piketty Ungleichheit hauptsächlich mit Blick auf die Spitze der Gesellschaft, nämlich mit Blick auf das oberste Prozent, begründet habe. Demgegenüber wollen sie darauf aufmerksam machen, dass die heutige Ungleichheit in westlichen Ländern auf einem Vermögensbesitz beruht, der einen großen Anteil der Haushalte der Mittelschicht einschließt. Es dürfe nicht ausgeblendet werden, dass weite Teile der Bevölkerung im Laufe des 20. Jahrhunderts an den Dynamiken von Asset-Besitz und Wohneigentum beteiligt wurden.

Helena Schäfer

Helena Schäfer hat Philosophie und Volkswirtschaftslehre in Bayreuth studiert und ihren Master in Politischer Theorie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main abgeschlossen. Im Herbst 2022 war sie für ein Auslandssemester als Stipendiatin an der New School for Social Research in New York. Sie arbeitet als freie Journalistin, u.a. für das Philosophie Magazin und die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Die entscheidendste Verschiebung der letzten Jahrzehnte, die die Autoren für die Entstehung der Asset-Ökonomie verantwortlich machen, ist der Wechsel von einer Verbraucherpreisinflation zur Vermögenspreisinflation, den sie als Übergang von der keynesianischen zur neoliberalen Ära charakterisieren. Die Nachkriegszeit und die 1970er Jahren waren von stagnierenden Vermögenspreisen und einer Inflation der Arbeitseinkommen sowie Verbraucherpreise geprägt. Die neoliberale Steuer- und Geldpolitik der 1980er und 1990er Jahre habe dieses Inflationsverhältnis umgekehrt und für eine Verstetigung niedriger Löhne sowie stetige Inflationsbekämpfung der Verbraucherpreise gesorgt, sodass die Erwerbseinkommen in den letzten Jahrzehnten stagnierten, aber die Vermögenspreise, besonders die Immobilienpreise, stiegen. Zu den politischen Mechanismen gehörte ebenfalls eine Finanzpolitik der quantitativen Lockerung, die seit den 1980er Jahren verfolgt wurde, um Asset-Besitz profitabel zu machen. Der Asset-Besitz sollte der breiten Bevölkerung zukommen: Kreditvergaben an private Haushalte ermöglichten der Mittelschicht den Traum vom Eigenheim. Dieser Weg wurde bereits Anfang der 1980er Jahre eingeschlagen, sodass viele der politischen Maßnahmen, die das Inflationsverhältnis umkehrten, erst umgesetzt wurden, als breite Teile der Bevölkerung Immobilien schon besaßen. Der Neoliberalismus habe sich somit eine Wählerschaft in der Mittelschicht gesichert, die stark in das Versprechen der Wertsteigerung von Assets investiert hatte und deren Interessen nun vermeintlich mit denen der Rentierklasse in Einklang standen.

Neues Klassenschema

Das neoliberale Versprechen vom Asset-Besitz der Massen ist inzwischen nicht mehr einzulösen. Adkins, Cooper und Konings diagnostizieren, dass die untersuchten westlichen Gesellschaften nach einer kurzen Periode »relativer Wohlstandsdemokratisierung« in eine Periode eingetreten sind, in der soziale Mobilität zum Erliegen kommt und der Zugang zu Immobilienbesitz vom familiären Wohlstand abhängt. Am deutlichsten sichtbar ist dies unter den jüngeren Generationen. Sinkende Löhne und steigende Immobilienpreise sorgen dafür, dass die jüngeren Generationen immer weniger dazu in der Lage sind, sich allein mit Erwerbseinkommen ins Wohneigentum einzukaufen. Die Fähigkeit, Assets zu erwerben und zu halten, wird deshalb bestimmender für die Klassenposition als der berufliche Status und das Erwerbseinkommen: »Der sprunghafte Anstieg der Immobilienpreise in Großstädten rund um die Welt hat tiefe Gräben der Ungleichheit zwischen Klassen von Menschen aufgerissen, die zwar gleich viel verdienen, sich aber dadurch unterscheiden, dass sie in Eigentum oder zur Miete wohnen.«

Die Autoren entwerfen basierend auf dieser These ein neues Klassenschema, das marxistischen und weberianischen Konzepten von Klasse entspricht, aber über diese hinausgeht, insofern es Vermögensbesitz als den entscheidenden Verteiler und Treiber von Lebenschancen identifiziert. Dabei beziehen sich die Autoren vor allem auf den australischen Kontext sowie andere anglokapitalistische Gesellschaften. Das asset-basierte Klassenschema unterscheidet fünf Klassen, die durch ihre Beziehungen zu Vermögensbesitz, insbesondere Wohneigentum, gekennzeichnet sind: Erstens Investoren, zweitens Wohneigentümer, drittens Personen mit Wohneigentum, das mit einer Hypothek belastet ist, viertens Mieter, fünftens Wohnungslose. Bei den ersten drei Klassen, also denjenigen mit Wohneigentum wird in einer weiteren Stufe jeweils unterschieden, ob sie zusätzlich zum Asset-Besitz Einkommen aus Arbeit beziehen oder nicht.

