Fotografie Bettmann / Corbis

Von den Grenzen der Bezahlbarkeit zu den Grenzen des Tuns

»Alles, was wir tatsächlich tun können, können wir uns auch leisten.« Dieser berühmte Ausspruch von John Maynard Keynes wird heute oft zitiert. Jannis Köster untersucht den Nutzen, die Bedeutung und die Grenzen von Keynes‘ Zitat für unsere heutige Situation.

Im progressiven Diskurs ist das Keynes-Zitat »Alles, was wir tatsächlich tun können, können wir uns auch leisten« 1 Keynes, J. Maynard (1942), ‘The Listener’, in Donald Moggridge (ed.), CW XXVII (1980), S. 264–70.  zu einer Art Meme geworden. Es wird überall zitiert, und das hat seinen Grund. Es unterstreicht, wie ein verändertes Verständnis der Funktionsweise unseres modernen Geldsystems uns ermöglicht zu erkennen, dass die Frage wie wir etwas bezahlen sollen, nicht die entscheidende Frage ist, vor der wir als Gesellschaften stehen.

Im Zusammenhang mit den Krisen unserer Zeit – Klimakrise, Biodiversitätskrise – verdient das Zitat daher eine eingehende Betrachtung: Wenn wir heute aus gängiger Sicht auf das Zitat blicken, geht es zuerst um die Tatsache, dass wir uns alles leisten können, was wir tatsächlich tun können. Erschwinglichkeit und Finanzierbarkeit, und das ist ein wichtiger Punkt, den es immer wieder zu unterstreichen gilt, sind also nicht das Problem, wenn um die von uns gewünschten Veränderungen geht.

Aber noch wichtiger ist, was passiert, wenn wir das Zitat vom Kopf auf die Füße stellen: Dann geht es um das Konzentrieren darauf, dass wir alles finanzieren können, was wir tatsächlich tun können. Und um die derzeit unterschätzten Grenzen des Tuns. Wenn wir über die heutigen Herausforderungen für transformative Projekte sprechen, geht es nicht nur um die Frage der Finanzierbarkeit und auch nicht nur um die Frage des Machens, sondern um Fragen der Anpassungsfähigkeit (Adaptability) und der Austauschbarkeit (Substitutability) – die Grenzen des Tuns. 

Jannis Köster

Jannis Köster studiert im Master Nachhaltigkeitswissenschaften in Lüneburg. Aus Perspektive der politischen Ökonomie und Wirtschaftssoziologie schreibt er über Transformationsprozesse und widmet sich der möglichen Veränderungen des gesellschaftlichen Stoffwechsels.

Es sind diese unbekannten Variablen, die das Zitat in seiner ursprünglichen Äußerung und in seiner meme-artigen Wiederholung heute nicht offenbart, weil es sich auf die Frage der Erschwinglichkeit konzentriert. Sobald wir jedoch die Funktionsweise des Geldsystems verstehen und somit die Wahrnehmung der Grenzen des Geldes überwunden haben, müssen wir zur Frage des Tuns zurückkehren, um die entscheidenden Veränderungen, mit denen wir in Zukunft konfrontiert sind, angemessen zu gestalten. 

»Alles, was wir tatsächlich tun können, können wir uns auch leisten«

Um das berühmte Keynes-Zitat in seiner Gesamtheit zu sehen, müssen wir zuerst den Kontext verstehen, in dem es entstanden ist. Keynes äußerte den Satz in einem Vortrag für die BBC am 2. April 1942. Das war inmitten des Zweiten Weltkriegs, kurz nachdem die Sowjetunion und die USA 1941 in den Krieg gegen Nazi-Deutschland eingetreten waren. Zu dieser Zeit, als sich die britischen Kriegsaussichten von düster zu etwas hoffnungsvoll wandelten, arbeitete Keynes am Beveridge-Report, der die Grundlage für den Wohlfahrtsstaat in Großbritannien nach dem Krieg bilden sollte. In diesem Zusammenhang hielt er als Teil seiner Reihe über Nachkriegsplanung 2 Tooze, A. (2021). Chartbook on Shutdown: Keynes and why we can afford anything we can do. https://adamtooze.substack.com/p/chartbook-on-shutdown-keynes-and.  einen BBC Radio-Vortrag unter dem Titel »How much does finance matter?«. 

