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Mit Aktien die Rente retten?

Finanzminister Lindner hat seinen Masterplan für eine Aktienrente vorgestellt. Ein Vorhaben, das mittlerweile „Generationenkapital“ statt Aktienrente heißt. Lukas Scholle und Maurice Höfgen warnen in ihrem Beitrag vor den Folgen einer Finanzialisierung der gesetzlichen Rente.

Ob Wahlkampf oder nicht: Die Rente ist ein Dauerbrenner. Leider hat die deutsche Rente ein Altersproblem: Immer mehr Rentner, immer weniger Erwerbstätige. Die Ampel will sich wie Highperformer Henning aus dem Problem heraus investieren, manche würden sagen: heraus spekulieren. Dafür hat Finanzminister Lindner seinen Masterplan für eine Aktienrente vorgestellt. Ein Vorhaben, das dem Koalitionsvertrag entspringt, und mittlerweile einen neuen Namen trägt: „Generationenkapital“ statt Aktienrente. Das Problem: Aktien können die Rente gar nicht retten. Eher geraten sichere Renten durch jeden weiteren Schritt in Richtung Aktienrente in Gefahr. Hinter Lindners Plänen verbergen sich nämlich große makroökonomische Widersprüche.

Ausgangsproblem: Demographie

Der demographische Wandel setzt das derzeitige Umlagesystem der Rente unter Druck. Weil immer mehr Alte in Rente gehen und immer weniger Junge erwerbstätig werden, reduziert sich für die Rentenkasse die Menge der Beitragszahler und erhöht sich die Menge der Beitragsempfänger. Früher haben sechs Beitragszahler einen Rentner finanziert, in einigen Jahren sind es nur noch zwei. Aus dieser numerischen Verschiebung folgt schon heute eine monetäre Verschiebung: Die Summe der Einzahlungen ist kleiner als die Summe der Auszahlungen. Daraus resultiert, dass der Bund schon heute Jahr für Jahr mehr als 100 Milliarden EUR aus dem Haushalt in den Rententopf zuschießt. 

Während die öffentliche Debatte sich um die Löcher in der Rentenkasse dreht, ist das wahre Rentenproblem aber ein ganz anderes: entscheidend ist nämlich die reale Produktivität. Also wie viel die Erwerbstätigen produzieren und wie dieser Kuchen dann verteilt wird. Erst aus der Produktivität der Arbeitenden und dessen Verteilung ergibt sich, wie viele Nicht-Arbeitende versorgt werden können. So gibt es heute eben nicht nur mehr Rentner, es gibt auch eine um 40 Prozent höhere Wirtschaftsleistung als in den letzten drei Jahrzehnten. Bereits diskutierte Antworten, die vom Renteneintrittsalter über den Beitragssatz oder die Beitragsbemessungsgrenzen der Einzahlenden bis hin zur Auszahlungshöhe der Empfangenden reichen, beeinflussen jedoch sowohl die Produktivitäts- als auch die Verteilungsfrage. Sie setzen alle an der ersten Säule des Rentensystems an: dem Umlagesystem. Dieses System, in welchem die Rentenbeiträge der Einen zeitnah die Rentenzahlung der Anderen sind, soll nun ergänzt werden. 

Lukas Scholle

Lukas ist Ökonom und als wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Bundestag tätig. Nebenbei ist er Redakteur für Finanzthemen bei Jacobin. Darüber hinaus veröffentlicht er wöchentlich den Podcast »Wirtschaftsfragen«, wo er Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik interviewt.

Aktienrente ist nicht gleich Aktienrente 

Da sich die Politik um große Reformen der Rente drückt, soll es eine Kapitaldeckung aka Aktienlösung geben. Im Kern bedeutet das, dass ein Teil der zukünftigen Rentenzahlungen aus einer Kapitaldeckung getätigt werden soll. Bedeutet: Es sollen durch einen an der Börse in Form von Aktien und Anleihen angelegten Vermögensbestand Renditen erwirtschaftet werden, um künftige Rentenzahlungen zu finanzieren. Für diese Kapitaldeckung gibt es ganz unterschiedliche Modelle und Ansätze, die alle miteinander gemeinsam haben, dass aus einem an der Börse investierten Vermögensbestand die Rente zum Teil finanziert werden soll.

