Photo by Tingey Injury Law Firm on Unsplash

Klimaklagen – Auch hier ist ein neues Denken nötig

Der Klimawandel gefährdet die Menschen und ihre Rechte massiv, vor allem die der ärmsten Bevölkerungsteile. In zahlreichen Gerichtsurteilen wurden die Pflichten von Staaten und Unternehmen zu Klima- und Umweltschutz deshalb erhöht. Rechtsanwältin Miriam Saage-Maß beschreibt die aktuellen Entwicklungen und Handlungsbedarfe.

Das kommende Jahrzehnt wird entscheidend dafür sein, ob es uns gelingt, den von Wissenschaftler*innen prognostizierten Klimakollaps noch abzuwenden, zumindest aber zu mindern. Dabei wird allerdings ein wissenschaftsbasierter Ansatz allein keineswegs ausreichen, um eine wirklich gerechte Transition unserer Gesellschaften und Wirtschaftssysteme in ein klimaneutrales Zeitalter zu erreichen. Nötig dafür sind vielmehr ein menschenrechtsbasierter Ansatz sowie ein klares Verständnis für die historische Verantwortung für die Klimakrise und die überaus ungleiche Verteilung der durch den Klimawandel verursachten Schäden. 

Im Frühjahr 2021 stellte das Bundesverfassungsgericht – wie bereits pakistanische und kolumbianische Oberste Gerichtshöfe vor ihm – fest, dass Klimaschutz eine menschenrechtliche Pflicht des Staates ist. Insbesondere die Rechte zukünftiger Generationen spielen nach Auffassung des Gerichts bei der Umsetzung von Klimapolitik in der Gegenwart eine Rolle. Allerdings ist dieses Urteil nur ein erster Schritt. Eine Reihe wichtiger Fragen bleibt unbeantwortet: Wie soll mit der weltweit ungleichen Verteilung der Klimaschäden und ihrer Folgen umgegangen werden? Wie kann die historische Verantwortung westlicher Industrieländer und transnationaler Konzerne bei der Entschädigung von Klimaschäden in Ländern berücksichtigt werden, die wenig bis nichts zum Klimawandel beigetragen haben? Wie kann national und global sichergestellt werden, dass der notwendige wirtschaftliche und soziale Wandel gerecht und nicht auf Kosten marginalisierter Gruppen gelingt?

Der UN-Sonderberichterstatter für extreme Armut, Philip Alston, wies im Juni 2019 darauf hin, dass innerhalb eines Staates die ärmsten Bevölkerungsgruppen und weltweit die ärmsten Staaten die schwersten Folgen des Klimawandels tragen werden. Es droht eine Klima-Apartheid, wie Alston es nennt: Die ohnehin Reichen werden sich mit technischem Fachwissen so gut es geht schützen und trotz dramatischer Umweltschäden ein einigermaßen komfortables Leben finanzieren können. 

Die Armen werden notleidend zurückbleiben. Obwohl sie am wenigsten zum Klimawandel beitragen, sind es die Ausgegrenzten und Armen, die sich am wenigsten vor den negativen Folgen der Klimakatastrophe schützen können. Klimaschutzmaßnahmen müssen daher unter Berücksichtigung menschenrechtlicher Standards geplant und umgesetzt werden. Andernfalls droht die Einrichtung von Naturschutzgebieten oder CO2-Ausgleichsflächen auf Kosten der indigenen und armen Landbevölkerung zu gehen. Wenn etwa Aufforstungsprojekte oder Windparks nicht auf Golfplätzen oder Luxuswohngebieten durchgeführt, sondern auf dem Land ländlicher Gemeinschaften. Die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Menschenrechte bieten klare Maßstäbe für die Verteilung der Lasten des Klimawandels: Ein menschenrechtsbasierter Ansatz wird immer fragen, wer wie von bestimmten Klimaschutzmaßnahmen betroffen ist. Soziale und wirtschaftliche Rechte, wie das Recht auf Wasser, Land und angemessenen Wohnraum oder die Rechte indigener Gruppen, bieten klare Anhaltspunkte für staatliches Handeln und verpflichten Staaten, gefährdete Gruppen besser zu schützen, indem sie die Lasten gerecht verteilen. 

Miriam Saage-Maaß

Dr. Miriam Saage-Maaß ist Rechtsanwältin und Legal Director des ECCHR, wo sie das Programm Wirtschaft und Menschenrechte leitet. Sie arbeitet zu Verfahren gegen Unternehmen bei Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten. Zudem initiiert und begleitet sie verschiedene Strafverfahren gegen Manager*innen multinationaler Konzerne wegen deren Beteiligung an Völkerstraftaten. Sie schreibt regelmäßig zu diesen Fragestellungen und tritt international als Expertin im Bereich Unternehmensverantwortung und Menschenrechte auf. Außerdem ist sie u.a. Lehrbeauftragte an der Freien Universität Berlin.

Die Frage, wie mit der historischen und extraterritorialen Verantwortung westlicher Staaten und Unternehmen umzugehen ist, ist noch ungelöst. Die rechtliche und politische Debatte über die Verantwortung von Staaten und transnationalen Unternehmen für Schäden außerhalb ihres Hoheitsgebiets wird also in Zukunft noch stärker diskutiert werden müssen. Dabei werden sicherlich auch die nationalen Gerichte eine Rolle spielen. Die Klage eines peruanischen Landwirts gegen RWE ist vermutlich erst der Anfang.

Es reicht aber auch nicht aus, sich auf die sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte zu konzentrieren. Auch die Rechte der Natur müssen berücksichtigt werden. Um eine gerechte Transition hin zur Klimaneutralität zu ermöglichen, müssen sich die westlichen Gesellschaften und Rechtssysteme mit der wissenschaftlich erwiesenen Tatsache auseinandersetzen, dass Mensch und Natur so eng miteinander verwoben sind, dass der Erhalt der Menschenrechte in hohem Maße von einem intakten Klima, einer intakten Umwelt abhängt. Um die sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte zu gewährleisten, bedarf es also mehr als angemessener staatlicher Sozialpolitiken. Auch hier sind außereuropäische Gerichte Vorreiter: Ob in Indien, Neuseeland, Guatemala, Ecuador oder Kolumbien, immer mehr Gerichte erkennen an, dass auch die Natur eine Rechtspersönlichkeit hat. Die Rechte der Natur dürfen dabei gerade nicht gegen die Rechte der Menschen, die von ihr abhängen, durchgesetzt werden, wie es bei manchen Naturschutzprojekten den Anschein haben mag. Der UN-Menschenrechtsrat hat diese bemerkenswerte Entwicklung erkannt und im Oktober 2021 eine Resolution verabschiedet, die das Menschenrecht auf eine gesunde Umwelt anerkennt und die Auffassung vertritt, dass Menschenrechte und Umwelt zusammen gedacht werden müssen. Es wurde auch ein Sonderberichterstatter für Menschenrechte und Klima ernannt. 

Um einen gerechten Umgang mit der Klimakrise zu finden, dürfen wir uns nicht allein auf die Klimaschutzmaßnahmen zur Wahrung von Freiheitsrechten konzentrieren. Vielmehr muss die Klimakrise in den Kategorien der sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte gedacht werden, die westlichen Gesellschaften müssen sich ihrer historischen Verantwortung klar werden gegenüber den Gesellschaften des globalen Südens, auch im rechtliche Sinne. Und wir müssen Menschenrechte viel stärker im Zusammenspiel mit der Natur verstehen. Nur dann werden wir den von Alstom vorhergesehen Zustand der Klima-Apartheid entgehen können.