Darin erinnert sich Keynes bei der Behandlung der titelgebenden Frage an eine Diskussion mit einem Architekten über die Wiederaufbaupläne für London nach dem Krieg. Nachdem sich dieser Architekt mit diesen Plänen auseinandergesetzt hatte, äußerte er einen Satz, mit dem Progressive heute unzählige Male konfrontiert werden: »Wo soll das Geld herkommen?« 3 Alle Zitate aus Keynes Rede stammen aus: https://www.bradford-delong.com/2020/05/john-maynard-keynes-how-much-does-finance-matter.html Keynes nähert sich dieser Ausgangsfrage nicht, indem er die Funktionsweise des Finanzsystems erklärt, sondern indem er bemerkt, dass alles, was für den Wiederaufbau benötigt wird – Stahl, Ziegel, Mörtel, Zement sowie Arbeitskräfte und Architekt*innen – im Überfluss vorhanden sei. Der Architekt, noch immer nicht überzeugt, sagt, er wolle jedoch wissen, »woher das Geld komme«. In seiner gewohnten Haltung erinnert sich Keynes, dass seine Antwort lautet: »vom selben Ort, von dem es jetzt herkommt«.

Im weiteren Verlauf denkt Keynes in seinem Vortrag dann über die Motivation des Architekten nach, nach der Quelle des Geldes zu fragen: »Hat er wirklich über Geld gesprochen? Oder sprach er von Ressourcen im Allgemeinen – Ressourcen in einem weiten Sinne, nicht nur von Ziegeln und Zement und Architekten?« Geht es dem Architekten wirklich um die Quelle des Geldes oder um die Herkunft und Verteilung der Ressourcen, die mit Geld erworben werden? Von dieser Frage ausgehend, argumentiert Keynes:

Wenn ersteres der Fall war, wenn es ein technisches Problem der Finanzen war, das ihn beunruhigte, dann war meine Antwort gut und ausreichend. Zum einen hat er die übliche Verwechslung zwischen dem Finanzproblem eines Einzelnen und dem Problem der Gemeinschaft als Ganzes vorgenommen. […] Als Techniker […] kann ich nur bekräftigen, dass das […] Problem, woher das Geld für den Wiederaufbau kommen soll, gelöst werden kann und daher gelöst werden sollte.

Auf diese Einzelheiten des technischen Problems sollten wir einmal kurz gesondert eingehen. Keynes zählt einige recht bekannte Grenzen der Ressourcenmobilisierung auf: Erstens muss eine ausreichende Nachfrage sichergestellt werden, um Arbeitsplätze zu schaffen, und zweitens muss darauf geachtet werden, dass die Nachfrage das Angebot nicht übersteigt und somit zu einer Inflation führt (»verhindern, dass die Nachfrage die physischen Möglichkeiten des Angebots übersteigt, was die eigentliche Bedeutung der Inflation ist«). Anhand dieser physischen Grenzen lassen sich Überkapazitäten ermitteln:

Nachdem wir unseren täglichen Bedarf durch Produktion und Export gedeckt haben, werden wir einen gewissen Überschuss an Ressourcen und Arbeitskräften haben, der für kapitale Verbesserungsarbeiten zur Verfügung steht. Wenn es für diesen Überschuss keinen ausreichenden Absatzmarkt gibt, haben wir Arbeitslosigkeit. Wenn hingegen ein Nachfrageüberhang besteht, haben wir Inflation.

