Republik und Demokratie

Rechtspopulisten wollen die Demokratie schützen oder retten. Aber in ihrem populistischen Demokratieverständnis sind sie eine Bedrohung für die Republik. Es braucht daher ein öffentliches Bewusstsein für die republikanischen Elemente und Institutionen unserer parlamentarischen Demokratie, schreibt Paul Bräutigam.

Vermutlich wird man in der Debatte rund um den Umgang mit der »Alternative für Deutschland« wenige Sätze so häufig gehört haben wie jenen, der dazu aufruft, die Demokratie vor ihren Feinden zu schützen. Die »Demokraten« in den USA machten den Schutz der Demokratie sogar zu einem Wahlkampfthema – mit überschaubarem Erfolg, wie man heute festhalten muss. Doch auch in Deutschland gehen regelmäßig Menschen für Demokratie und »gegen Rechts« auf die Straße. So begrüßenswert das im Grundsatz ist, kommt man angesichts der jüngsten Entwicklungen insbesondere in den USA nicht umhin, sich die Frage zu stellen, ob es wirklich »die Demokratie« ist, die es zu schützen gilt oder ob sich diese Erzählung nicht in letzter Konsequenz als fatale Sackgasse erweisen wird. Sie kann die drohenden Gefahren weder zielgenau erfassen noch ihnen etwas wirkungsvoll entgegensetzen. Zu verteidigen sind vielmehr die Republik und ihre Institutionen.

»Sie sind gegen ihn, weil er für euch ist.« Mit diesem Slogan zog schon der Urvater des österreichischen Rechtspopulismus, Jörg Haider, in den Wahlkampf und er ist seitdem von FPÖ und AfD vielfach wiederverwendet und kopiert worden. Bereits hier deutet sich an, warum das Narrativ von der Verteidigung der Demokratie in der Auseinandersetzung mit einem ihrer größten Gegner zum Scheitern verurteilt ist. Die Gegenseite führt – in ihrer eigenen Logik – den gleichen Kampf. Ein Blick auf Jan-Werner Müllers Populismusdefinition verdeutlicht das Problem 1 Jan-Werner Müller: Was ist Populismus? Ein Essay. Berlin, Suhrkamp 2016. :

Populismus, so meine These, ist eine ganz bestimmte Politikvorstellung, laut der einem moralisch reinen, homogenen Volk stets unmoralische, korrupte und parasitäre Eliten gegenüberstehen – wobei diese Art von Eliten eigentlich gar nicht wirklich zum Volk gehören.

Wenn Demokratie gemeinhin als die Herrschaft des Volkes begriffen wird und sich der Rechtspopulismus als Vertreter des Volkes im Kampf gegen eine korrupte Elite versteht, dann ist er in seiner eigenen Logik selbst Verteidigung der Demokratie. Die Demokratievorstellung der Populisten unterscheidet sich allerdings bei genauerer Betrachtung deutlich von dem, was die Demonstranten wohl verteidigen wollen, wenn sie für die Demokratie auf die Straße gehen.  

Paul Bräutigam

Paul Bräutigam hat Germanistik sowie Politik & Wirtschaft auf Lehramt an Gymnasien studiert. Seit 2022 ist er Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich der germanistischen Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik an der Universität Kassel und promoviert dort. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der literarischen Europabildung sowie in der Erforschung der Rolle von Literatur im Zusammenhang mit dem Aufstieg des Rechtspopulismus in Deutschland.

Die populistische Auffassung von Demokratie gründet auf der Vorstellung eines homogenen und geschlossenen Volkes, das als einheitlicher Souverän betrachtet wird. Diese Perspektive steht im Widerspruch zu einem pluralistischen Gesellschaftsverständnis und begegnet politischer Vielfalt mit Skepsis und Ablehnung. Zentral ist dabei die Forderung nach einer unmittelbaren Umsetzung des vermeintlich einheitlichen Volkswillens, wodurch eine identitäre Demokratievorstellung gefestigt wird. Die von Populisten oft als Ausweis ihrer demokratischen Gesinnung ins Schaufenster gestellte direkte Demokratie funktioniert genau nach diesem Muster: Der Mehrheitswille erhält absolute Priorität gegenüber den Rechten von Minderheiten, während vom politischen Entscheidungsprozess eine uneingeschränkte Anpassung an diesen Willen erwartet wird. Das Prinzip der Repräsentation, des Interessenausgleichs und der Berücksichtigung individueller Abwehrrechte gegenüber staatlicher Autorität werden abgelehnt.