Einen Ansatz findet man bei der FDP, die eine „gesetzliche Aktienrente“ im Wahlkampf gefordert hat. So könnte „ein kleinerer Betrag von zum Beispiel zwei Prozent des Bruttoeinkommens in eine langfristige, chancenorientierte und kapitalgedeckte Altersvorsorge angelegt werden, die als Fonds unabhängig verwaltet wird, eben die gesetzliche Aktienrente.“ Diese Forderung setzt unmittelbar an der ersten Säule des Rentensystems, der gesetzlichen Rentenversicherung, an. Denn diese 2 Prozent sind als Umwidmung der jetzigen Beiträge zum Umlagesystem zu verstehen. 

Die Grünen fordern ein anderes Modell der Aktienrente: Der sogenannte Bürger*innenfonds, der die dritte Säule des Rentensystems, die private Vorsorge, reformieren soll. So heißt es bei ihnen: „Eine kapitalgedeckte Altersvorsorge kann das Umlagesystem sinnvoll ergänzen. (…) In den Bürger*innenfonds zahlen alle ein, die nicht aktiv widersprechen.“ Bemerkenswert, dass alle Bürger per Default am Kapitalmarkt partizipieren sollen.

Ähnliches forderte auch die SPD. So setzt die Partei sich „für ein neues standardisiertes Angebot ein, das kostengünstig ist, digital und grenzüberschreitend und (nach schwedischem Vorbild) auch von einer öffentlichen Institution angeboten wird“. Ob dieses Modell wie die FDP an der 1. Säule, der gesetzlichen Rentenversicherung oder wie die Grünen an der 3. Säule ansetzt, der privaten Altersvorsorge, wird aus dem Wahlprogramm nicht ersichtlich. Die Referenz auf Schweden impliziert aber eine Orientierung am FDP-Modell.

Die Ampel-Aktienrente

Das sind aber noch nicht alle Varianten: Auch die Ampel plant mit dem Generationenkapital eine Art der Aktienrente, die wiederum an einer anderen Stelle ansetzt: An der Finanzierung des Bundeszuschusses. So soll der Bund einen Fonds mit 10 Milliarden Euro schaffen (aus Neuverschuldung), die dann an der Börse angelegt werden. Dessen Erträge sollen perspektivisch der gesetzlichen Rentenversicherung zufließen und den Bundeszuschuss ablösen. Diesen Vorgang der Kapitalbildung möchte Finanzminister Christian Lindner sogar jährlich wiederholen, was bisher anscheinend noch keine Regierungsposition ist. Unklar ist überdies auch, ob mit dem Aktienrente-Gesetz auch ermöglicht wird, dass die Rentenversicherungen ihre Reserven an die Börse bringen können. Das ist immerhin im Koalitionsvertrag vereinbart und umfasst einmalig weitere 40 Milliarden Euro. Dabei geht es also nicht nur um grundlegende Reformen der 1. Säule des Rentensystems, auch die 3. Säule, die private Altersversorgung, möchte die Ampel im Rahmen einer Fokusgruppe private Altersvorsorge laut Koalitionsvertrag „grundlegend“ reformieren. So soll zum Beispiel ein „Angebot eines öffentlich verantworteten Fonds mit einem effektiven und kostengünstigen Angebot mit Abwahlmöglichkeit“ geprüft werden.

Das sind alle Varianten der Aktienrente. Sie unterscheiden sich bei den Anküpfungsstellen im Rentensystem, bei den jeweiligen Handlungsspielräumen und bei den ökonomischen Folgen. Im Kern handelt es sich bei allen Varianten aber um Aktienrenten. Zumindest dem Vorschlag der Ampel kann man aus progressiver Sicht auch etwas Gutes abgewinnen: So ist dieser Vorschlag vor allem ein Zeichen mangelnder finanzieller Handlungsfähigkeit des Staates bei den Themen Steuern und Schulden. Jener Handlungsspielraum soll durch die Kapitalerträge ausgeweitet werden. Darüber hinaus handelt es sich bei den 10 Milliarden für den Fonds um eine finanzielle Transaktion. Diese Schulden fallen also nicht unter die Kreditobergrenze der Schuldenbremse, da es sich zwar um eine Ausgabe handelt, für den im Gegenzug aber ein Vermögenstitel erworben wird. Ein Aktivtausch im Ökonomensprech.