Von hier führt Keynes Umfang und Tempo des Wiederaufbauprogramms als zentrale Faktoren ein, um ein angemessenes Gleichgewicht zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation zu gewährleisten. Und hier bemerket er dann:

[Dies ist die] entscheidende Aufgabe der zentralen Verwaltung, das Tempo der Umsetzung des Programms zu bestimmen, und zwar weder so langsam, dass es zu Arbeitslosigkeit führt, noch so schnell, dass es zu Inflation kommt. Der Anteil dieses Überschusses, der für den Bau verwendet werden kann, hängt von der Reihenfolge ab, in der wir die verschiedenen Arten von Projekten bevorzugen.

Durch die Anpassung von Tempo und Umfang kann die Nachfrage gesichert werden, während Projekte »so glorreich und ehrgeizig, wie es sich unsere Ingenieure, Architekten und Sozialplaner vorstellen können«, realisiert werden können, wenn auch nur in dem für die Produktionskapazitäten angemessenen Tempo. Indem er Tempo und Umfang miteinander verbindet, fordert Keynes langfristige Programme, um das richtige Gleichgewicht zwischen beiden zu gewährleisten. Wenn Programme oder Bauprojekte in einem angemessenen Zeitrahmen geplant werden, so Keynes, »können wir fast alles tun, was wir wollen, wenn wir die Zeit dazu haben«. Wir müssen nur bedenken, dass das Tempo angemessen sein muss – nicht erzwungenes Tempo ist die einzige notwendige Warnung: »Zu gegebener Zeit können wir alles tun. Aber wir müssen nach einem langfristigen Programm arbeiten.«

Von hier aus macht Keynes, bevor er sein berühmtes Zitat ausspricht, einen bemerkenswerten, aber oft unbeachteten Umweg, der für die Betrachtung der Grenzen des Tuns von Bedeutung sein wird: zur Frage des Naturschutzes. In Bezug auf die Kostspieligkeit der Planung merkt er an, dass nicht jede Planung teuer ist und damit Geldmittel verschlingt: 

Die Klippen und die Küsten des Landes, die Highlands, die Seen, die Moore, die Fjälls und die Berge, die Hügel und Wälder, die mit Herbergen und Campingplätzen ausgestattet und leicht zugänglich sind, als nationale Domäne für Bewegung und Erholung sowie für den Genuss und die Betrachtung der Natur zu erhalten – das erfordert nicht mehr als den Entschluss zu handeln.

Hier gibt es »nichts Kostspieliges« – die finanziellen Aufwendungen für diese Entscheidung, so Keynes, sind schwindend gering. In ähnlicher Weise erfordert der Wiederaufbau des Großraums London nach der Luftschlacht um England mit dem Ziel »Raum und Luft und Perspektive« zu schaffen, lediglich die Bereitschaft die Planung anzupassen. Eine zielgerichtete Planung, die zerstörte Freiräume offen lässt, kostet die Ressourcen der Nation keinen Tribut: »Es so zu belassen, wird die Gemeinschaft als Ganzes nichts kosten. Bauen kann teuer sein. Lasst uns diese Kosten durch eine großzügige Politik des Nicht-Bauens hier und da ausgleichen.« 

Mit der Verbesserung der Lebensqualität als Ziel, welche durch eine gezielte Auswahl der Orte, an denen gebaut wird, und der Orte, an denen Platz für »Raum und Luft und Perspektive« geschaffen wird, wendet sich Keynes dem eigentlich Ziel seines Vortrags zu: den Möglichkeitsraum für einen Wiederaufbau zu eröffnen, der die Lebensqualität der britischen Bevölkerung verbessert.