Dabei stellt es auch kein Hindernis dar, dass rechtspopulistische Parteien in den seltensten Fällen über eine tatsächliche Mehrheit nach Wahlen und Abstimmungen verfügen. Hat man bei der Wahl zumindest eine relative Mehrheit erlangt, wird gerne der sogenannte »Volkswille« in Stellung gebracht, der es nun de facto gebiete, dass die populistische Partei eine Regierung anführe. Bedauerlicherweise muss man zumindest für den deutschen Diskurs festhalten, dass es der »Volkswille« auch hierzulande immer öfter in die Analyse politischer Kommentatoren schafft. Gleichzeitig scheitern aber sowohl Kommentatoren als auch Rechtspopulisten daran, schlüssig darzulegen, warum sich aus einer relativ gewonnenen Wahl zwingend der Anspruch ableiten sollte, dass einem die anderen Parteien zu jener parlamentarischen Mehrheit verhelfen müssen, die man ja nun gerade verfehlt hat. Hat man auch die relative Mehrheit verfehlt, bleibt immerhin noch die Rückzugsposition der schweigenden Mehrheit, die einen zwar nicht elektoral, aber immerhin geistig-moralisch unterstütze.

Demokratie contra Republik

Was hier jenseits einer gewissen Polemik deutlich werden sollte: Populistische Demokratievorstellungen setzen auf Majoritarismus, Anti-Pluralismus und ein besonders hohes Maß an Unmittelbarkeit im Prozess demokratischer Entscheidungen. Was Populisten von den eingangs erwähnten Demonstranten unterscheidet, ist also weniger ihr formales Eintreten für die Demokratie, sondern vielmehr ihre Ablehnung zentraler republikanischer Prinzipien. Dazu gehören das parlamentarische Repräsentationssystem, die durch die Verfassung garantierten individuellen Abwehrrechte sowie das politische Mehrebenensystem. Das letztere – das in Deutschland geprägt ist durch den föderalen Aufbau der Bundesrepublik und ihre Einbindung in die Europäische Union – verhindert strukturell eine übermäßige Konzentration exekutiver Macht.

Besonders bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass sich hier in den letzten Jahren ein diskursiver Paradigmenwechsel beobachten lässt. Bekannte sich Viktor Orbán in Ungarn einst noch offen zur »illiberalen Demokratie«, nehmen Populisten inzwischen immer öfter für sich in Anspruch, die Demokratie retten und wiederherstellen zu wollen bzw. dem Volk die ihm zustehende Macht zurückzugeben. Im Namen der Demokratie und qua legitimatorischer Berufung auf den Volkswillen soll dann mit dem Rückbau republikanischer Institutionen begonnen werden.

Aber wie lässt sich der Angriff auf die Republik unter dem Deckmantel der Berufung auf die Demokratie rechtfertigen? Die inzwischen zahlreichen Beispiele rechtspopulistischer Parteien und Regierungsbeteiligungen zeigen, dass es in erster Linie vier zentrale Prinzipien der republikanischen Demokratie sind, deren Beseitigung die Populisten fast immer anstreben: 1.) individuelle Abwehr- und Freiheitsrechte 2.) Die Rechte parlamentarischer Minderheiten zur effektiven Kontrolle der Mehrheit 3.) Mittel und Möglichkeiten der Opposition nach der nächsten Wahl (friedlich) die Regierung wieder übernehmen zu können und 4.) die effektive gerichtliche Kontrolle der ersten drei Prinzipien.

