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Hayek und die irrationale Rationalität des Neoliberalismus

Wie ist das Werk von Friedrich August von Hayek entstanden? Sophie-Marie Aß zeichnet in ihrem Beitrag die Entwicklung von Hayeks Denken nach und zeigt, warum sein Werk als eines der Gegenaufklärung gelesen werden muss.

Der Sozialist Karl Polanyi hatte im roten Wien der 1920er Jahre die Zeit seines Lebens. Die kommunale Sozialisierung und erstarkende Arbeiter*innenbewegung beobachtend, beteiligte er sich auf scharfsinnige Weise und doch selten rezipiert an der »Socialist Calculation Debate« und definierte die zugrundeliegende Fragestellung wie folgt: Wie sei im Sozialismus »eine Übersicht über die Produktion zu bewirken, welche die Beziehung ihrer Kosten zur Natur und Gesellschaft ziffernmäßig aufweist?« 1 Polanyi 1922, S. 397 .

Im Gegensatz zu Polanyi sahen sich die Teilnehmer von Ludwig von Mises’ exklusiven Privatseminar 2 »eine der letzten Blüten der Wiener Kultur«, vgl. Mises, S. 64 von Feinden umzingelt – »weil es wahre Gegner des Sozialismus kaum noch gibt« 3 Mises 1922, S. 2). . Ganz von der Hand zu weisen war dieses Bedrohungsgefühl nicht. Eine gut organisierte Arbeiterschaft forderte zunehmend ihre Rechte ein und gewann an Einfluss auf der Straße und in den europäischen Parlamenten. Mit der Oktoberrevolution 1917 betraten zudem auch die Bolschewiki das Feld und setzten dem Kapitalismus ihren Kriegskommunismus entgegen. Der Austromarxist Otto Neurath entwarf in seinen Schriften eine Vollsozialisierung und demokratische planmäßige Verwaltung der Gesellschaft und stellte damit die Notwendigkeit kapitalistischer Märkte ernsthaft in Frage. Mises selbst hatte 1920 mit seinem Beitrag »Die Wirtschaftsrechnung im Sozialistischen Gemeinwesen« eine einflussreiche Replik auf Neurath formuliert. 

Mises Auffassung war resolut: die rationale Entscheidung des Individuums zwischen Alternativen bedürfe der eindeutigen Vergleichbarkeit auf einer einheitlichen Skala. Diese Skala sei monetär und das Entscheidungskriterium war der Preis als Tauschwert, der wiederum nur auf einem kapitalistischen Wettbewerbsmarkt entstünde. Dieses Verständnis von Rationalität macht ein rationales Wirtschaften im Sozialismus theoretisch unmöglich: »Die Unverwirklichbarkeit des Sozialismus ist nicht in der sittlichen, sondern der intellektuellen Sphäre gegründet. Weil eine sozialistische Gesellschaft nicht rechnen könnte, kann es keine Gemeinwirtschaft geben« 4 Mises 1922, S. 443

Sophie-Marie Aß

Sophie Marie Aß ist politische Ökonomin und beschäftigt sich insbesondere mit der Ideengeschichte des Neoliberalismus und dessen Einfluss auf gesellschaftliche Naturverhältnisse. In ihrer Abschlussarbeit untersuchte sie unter anderem die Bedeutung der hayeckschen Erkenntnistheorie für seine Konzeption von Individualität, Ordnung und Geschichte. Sie ist derzeit als Referentin für Klimapolitik in Berlin tätig.