Die Autoren wollen mit diesem Modell Marx‘ Dichotomie zwischen Besitzenden und Lohnabhängigen durch ein komplexeres Modell ersetzen, das »die stratifizierenden Effekte des Vermögensbesitzes konzeptionell erfassen kann«. Von konventionellen soziologischen Modellen wie dem Nuttfield-Schema, das die Differenzierung von Arbeit in modernen Industriegesellschaften betont, wollen sie sich dadurch abgrenzen, dass sie keinen Fokus auf unterschiedliche Berufsgruppen und die Verhältnisse der Erwerbsarbeit legen.

Ist das nicht einfach Kapitalismus?

Das von ihnen entworfene Klassenschema ist durchdacht und akkurat. Aufgrund ihres Fokus auf Immobilienbesitz können die Autoren einige der konkreten Mechanismen sichtbar machen, in denen neoliberale Politik in den anglokapitalistischen Gesellschaften gewirkt hat. Dass die Autoren ihre Argumentation in nüchternem Stil vortragen und sowohl auf ein Übermaß an Fachbegriffe als auch auf linke Kampfbegriffe verzichten, dürfte es für ein breites Publikum zugänglich machen. Bei der Lektüre drängt sich allerdings die Frage auf: Ist das wirklich eine neue Logik, der man den Namen »Asset-Ökonomie« geben muss? Oder gilt die Faustregel linker Kämpfe: »It’s capitalism, stupid!«?

Auch beim marxistischen Antagonismus zwischen Arbeit und Kapital geht es nicht vornehmlich darum, dass der Kapitalist mehr verdient oder einen qualitativ anderen Job macht, sondern darum, dass der Kapitalist (die Produktionsmittel) besitzt und der Arbeiter seine Arbeitskraft verkaufen muss. Auch die Autoren der »Asset-Ökonomie« spitzen an einer Stelle ihr ausdifferenziertes Klassenschema in der Beobachtung zu: »Die Asset-Ökonomie nimmt […] eine Scheidung nach Klassen vor: zwischen denjenigen, die von der Aufwärtsdynamik der spekulativen Vermögensbewertung profitieren können, und den anderen, die in den kurzfristigen Zeithorizonten der Warenökonomie gefangen bleiben, ohne zu den langfristigen spekulativen Horizonten der Asset-Ökonomie aufbrechen zu können.« Es wäre interessant zu untersuchen, inwiefern die Klasse jener, die heute in Großstädten Assets erwerben können, sich am Ende mit anderen soziologischen Modellen deckt, die noch näher an Marx bleiben und die den Fokus auf Erwerbstätigkeit legen.

Auch der betonte Unterschied zu Pikettys These der Rückkehr ins »Gilded Age« wirkt eher marginal. Piketty geht, wie die Autoren selbst schreiben, ebenfalls auf Wohneigentum ein. Seine These, dass wir uns Verhältnissen annähern, in denen nur ein kleiner Anteil der Bevölkerung von den wirtschaftlichen Verhältnissen profitiert, deckt sich mit der Bemerkung der Autoren, dass es inzwischen außer für »Bestverdienende« schwierig geworden sei, das notwendige Eigenkapital für Asset-Käufe allein aus Erwerbseinkommen anzusparen. Ob man dies nun als neue Ära oder als Rückkehr in eine vergangene Ära charakterisiert, ist eher eine Frage der Rhetorik als eine konzeptionelle.

Das asset-basierte Klassenschema liest sich deshalb eher wie eine Aktualisierung und Ausdifferenzierung bestehender Theorien über Neoliberalismus, Ungleichheit und Klasse, die sich letztlich wieder in der Unterscheidung verdichtet: Wer besitzt Vermögen und wer nicht? An einer Stelle gestehen die Autoren selbst: »Dass anstatt mit Arbeit mit Vermögenswerten Geld verdient wird, ist an sich natürlich kein neues Phänomen. Aus diesem Blickwinkel betrachtet mag es so aussehen, als wäre Neoliberalismus faktisch nur so etwas wie die wiederauferstandene Rentenökonomie. Übersehen wird dabei freilich, in welchem Ausmaß das Geldverdienen mit Assets demokratisiert worden ist«.