Individuelle Freiheits- und Abwehrrechte besitzen in den meisten parlamentarischen Demokratien Verfassungsrang und dienen dem Schutz des Individuums gegenüber der Staatsgewalt. Ihre Kodifizierung innerhalb der Verfassung ergibt jedoch nur Sinn, wenn sie dem Zugriff der einfachen Mehrheit entzogen sind und effektiver Rechtsschutz zu ihrer Durchsetzung besteht. Daraus folgt wiederum, dass – wie es bereits Hans Kelsen formulierte – »der Katalog von Grund- und Freiheitsrechten aus einem Schutz des Individuums gegen den Staat zu einem Schutz der Minderheit, einer qualifizierten Minderheit, gegen die bloß absolute Mehrheit wird.« Doch genau hieran nehmen Populisten Anstoß, denn der republikanische Minderheitenschutz unterläuft das Majoritätsprinzip, begrenzt Macht- und Gestaltungsraum der Exekutive und setzt nicht zuletzt darauf, dass sich zumindest eine nicht qualifizierte Mehrheit mit einer qualifizierten Minderheit verständigen muss, um die entsprechenden Policy-Vorstellungen durchsetzen zu können. Ein solches Verfahren ist jedoch mit der populistischen Demokratiekonzeption bzw. mit der unmittelbaren Durchsetzung eines Volkswillens nicht vereinbar und wird daher in der Regel abgelehnt und dort, wo es möglich ist, beschnitten und zurückgebaut.

Ähnliches lässt sich für die Rechte parlamentarischer Minderheiten festhalten. Auch hier werden die Handlungsmöglichkeiten der Mehrheit effektiv begrenzt. Die parlamentarische Minderheit wiederum kann ihre Möglichkeiten einerseits dazu nutzen, Öffentlichkeit herzustellen und beispielsweise Verfahren zu verzögern, sie kann die Mehrheit aber auch zur Kooperation nötigen, wenn besonders weitreichende Änderungen (z. B. Verfassungsänderungen) beschlossen werden sollen. Während die notwendigen Quoren für Verfassungsänderungen oftmals selbst Verfassungsrang besitzen und/oder unabänderlich sind, werden konkrete Mitwirkungsrechte parlamentarischer Minderheiten dagegen nicht selten über den Weg der Geschäftsordnung geregelt.

Ein anschauliches Beispiel hierfür ist der US-Senat und die Möglichkeit der Senatsminderheit, bestimmte Gesetzesvorhaben durch den sogenannten Filibuster, also die Androhung einer unendlichen Debatte, zu blockieren. Da die Redezeit im Senat dem Grundsatz nach nicht begrenzt ist, bedarf es schließlich einer Mehrheit von 60 Senatoren um eine Debatte zu beenden. Eine einfache Mehrheit reicht hier also nicht aus, weswegen das Instrument häufig von der Senatsminderheit genutzt wurde, um der einfachen Senatsmehrheit einen Kompromiss abzuringen. Unter Präsident Trump änderten die Republikaner jedoch ihr Verhalten und veränderten in entscheidenden Debatten die Geschäftsordnung dahingehend, dass nun anstatt einer qualifizierten Mehrheit eine einfache Mehrheit reichte, um ein Ende der Debatte herbeizuführen. Der Filibuster als Werkzeug der parlamentarischen Minderheit war entschärft und durch die unmittelbare Durchsetzung des Majoritätsprinzips ersetzt worden. Das Verhalten der Republikaner war nicht per se undemokratisch, brach jedoch trotzdem mit einer traditionsreichen Norm des parlamentarischen Minderheitenschutzes.

Der dritte zentrale Eingriff in die Minderheitenrechte bezieht sich darauf, deren Chancen auf eine Machtübernahme zu minimieren. Viktor Orbán hat beispielsweise in Ungarn ein System geschaffen, das es ihm nahezu unmöglich macht, eine Wahl zu verlieren. Dabei erscheinen drei Aspekte zentral. Erstens werden die Möglichkeiten der Opposition beschnitten, in der Öffentlichkeit stattzufinden und Werbung für sich machen zu dürfen. Auf einer zweiten Ebene finden häufig Wahlrechtsänderungen statt; da der genaue Ablauf der Wahl zumeist über ein einfaches Gesetz geregelt wird, kann selbiges auch mit einfachen Mehrheiten abgeändert werden. Stoßrichtung ist hier fast immer der großflächige Neuzuschnitt von Wahlbezirken zugunsten der Regierungspartei. Drittens schließlich erfolgt über verschiedene Mittel und Wege eine strukturelle Demobilisierung der Wählerschaft von Oppositionsparteien, indem für die Stimmabgabe systematisch Hürden eingebaut werden, die gewisse Gruppen und Milieus an der Stimmabgabe hindern sollen.