Ein Teilnehmer, der die Ausführungen des doktrinären liberalen Ökonomen zur Wirtschaftsrechnung als eine augenöffnende »Schockbehandlung« erlebte, war der junge Friedrich August von Hayek. Hatte er sich anfangs noch für die Thesen der reformistisch-sozialistischen Fabian-Society begeistert, wurde er hier zum Wirtschaftsliberalismus bekehrt. Gemeinsam mit Mises leitete er ab 1927 das Institut für Konjunkturanalyse, wo er sich mit Kreditwirtschaft und Konjunkturzyklen beschäftige, bis er sich 1931 auf den Weg nach London machte, um seinem Hauptgegner John Maynard Keynes entgegenzutreten – recht erfolglos zu dieser Zeit. Und doch war es auf eine gewisse Art fast prophetisch, dass Keynes, als er das Schiff hin zur Bretton Woods Konferenz betrat, Hayeks »Weg zur Knechtschaft« (1944) in der Tasche mit dabei hatte. Das Buch machte Hayek in den Vereinigten Staaten berühmt und ermöglichte ihm, mit der Hilfe des Ökonom Henry Simons, 1947 die Schaffung eines neoliberalen Denkkollektivs, der Mont Pèlerin Society.  

Der Markt als Grundlage der Gesellschaft

Doch ein Schritt zurück. Bereits auf seinem Lehrstuhl an der London School of Economics wandte sich Hayek von konkreten geld- und konjunkturtheoretischen Belangen ab und richtete sein Augenmerk auf allgemeine philosophische Fragen der gesellschaftlichen Ordnung. Mit »Economics and Knowledge« (1936) schaltete auch er sich dann in die Socialist Calculation Debate ein, veränderte allerdings den Blick auf das Grundproblem in entscheidender Weise. 

Mises Argument war ein rationalistisches: er verstand den Markt als ein allokatives Gleichgewicht, der die Präferenzen rationaler Akteure vermittelt und die Ressourcen effizient verteilt – in diesem Sinne ähnlich der Neoklassik, wenn auch nicht mathematisch formalisiert. Da das Sprechen über den Markt heute im Alltagsverstand der Menschen verankert ist, muss hier zur Kenntnis genommen werden, dass Markt nicht gleich Markt heißt. Mises ist der erste ökonomische Denker, der den Markt als übergeordnete und homogene Kategorie abstrahiert. Frühere Vertreter der österreichischen Schule wie Carl Menger und auch frühe Neoklassiker wie León Walras und William Jevons sprachen von Märkten im Plural und meinten damit konkret existierende Gütermärkte – gleiches gilt auch für Adam Smith. Hayek übernimmt Mises’ Auffassung vom Markt als zugrundeliegender Basisinstitution einer freien Gesellschaft und tritt mit seiner epistemologischen Kritik aus dem walrasianischen Gleichgewichtsparadigma heraus. Er deutet die Funktionsweise des Markts fundamental und bis heute ideologisch überaus wirkmächtig um. Sozialistische und kapitalistische Neoklassiker kritisiert er für ihre tautologischen Modellkonstruktionen. Der Markt befähige nicht zum Rechnen, er führe keine optimale Allokation von Gütern herbei. Vielmehr koordiniert er gesellschaftliches Wissen in einem komplexen System 5 Hayek 2007, S.65

Das Ganze funktioniert als ein Markt, nicht weil irgendeines seiner Mitglieder das ganze Feld überblickt, sondern weil der begrenzte Gesichtskreis des Einzelnen den der anderen genügend überschneidet, so dass durch viele Zwischenglieder die relevante Information allen übermittelt wird. […] Wir müssen das Preissystem als einen solchen Mechanismus zur Vermittlung von Informationen ansehen, wenn wir seine wirkliche Funktion verstehen wollen. 