Warum sollten wir nicht, sagen wir, 50 Millionen Pfund pro Jahr für die nächsten zwanzig Jahre beiseite legen, um jeder größeren Stadt des Vereinigten Königreiches die Würde einer alten Universitätsstadt oder europäischen Hauptstadt […] zu verleihen, […] und vor allem vielleicht ein lokales Zentrum der Erfrischung und Unterhaltung mit einem großen Theater, einem Konzertsaal, einem Tanzsaal, einer Galerie, einem britischen Restaurant, Kantinen, Cafés und so weiter zu schaffen.

Mit dem gezielten Einsatz von Ressourcen ließe sich die Lebensqualität der Bevölkerung, so Keynes, erheblich verbessern — dies ist der Kern dieses Vortrags. Gegen die Vorstellung, dass Geld knapp sei, die sogenannte »abscheuliche Doktrin des neunzehnten Jahrhunderts, dass jedes Unternehmen sich in Pfund, Schilling und Pence des Bareinkommens rechtfertigen muss, mit keinem anderen Nenner von Werten als diesem«, plädiert Keynes für eine »Bereicherung des bürgerlichen Lebens in jedem großen Bevölkerungszentrum«. Angesichts dieser Aussicht, dieser Möglichkeit, dies zu tun und so die Lebensqualität der Menschen zu verbessern, bemerkt Keynes dann schließlich den berühmten Satz: »Sicherlich können wir uns dies und vieles mehr leisten. Alles, was wir tatsächlich tun können, können wir uns leisten.« 

Keynes Argumentation, auf der das berühmte Zitat aufbaut, geht von der Frage der Grenzen des Wiederaufbaus über das Vorhandensein für den Bau notwendiger Materialien und Produktionsfaktoren hin zur Frage der Bezahlbarkeit, um dann festzustellen, dass die technischen Fragen des Wiederaufbaus kein Problem darstellen. Man muss sich jedoch vor Augen halten, dass der Architekt aus einer grundlegend anderen Perspektive argumentiert als aus der einer Gesellschaft insgesamt. Aus einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive ist die Frage der Finanzen eine Frage des Gleichgewichts der Produktionsfaktoren, des Gleichgewichts von Angebot und Nachfrage nach physischen Ressourcen, aber sie stößt nicht an die gleichen Grenzen wie die eines Unternehmens. Wenn das Gleichgewicht der Kräfte zwischen Tempo, Umfang, Angebot und Nachfrage aufrechterhalten wird, kommt es nur auf den politischen Willen an, dies zu finanzieren. Aber damit dieses politische Ziel auch erreicht wird, braucht es ein komplexes Abwägen zwischen Ressourcenverfügbarkeit und Marktgeschehen – das an sich eine eigene politische Herausforderung ist. Auf diese Weise kann dann gleichzeitig ein gedeihlicher Wiederaufbau der britischen Gesellschaft und eine Belebung des britischen Bürgerlebens erreicht werden.

Insofern ist dies zunächst eine Lektion in intelligenter politischer Kommunikation des politischen Willens zum Wiederaufbau. Es gibt jedoch noch etwas anderes, das wir untersuchen müssen, um den Nutzen, die Bedeutung und die Grenzen von Keynes‘ Ausführungen für unsere heutige Situation zu verstehen. Es ist die technische Frage der Erschwinglichkeit und des Verhältnisses von Wirtschaft und Gemeinschaft als Ganzes, auf die wir unsere Aufmerksamkeit richten müssen. Dazu müssen wir uns der Frage zuwenden, was Keynes zu diesen Worten veranlasst hat – wir müssen nicht nur den historischen Kontext verstehen, sondern auch den ideengeschichtlichen Kontext und den bedeutenden Wendepunkt, den Keynes in diesem gespielt hat. 