Wo bleibt die Revolution?

Die Stärke von »Asset-Ökonomie« liegt nicht in konzeptioneller Originalität, sondern in eben dieser Betonung des Asset-Besitzes der breiten Bevölkerung. Wer sich auf das eine Prozent konzentriert, der hat tatsächlich Schwierigkeiten zu erklären, warum so viele Menschen überhaupt am Kapitalismus festhalten. Adkins, Cooper und Konings haben darauf keine neue Antwort, aber eine, die es verdient, immer wieder ins Gedächtnis gerufen zu werden: »Erhebliche Teile der nationalen Wählerschaft (…) haben ein Interesse an der anhaltenden Vermögenspreisinflation, an Steuervergünstigungen für Immobilieninvestoren und an einer minimalen oder bei null liegenden Erbschaftssteuer.« Dies gilt auch für Deutschland, wo die Wohneigentumsquote 2022 laut statistischem Bundesamt bei 42 Prozent lag. Es gehört zu den Tricks des Neoliberalismus, dass er viele Menschen als Eigentümer in die Logik des Kapitals eingespannt hat, die nun für Interessen einstehen, die ursprünglich nur die kapitalistische Klasse vertrat. Nur unter Anerkennung dieser Tatsache lässt sich begreifen, warum sich neoliberale Politik in der Breite der Bevölkerung noch immer als widerstandsfähig erweist und warum ein SPD-Kanzler im Bundestag sagt: »Wir brauchen einen funktionsfähigen Kapitalismus in Europa«. Überraschend ist nur, dass die Autoren den Begriff der »Demokratisierung« von Wohneigentum in ihrer Argumentation unkritisch aus der neoliberalen Ideologie übernehmen. Mit Demokratie hat die Einbeziehung privater Haushalte in den Vermögensbesitz nichts zu tun. Der Markt war noch nie ein demokratisches Instrument und wird es auch nicht dadurch, dass mehr Menschen an ihm teilhaben als früher.

Sind die Boomer schuld?

Eine weitere Stärke der »Asset-Ökonomie« liegt darin, dass der mediale Dauerbrenner der Generationenfrage klug durchleuchtet wird. In der öffentlichen Debatte werde, wie die Autoren betonen, die Frage der Lebenschancen oft als Generationenkonflikt zwischen Boomern und Millenials verhandelt. Dies sei insofern verständlich, als sich gerade unter Millenials und jüngeren Generationen die Bruchlinien auftun, welche Jahrzehnte der neoliberalen Politik verursacht haben. Während Babyboomer von stabilen Einkommensströmen aus Arbeit und niedrigeren Immobilienpreisen profitiert haben, machen jüngere Generationen die Erfahrung, dass sich mit Erwerbsarbeit allein kein Wohlstand mehr verdienen lässt. Stattdessen entscheiden Erbe und Transfers darüber, wer in den großen Städten leben kann. Unter diesem Gesichtspunkt lasse sich auch von einer Rückkehr zur Familie als Kernquelle der wirtschaftlichen Absicherung sprechen. Wohl dem, der auf die »Bank of Mum and Dad«, wie es der australische Journalist Chris Kohler ausgedrückt hat, zurückgreifen kann. 

Adkins, Cooper und Konings legen in ihrem Buch überzeugend dar, dass die Bruchlinien der Asset-Ökonomie zwar entlang der Generationengrenzen verlaufen, aber dass die Generationen nicht in sich verantwortlich für die Ungleichheit sind. Die heutige Logik von Klasse und Ungleichheit manifestiert sich zwar in den Generationen, diese dürfen aber nicht als eigenständige Analysekategorien zur Rechenschaft gezogen werden: »Babyboomer*innen zu Sündenböcken zu stempeln, erfüllt faktisch die einflussreiche ideologische Funktion, von Problemen der Klasse abzulenken.« Diese Einsicht sollten sich alle Autoren zu Herzen nehmen, die den Konflikt zwischen Generationen zu einem journalistischen Genre erkoren haben, das die Feuilletons füllt und die Generationen gegeneinander aufbringt. Schuld sind nicht die Boomer, sondern die ökonomischen Verhältnisse.