Die Natur dieses Wissens ist in »The Use of Knowledge of Society« (1945) noch nicht vollends ausgearbeitet und wird vergleichsweise oberflächlich behandelt. Hayek spricht von »lokalem« oder »verstreutem« Wissen und verwendet die Begriffe Information und Wissen synonym. So erweckt er den Eindruck potentieller Kodifizierbarkeit – ein Grund für Missverständnisse, so etwa der Bezug der neoklassischen Informationsökonomik, die Informationen als handelbares Gut interpretieren. Es deutet sich jedoch bereits an, dass er etwas anderes im Sinn hat, wenn er äußert, dass die Menschen, »die sich durch ihn [den Markt] leiten lassen, gewöhnlich nicht wissen, warum sie zu dem geführt werden, was sie tun.« 6 Hayek 2007, S. 60 Es ist ausgerechnet Karl Polanyis Bruder Michael Polanyi, der Hayeks Thesen mit seinem Werk »Personal Knowledge« dann Gewicht verleiht. Michael Polanyi gehörte zu den 39 Gründungsmitgliedern der Mont Pèlerin Society – es bedarf nicht zu viel der Fantasie, um sich vorzustellen, dass die Brüder ein kompliziertes Verhältnis miteinander hatten. 

Eine neoliberale Dialektik der Aufklärung

1950 wird Hayek nach Jahren der Vorbereitung von Milton Friedman und Aaron Director an die Universität Chicago geholt und erhält eine Professur für Moralphilosophie. Die Chicagoer Schule wird eine enorme Bedeutung beim Aufstieg und der Verbreitung neoliberalen Denkens spielen. Geht ihr behauptetes methodologisches Selbstverständnis von einer Trennung des Normativen vom Positiven aus, war ihr Anspruch doch genuin politisch. Genau wie Mises’ Professur in New York wird Hayeks Professur nicht von der Universität, sondern vom rechts-konservativen Volker-Fund bezahlt. Dessen Vorsitzender Harold Luhnow, ein flammender Gegner von Roosevelts New Deal, beauftragte Hayek mit einer Neuauflage des »Weg zur Knechtschaft« – diesmal bezogen auf die amerikanischen Verhältnisse. In Chicago entsteht jedoch Hayeks zweites Hauptwerk »Die Verfassung der Freiheit« (1960). Hier nimmt sein Denken zu Markt, Wissen und gesellschaftlicher Ordnung eine tiefere, kohärentere Form an. 

Bereits in Salzburg als Professor tätig, nimmt Hayek am 11. Dezember 1974 dann den Nobelpreis entgegen. Einen Tag darauf ist er ins Stockholmer Rathaus eingeladen, hält eine Rede und warnt die Menschen vor der »Anmaßung des Wissens«, wie er es fast schon sein ganzes akademisches Leben getan hatte 7 Hayek 2007a, S.98

In dem Glauben, dass wir die Kenntnis und die Macht besitzen, die Vorgänge in der Gesellschaft ganz nach unserem Gutdünken zu gestalten, eine Kenntnis, die wir in Wirklichkeit nicht besitzen, werden wir nur Schaden anrichten. […] Er [der Mensch] wird daher, was immer er an Wissen erwerben kann, nicht dazu verwenden dürfen, um Ergebnisse zu formen wie der Handwerker sein Werk formt, sondern ein Wachsen zu kultivieren, indem er die geeignete Umgebung schafft, wie es der Gärtner für seine Pflanzen macht.

Hayek mahnt hiermit zur Demut gegenüber der gesellschaftlichen Naturwüchsigkeit. Was also darf der Mensch hoffen? Die Befreiung aus der eigenen Unmündigkeit steht in einer von ihm bevorzugten Welt der »freedom of choice« selbst nicht zur Wahl. Er hält die reflektierende, gestaltende Vernunft für unvereinbar mit der menschlichen Freiheit und verlangt, die organische Bewusstlosigkeit gedeihen zu lassen. Geschichtsphilosophisch zieht er eine Linie von der Französischen Revolution hin zum totalitären Staat. Es ist die menschliche Hybris, der Versuch der Beherrschung des Sozialen, sagt er, der den Terror bereits in sich birgt und deswegen scheitern muss. Hatten Adorno und Horkheimer in der »Dialektik der Aufklärung« (1944) eine ähnliche Bewegung vollzogen und dem Denken der Aufklärung ihren unbewussten Mythos vor Augen geführt, auf diese Weise die Vernunft aber radikalisiert, vollzieht Hayek genau den umgekehrten Schritt: Nicht die dem liberalen Rationalismus zugrunde liegende Unaufgeklärtheit, sondern der Anspruch einer Reflexion und Durchdringung der gesellschaftlichen Verhältnisse sei das Problem. So wird seine (Anti)-Theorie auch explizit zu einem »Glaubensbekenntnis« 8 Hayek 1991, S. 87 .