Aktienrenten sind ein Dammbruch

Allerdings ist der Plan der Ampel ein Dammbruch hin zur Finanzialisierung. Denn über den Fonds soll – je nach Ausgestaltung – eine mehr oder minder fundamentale Finanzierungsfunktion erfüllt werden. Und das bei einer der ureigensten Funktionen des Sozialstaats: der Rente. Die Basis dessen ist die Rendite, die am Kapitalmarkt erzielt werden soll. Je größer sie ist, desto höher kann der Rentenzuschuss ausfallen. Das bedeutet, dass es mindestens implizit erheblichen Druck zur Renditemaximierung gibt. Am Beispiel der Pensionsfonds in den USA lässt sich erahnen, wohin das hinführen kann: Das Erschließen von immer weiteren Anlageklassen wie den Hedge- und Private Equity Fonds – samt der ganzen negativen realwirtschaftlichen Folgen.

Aber nicht nur das – auch die Finanzialisierung der gesetzlichen Rente an sich könnte aus der Einführung der Aktienrente folgen. Mit ihr wird schließlich der Grundstein dafür gelegt, auch die Rentenbeiträge mit den Kapitalmärkten aufzubessern. Nach dem Motto: Wenn man das bereits beim Bundeszuschuss macht, warum dann nicht auch mit den Rentenbeiträgen? So oder so ähnlich könnte künftig die Erzählung der Liberalen lauten. Bei der 3. Säule des Rentensystems, wo die automatische Teilnahme am Kapitalmarkt (mit Abwahlmöglichkeit) schon vorgesehen ist, scheint dieses Argument bereits Konsens zu sein. 

Maurice Höfgen

Maurice ist Ökonom und Betriebswirt. Derzeit ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Bundestag tätig. Er ist Vertreter der Modern Monetary Theory und hat 2020 das Buch »Mythos Geldknappheit« veröffentlicht. 2022 ist sein Buch »Der neue Wirtschaftskrieg« erschienen, 2023 sein Buch »Teurer!«. Regelmäßig veröffentlicht er informative Videos zu ökonomischen Themen auf seinem YouTube-Kanal »Geld für die Welt«.

Makroökonomische Widersprüche

Dabei haben alle Formen der Aktienrente die gleichen makroökonomischen Widersprüche, denn der Fokus ist nur auf den finanziellen Aspekt der Rente und nicht auf den realwirtschaftlichen Aspekt gerichtet. Es kommt aber darauf an, wie viel produziert wird und wie das Produzierte dann verteilt wird. Dafür kann man auch das vom Soziologen Gerhard Mackenroth 1952 aufgestellte Theorem heranziehen: „Nun gilt der einfache und klare Satz, dass aller Sozialaufwand immer aus dem Volkseinkommen der laufenden Periode gedeckt werden muss.” Auf beides, wie viel produziert und wie es verteilt wird, hat die Aktienrente aber kaum nennenswerten Einfluss. Denn weder ändert sie etwas an den großen Verteilungsfragen, da es hier um individuell recht marginale Vermögenseinkommen geht, noch erhöht sie die Produktivität, da sie nicht zurück in die Realwirtschaft fließt. Auch bei einer weitaus höheren Anlagesumme blieben diese Effekte bestehen. Viel eher schadet die Aktienrente der Wirtschaft also – insbesondere, wenn auf ihr aufbauend das bisherige Umlagesystem schrittweise durch eine Kapitaldeckung ersetzt wird.