Am Anfang steht die Gleichschaltung der Justiz

Gelingensbedingung für die hier aufgeführten Eingriffe ist die Beschneidung der gerichtlichen Kontrolle der Exekutive. Bestrebungen die Unabhängigkeit der Justiz einzuschränken liegt meist die Überzeugung zu Grunde, dass gerichtliche Kontrolle mangels direkter demokratischer Legitimation dem Volkswillen entgegenstehen und der Rechtstaat deshalb in einem antagonistischen Verhältnis zur Demokratie steht. Da eine komplette Beseitigung der Verfassungsgerichtsbarkeit ohne offenen Putsch aber nur in den seltensten Fällen möglich ist, besteht das zentrale Einfallstor für eine Beeinflussung in der Besetzung der Richterposten sowie in der Beschneidung der gesetzlich festgelegten Zuständigkeiten. 

Dabei sind wiederum zwei Fragen entscheidend: 1.) Wie stark ist das Verfassungsgericht politisiert und 2.) wie explizit ist die Verfassung selbst gestaltet? Zur Verfassungsgestaltung lässt sich bemerken, dass je offener die Formulierungen im Verfassungstext gewählt sind, desto größer ist auch der Spielraum, der den Gerichten in ihrer Funktion als letztverbindlicher Auslegungsinstanz zukommt. Auslegungsbedürftige Verfassungsbegriffe sind, das kommt entscheidend hinzu, keine rein juristischen Begriffe, sondern immer auch politisch aufgeladene Kategorien. Wenn Verfassungsgerichte über Begriffe wie Menschenwürde, Gleichheit oder Gemeinwohl entscheiden müssen, tun sie das nicht im luftleeren Raum juristischer Neutralität, sondern in einem normativen Spannungsfeld, das von gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen geprägt ist. Je offener und/oder umkämpfter die Begriffe sind, desto größer ist auch immer der politische Gehalt ihrer juristischen Auslegung, wodurch der Frage wer sie auslegt, unmittelbar große Bedeutung zukommt. 

Eine starke Politisierung des Verfassungsgerichts bei gleichzeitig enorm auslegungsbedürftiger Verfassung erhöht also die tatsächliche Macht des Gerichts, was Eingriffe in seine Zusammensetzung umso lohnenswerter macht. Auch hier kann der US Supreme Court als ein anschauliches Beispiel angeführt werden. Einerseits ist das Verfassungsgericht stark politisiert und andererseits ist die US-amerikanische Verfassung enorm auslegungsbedürftig, was dazu führt, dass seine zukünftige Form (z.B. die Zahl der Richter) und Besetzung des Gerichts fortwährender Gegenstand parteipolitischer Instrumentalisierung sind.

Auch in Deutschland hat man die Bedeutung erkannt, die dem Verfassungsgericht als »Hüter der Verfassung« zukommt. Man hat verstanden, dass das Bundesverfassungsgericht erster und primärer Angriffspunkt populistischer Parteien und Bewegungen sein wird, sobald diese Parteien die Regierung anführen. Die von Ampel und Union vorgenommene Grundgesetzänderung im letzten September , soll das Verfassungsgericht deshalb vor dem Zugriff einer einfachen Mehrheit schützen. Im Kern ist sie die Antizipation des populistischen Demokratieverständnisses der AfD, indem man erwartet, als Minderheit übergangen zu werden, insofern man nicht die entsprechenden Vorkehrungen trifft.

Diese Ausführungen zeigen: Die Demokratie retten zu wollen ist ein ehrenvolles Anliegen, das der tatsächlichen Bedrohung der Republik allerdings nicht gerecht wird. Auch Populisten wollen ihrem Selbstverständnis nach die Demokratie schützen oder retten. Aber in ihrem populistischen Demokratieverständnis sind sie eine Bedrohung für die Republik. Es braucht daher viel mehr als bisher ein öffentliches Bewusstsein für die republikanischen Elemente und Institutionen unserer parlamentarischen Demokratie, deren Ziel und Bestimmung es ja gerade ist, die Demokratie selbst einzuhegen und sicherzustellen, dass eine Tyrannei der Mehrheit den (imaginierten) »Volkswillen« nicht einfach gegen Minderheitenrechte und Rechtsstaatlichkeit durchsetzen kann. Überhaupt ist es das Verhältnis von Politik und Recht, dessen einseitige Auflösung hin zu einer der beiden Seiten die republikanische Demokratie zu unterbinden versucht. Und es ist dieses Anliegen, das sie so schützenswert macht.