In Hayeks Vorstellung entwickelte sich die erweiterte Ordnung der Marktgesellschaft in Form eines kulturellen Evolutionsprozesses. Dieser wird von einem bewusstlosen Wettbewerb der Moralvorstellungen, Gebräuche und Institutionen als Treiber der Menschheitsgeschichte angetrieben 9 Hayek 2003, S. 61

Der Geist bringt nicht so sehr Regeln hervor, sondern besteht vielmehr aus Regeln des Handelns, d.h. aus einem Komplex von Regeln, die er nicht gemacht hat, sondern die einfach deshalb jetzt die Handlungen der Individuen leiten, weil sich Handlungen in Übereinstimmung mit ihnen als erfolgreicher erwiesen haben als die der konkurrierenden Individuen und Gruppen.

Da niemand weiß und wissen kann, welche Verhaltensweisen am effektivsten zum Vorankommen sind, manifestiert sich Urteilskraft nicht personengebunden, sondern durch »trial and error« in einem interaktiv-emergenten Prozess – dem Markt. Das Individuum nimmt dabei die Rolle einer Synapse im Gehirn ein, die Informationen vermittelt. In dieser Anthropologie billigt er dem Einzelnen zwar eine technisch-strategische Rationalität zu, um sich seiner nahen Umwelt anzupassen, jedoch kann das Individuum weder ein Verständnis der tieferen Ursachen noch der weitergehenden Folgen seines Handelns haben. Ignoranz wird damit zur Tugend. Noch konkreter heißt dies, dass Hayek den »Mann vor Ort« mit seinem impliziten Wissen über die lokalen Gegebenheiten glorifiziert. Um sinnvolle Entscheidungen zu treffen, reiche es diesem, nur einen begrenzten Ausschnitt der Welt zu kennen, die Preissignale im Blick zu haben und sich nach Ihnen zu richten, wie »etwa ein Techniker die Zeiger von ein paar Ziffernblättern beobachtet« 10 Hayek 2007, 66 .

Auch die Einteilung in eine gute und eine schlechte Aufklärung ist für Hayeks historisches Selbstverständnis entscheidend.  11 Hayek 1991, S. 65

Die Entwicklung einer Theorie der Freiheit fand hauptsächlich im 18. Jhdt. statt. Sie begann in 2 Ländern, nämlich England und Frankreich. Das erstere kannte die Freiheit, das zweite nicht.  

Während sich die französische Aufklärung nach Hayek des Missbrauchs der Vernunft schuldig gemacht hat, sei in der schottischen Aufklärung eines Adam Ferguson oder Adam Smiths die Einsicht um die Begrenztheit menschlicher Fähigkeiten und Gestaltungsmöglichkeiten als »result of human action but not of any human design« enthalten. So sehr Hayek bemüht ist, sich in die Reihe dieser Denker einzureihen, fällt der utopische Gehalt seiner Gesellschaftstheorie weit hinter den des britischen Liberalismus zurück. Denn die politische Ökonomie der schottischen Aufklärung ging von der Möglichkeit einer politisch vernünftig eingerichteten Ordnung aus. Das Zurückdrängen des merkantilistischen Staates und die Stärkung der Selbstgestaltungskräfte beruhte bei Smith auf der moralischen Hoffnung einer gleicheren und friedlicheren Gesellschaft. Hayek hingegen depolitisiert Ungleichheit und menschliches Leid rigoros und verbleibt auf der abstrakten Position verdinglichter, fetischisierter gesellschaftlicher Verhältnisse stehen. Sein Verständnis von Freiheit beruht auf einem »freiwilligen Konformismus« gegenüber geltenden Bräuchen und Traditionen, die der Mensch nicht nachvollziehen könne. Frei ist der Mensch, weil der Zwang durch die Regeln nicht von Personen direkt ausgeübt wird. Allerdings – im Falle der Rebellion, muss die »Gleichförmigkeit durch Zwang [ge]sicher[t]« werden 12 Hayek 1991, S. 78 , um die Regelmäßigkeit der Elemente in der freien Gesellschaft aufrechtzuerhalten. So muss Hayek als Vertreter der Gegenaufklärung gelesen werden, was er durch seinen Bezug auf den geisteswissenschaftlichen Positivismus eines Friedrich Karl von Savigny und den Konservatismus Edmund Burkes auch unterstreicht 13 etwa Hayek, 2002, S. 6 .