Der keynesianische Kontext von Keynes Zitat

Um es noch einmal zu wiederholen: Keynes hielt den Vortrag 1942, also mitten im Zweiten Weltkrieg. Das war 6 Jahre nach der Veröffentlichung seines Hauptwerks The General Theory of Employment, Interest and Money (1936) und insgesamt 13 Jahre nach dem Beginn der Großen Depression. Sein vorheriges Buch, A Treatise on Money, wurde 1930 veröffentlicht. Im Verlauf der Depression stieß das keynesianische Wirtschaftskonzept der antizyklischen Ausgaben zur Steigerung der effektiven Nachfrage auf die zeitgenössische Weisheit, die wir heute Austerität nennen: Die Staatsausgaben durch Sparmaßnahmen zu reduzieren, da man davon ausging – und manchmal auch heute noch davon ausgeht – dass die Staatsausgaben die privaten Ausgaben verdrängen würden. 

Wie sich in der Großen Depression herausstellte, setzten sich die Erkenntnisse von Keynes durch: Um eine Wirtschaft aus einer Flaute zu befreien, müssen die Investitionen steigen, um die effektive Nachfrage zu erhöhen. Und wenn die Investitionsnachfrage des privaten Sektors nicht zu einem ausreichenden Anstieg der Investitionen führt, dann ist der Staat aufgerufen, zur Stabilisierung der Produktion einzuspringen und den Einsatz der Produktionskräfte zu erleichtern, um die effektive Nachfrage zu erhöhen und so aus dem Trott herauszukommen. 

Diese Einsichten erscheinen in unserer heutigen Zeit intuitiv, doch um zu ihnen zu gelangen, vollzog Keynes einen Wandel im ökonomischen Denken, der, wie sein Biograph Robert Skidelsky anmerkt, der revolutionären Umwälzung der modernen Physik durch Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie ähnelt. 4 Skidelsky, R. (1992). John Maynard Keynes, The Economist As Saviour. London, Macmillan.  Die Bezeichnung beider Werke als Allgemeine Theorien gibt einen ersten Hinweis darauf, wie Keynes seine Arbeit positionierte, um in die transformativen Fußstapfen von Einstein zu treten. 5 Galbraith, J.K. “Keynes, Einstein and Scientific Revolution.” In P. Arestis (ed.) (1996). Keynes, Money and the Open Economy, Essays in Honor of Paul Davidson, Vol. 1. Cheltenham, S. 14-15.  Ähnlich wie Einstein »die allgegenwärtige Verwendung der euklidischen Geometrie zur Erklärung wichtiger physikalischer Phänomene in der realen Welt in Frage stellte« 6 Davidson, P. (2005) Responses to Lavoie, King, and Dow on what Post Keynesianism is and who is a Post Keynesian. Journal of Post Keynesian Economics, 27(3), 393-408. S. 394. , lehnte Keynes grundlegende Axiome der klassischen Wirtschaftswissenschaften ab und ergänzte sie durch andere, neue Perspektiven für das wirtschaftliche Denken. 

Der erste essenzielle Aspekt, den es zu beachten gilt, ist Keynes‘ Formulierung von »der Welt, in der wir tatsächlich leben«. Die klassischen Ökonomen befassten sich mit dem, was Keynes als Sonderfälle der Allokation bezeichnete, die dem Say’schen Gesetz folgen, bei dem sich der Markt klärt. Das bedeutet, dass das gesamte Angebot automatisch durch die Nachfrage gedeckt wird und dass jegliches Einkommen, das nicht konsumiert wird – die Ersparnisse – sofort zu Investitionen würden.

Damit bleiben sie jedoch Antworten auf Situationen schuldig, in denen dies nicht der Fall ist – Situationen suboptimaler Gleichgewichte. Doch auch, und das ist noch auffälliger, beantworten sie nicht die Frage, »was bestimmt, wie viel der vorhandenen Ressourcen überhaupt eingesetzt wird.« 7 Keynes, J.M. (1973 [1936]). The General Theory of Employment, Interest, and Money, reprinted in The Collected Writings of J.M. Keynes, Vol. VII , London: Macmillan. S. 30  Wie Keynes in der Einleitung zu The General Theory  8 Ebd. S. 3 feststellt: 

Die Merkmale des von der klassischen Theorie angenommenen Sonderfalls entsprechen nicht denen der Wirtschaftsgesellschaft, in der wir tatsächlich leben, so dass ihre Lehre irreführend und verhängnisvoll ist, wenn wir versuchen, sie auf die Tatsachen der Erfahrung anzuwenden.