Beim Umlagesystem fließt nämlich jeder Euro relativ schnell wieder in den Konsum, also die Realwirtschaft. Bei den Aktienrenten hingegen zirkuliert das Kapital am Finanzmarkt und kommt viel langsamer – wenn überhaupt – in die Realwirtschaft zurück. Insbesondere, wenn unterschiedliche Modelle der Aktienrente umgesetzt werden, schlägt der realwirtschaftliche Aspekt zu Buche. Beim Ampel-Vorhaben verschiebt der Staat nämlich Kaufkraft in die Zukunft mit seinem Zuschus. Beim FDP-Modell wird wiederum die Kaufkraft der Rentenbeiträge in die Zukunft verschoben und beim Grünen-Modell wird selbiges mit einem Teil des Nettoeinkommens der Menschen gemacht. All das stärkt aber nicht die Renten der Zukunft, sondern schwächt sie, da die realwirtschaftliche Basis geschwächt wird. Das bringt uns im Endeffekt zum Sparparadoxon von Keynes. Denn alle Akteure reduzieren ihre Nachfrage und „sparen“. Dadurch reduziert sich das gesamtwirtschaftliche Einkommen. 

Gleichzeitig fußt die Rendite, die all diese Aktienrenten erbringen sollen, zum Teil auf Dividenden von internationalen Unternehmen. Jene Dividenden sind aus der Sicht marxistischer Denkschulen eine der ureigensten Formen der Mehrwertaneignung. Jenes Mehrwerts, den die Arbeiter geschaffen haben, aber nicht ausbezahlt bekommen haben. Durch das international angelegte Kapital würde auch diese Mehrwertaneignung internationalisiert werden. Auch den wirtschaftsdemokratischen Aspekten der Aktienrente, die einige Liberale zur Verteidigung der Aktienrente vorbringen, kann die Aktienrente nicht erfüllen. Denn die Aktienrente wird keine Mehrheitsverhältnisse in den Unternehmen kippen. Dafür ist sie in Relation zum restlichen Kapitalmarkt viel zu klein und viel zu zerstreut. Das würde sich auch bei einer deutlichen Ausweitung nicht ändern. Darüber hinaus ist an der Aktienrente zu kritisieren, dass sie nicht zu vernachlässigende verteilungspolitische Implikationen hat. Insbesondere bei steigendem Anlagevolumen tritt der Fonds nämlich immer wieder als Käufer auf dem Kapitalmarkt auf. Somit ist die Aktienrente im Endeffekt zugleich ein Abkauf- und Subventionsprogramm für Aktienhalter, die dann ihre Gewinne realisieren können. 

Die Alternative

Was es für eine sichere Rente braucht, ist daher relativ offensichtlich. So braucht es einerseits eine Lösung bei der Finanzierungsfrage und andererseits Fortschritte bei der Produktivitätsfrage. Beides geht die Aktienrente der Ampel aber nicht an. Auch könnte die Rente durch die anderen Varianten der Aktienrenten gar noch verschlechtert werden. Ein Ansatz zur Lösung der Finanzierungsfrage wäre eine Erhöhung oder gar Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenzen, um jene an der Finanzierung der Rente stärker zu beteiligen, die über gute bis Höchsteinkommen verfügen. Ab 7.100 EUR in den neuen und 7.300 € in den alten Bundesländern fallen nämlich keine weiteren Rentenbeiträge an. Gleichzeitig könnte die Anzahl der Einzahlenden ausgeweitet werden, indem Beamte wie Politiker in die gesetzliche Rente einzahlen, was entweder große Personengruppen oder hohe Einkommen umfasst. Daneben könnte auch die finanzielle Handlungsfähigkeit des Staates bei der Schuldenbremse und den Steuern ausgeweitet werden, um die Flexibilität beim Bundeszuschuss zu erhöhen. Die Erweiterung des Handlungsspielraums durch Steuern hätte zugleich eine umverteilende Wirkung, da jene Reichen über Steuern mehr zahlen könnten, als sie über eine Anhebung des Rentenniveaus durch einen Bundeszuschuss gewinnen würden. Auf der anderen Seite braucht es eine gutlaufende Wirtschaft – samt hoher staatlicher und privater Nachfrage. Das gelingt nicht, indem Kaufkraft in die Zukunft verlagert wird, sie muss vielmehr im Hier und Jetzt gestärkt werden. Auch das würde die finanzielle Lage der Rente entspannen, da zum Beispiel auf höhere Löhne auch höhere Beiträge folgen.  All das würde die Rente nicht finanzialisieren und das Fundament jedweder Renten – die realwirtschaftliche Produktion – verbessern.