Die rechtliche Absicherung des Markts

Auf den ersten Blick könnte es seltsam anmuten, dass der Rechtsstaat in Hayeks Werk eine so dominante Rolle einnimmt – die Schaffung von Gesetzen muss doch ohne Frage zur bewussten politischen Gestaltung gezählt werden? In der Tat gibt es hier ein gewisses Spannungsfeld in Hayeks Bezügen zu liberalen und konservativen Traditionen. Doch ähnlich wie bei dem Verhältnis zur Aufklärung, liegt des Rätsels Lösung in Hayeks Einteilung in gutes und schlechtes Recht. Als Neoliberaler kritisiert er die Naivität des Laissez-Faire und ist sich durchaus bewusst, dass die Marktgesellschaft sich nicht selbst erhalten kann. Er unterscheidet aber ein Recht der Gesetzgebung und ein Recht der Freiheit. Erst mit der Geltung des Letzteren kann die spontane Ordnung aufblühen.

Das Recht der Freiheit wird nicht durch politischen Willen, gar durch eine Form der Volkssouveränität eingeführt, die Hayek für totalitär hielt. Das Recht der Freiheit besteht schon in der Autorität bewusstloser Handlungsgewohnheiten, womit Hayek seiner bereits beschriebenen evolutionären Dynamik folgt. Im Laufe der Geschichte muss es von Richtern freigelegt, ausformuliert und entsprechend einer »immanenten Kritik«, d.h. einer Prüfung der Verallgemeinerungsfähigkeit, angepasst werden 14 Hayek 2003, S. 122 . Er bezieht sich hier in den Worten eines bedeutenden Richters des 18 Jhdt. auf die Tradition des Gewohnheitsrechts, das »nicht aus Einzelfällen besteht, sondern aus allgemeinen Grundsätzen, die durch jene Fälle veranschaulicht und erklärt werden« 15 Hayek 2003, S. 89

Hayek erschafft eine Welt, in der es nur zwei Arten von Ordnung geben kann: die spontane, unbewusst gewachsene Ordnung der Marktwirtschaft oder die bewusst konstruierte kollektivistische Planwirtschaft. Diese harte Opposition führt dazu, dass er in jedem politischen Gestaltungsanspruch, der über die Sicherung der Wettbewerbsordnung hinaus geht, ein totalitäres Element ausmacht: »Die einzige andere Möglichkeit […] ist nicht das Schlaraffenland, sondern nur ein System von Befehlen und Verboten, denen wir zu gehorchen haben, und letzten Endes die Launen der Machthaber« 16 Hayek 2004, S. 86 . Er hat nicht vorrangig ‘die Linken’ zum Feindbild, sondern die soziale Planung, die die spontane Ordnung untergräbt. Es verwundert also nicht, wenn Hayek »Den Weg zur Knechtschaft« den Sozialisten aller Parteien widmet.

Die politische Autorität des Markts

Sicherlich hat Hayek mit der kulturellen Evolution eine spezielle Deutung des Marktfundamentalismus vorgenommen und unterscheidet sich in vielen Punkten von seinen ohnehin ideologisch diversen Mitstreitern in der Mont Pèlerin Society. Dennoch muss die konstitutiv gesetzte gesellschaftliche Bewusstlosigkeit des Marktes im Gegensatz zur demokratischen, politischen Gestaltung als eine Eigenschaft des Neoliberalismus verstanden werden. Zu dessen Durchdringung reicht es nicht aus, von konkreten Politiken der Privatisierung und Deregulation zu sprechen. Es ist eine Argumentation dafür, wie Wissen in der Gesellschaft erzeugt und legitimiert wird, die sich durch die verschiedenen neoliberalen Strömungen zieht und bis heute in der politischen Entscheidungsfindung extrem relevant ist: »der Markt WEIß es besser«, ist tief in unser kollektives Verständnis von Wirtschaft eingeschrieben. 

Im politischen Umgang mit der Klimakrise wird es ganz offenbar: Das Vertrauen durch Politik die Zukunft aktiv gestalten zu können, ist beinahe gänzlich abhanden gekommen. Gesellschaftliche Weichenstellungen in Form von Ordnungsrecht können kaum gesetzt werden, da sie Anmaßung wären und, wie wir es täglich in politischen Debatten erleben müssen, einen Konnex von »Befehl«, »Verbot« und »Planwirtschaft« nach sich ziehen. Lieber verweist man auf Preissignale und Technologieoffenheit, bis hin zu offensichtlichem Blödsinn, der selbst den Naturwissenschaften widerspricht. Zugleich wird, da die wahren Ursachen der Krise nicht reflektiert werden, das Fremde als feindlich erklärt und der Grenzschutz verstärkt, werden soziale Errungenschaften in Frage gestellt oder diskursiv offen bekämpft. Wie es derzeit aussieht, werden Adorno und Horkheimer auch ein weiteres Mal Recht damit behalten, wenn sie den Weg vom Aufschwung der Mythologie in die Barbarei beschreiben. Der Deutschrapper Disarstar bringt es auf den Punkt: »Diese Welt will uns nicht denkend, sondern funktionierend«.

Literatur

Polanyi, Karl (1922): Sozialistische Rechnungslegung, Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 49(2), Tübingen: Mohr Siebeck. 
Mises, Ludwig (1978): Erinnerungen, Stuttgart: Gustav Fischer Verlag.
Mises, Ludwig (1922): Die Gemeinwirtschaft: Untersuchungen über den Sozialismus, Jena: Gustav Fischer Verlag. 
Hayek, F. A. von. (2007). Die Verwertung des Wissens in der Gesellschaft. In V. Vanberg (Hrsg.), Wirtschaftstheorie und Wissen (S. 58–70), Tübingen: Mohr Siebeck.
Hayek, F. A. von. (2007a). Die Anmaßung von Wissen. In V. Vanberg (Hrsg.), Wirt-schaftstheorie und Wissen (S. 87–108), Tübingen: Mohr Siebeck.
Hayek, F. A. von. (1991): Die Verfassung der Freiheit (3. Aufl.), Tübingen: Mohr Siebeck.
Hayek, F. A. von. (2003): Recht, Gesetz und Freiheit: Eine Neufassung der liberalen Grundsätze der Gerechtigkeit und der politischen Ökonomie (V. Vanberg, Hrsg.), Tübingen: Mohr Siebeck.
Hayek, F. A. von. (2002): Wahrer und falscher Indvidualismus. In V. Vanberg (Hrsg.), Grundsätze einer liberalen Gesellschaftsordnung (S. 3–32), Tübingen: Mohr Siebeck.
Hayek, F. A. von. (2004): Der Weg zur Knechtschaft (M. E. Streit, Hrsg.; 4. Aufl), Tübingen: Mohr Siebeck.