Um die Faktoren zu analysieren, die den Output in der Welt, in der wir tatsächlich leben, bestimmen, muss demnach ein anderer Analyseansatz gewählt werden. Und dies erfordert, dass wir Aspekte des klassischen »präanalytischen Blicks« 9 Schumpeter, J., A, (2006 [1954]). History of Economic Analysis. Routledge, London. S. 38.  über Bord werfen – die Perspektiven, die wir als Ausgangspunkt unserer Analyse für wahr annehmen und die uns letztendlich daran hindern, die Tatsachen der Erfahrung zu berücksichtigen.

Die Nicht-Begrenzung der Finanzierbarkeit

Vor diesem Hintergrund können wir das Keynes-Zitat neu betrachten – im Hinblick auf den revolutionären Perspektivwechsel, den Keynes‘ Denken darstellt. So können wir beginnen zu verstehen, was Keynes ursprünglich meinte, als er die Frage der Finanzierbarkeit lediglich als eine technische Frage, nicht aber als Problem für den Wiederaufbau Großbritanniens betrachtete. 

In direktem Widerspruch zur Sichtweise der Klassiker, dass Sparen der Investition vorausgeht – eine Annahme, die der Architekt zu Beginn von Keynes‘ Ausführungen wiederholte – führte Keynes‘ Arbeit ihn zu dem, was Schumpeter als das Umstürzen der »bürgerlichen Säule« 10 Mann, G. (2017). The General Theory of Employment, Interest and Money: A Readers Companion. Verso Books. S. 50.  der klassischen Ökonomie bezeichnete. In der Perspektive der (neo)klassischen Ökonomie wird davon ausgegangen, dass Investitionen erst dann getätigt werden, wenn die notwendigen Mittel für Investitionen vorher angesammelt worden sind. In dieser Sichtweise verteilen die Banken das Geld als Vermittler, aber nur aufgrund einer anfänglichen Akkumulation können Investitionen getätigt werden. 

Im Gegensatz zu dieser Sichtweise hat Keynes aufgezeigt, dass tatsächlich das genaue Gegenteil der Fall ist: Die Ersparnisse entstehen überhaupt erst durch Investitionen. Wir können diese Erkenntnis erhellen, indem wir Keynes‘ Analyse dahingehend nachvollziehen, was eigentlich das Niveau der Wirtschaftstätigkeit bestimmt. 

Im keynesianischen Denken ist der Begriff der »effektiven Nachfrage« der Schlüsselbegriff für das Verständnis des Wirtschaftsprozesses. Die effektive Nachfrage hat zwei Komponenten: Sie ist die Kombination aus Gesamtangebot und Gesamtnachfrage. Der Schlüsselfaktor, von dem diese beiden Aspekte abhängen, sind die Erwartungen über den zukünftigen Zustand der Wirtschaft. Erwartungen an die Zukunft beeinflussen in zentralem Maße die Art und Weise, wie sich die künftige Nachfrage und das künftige Angebot entwickeln. 

Handlungen in der Gegenwart werden im Hinblick auf die erwarteten künftigen Nachfrageaussichten getätigt: Die Unternehmer investieren in der Gegenwart und bestimmen damit das künftige Angebot. Sie tun dies in der Hoffnung, dass ihre Zukunftserwartungen mit dem zukünftigen Nachfrageniveau übereinstimmen und somit genügend Rendite einbringen, damit sich die Investition lohnt. Gleichzeitig bestimmen die Erwartungen der Unternehmer auch die Höhe der künftigen Gesamtnachfrage. Es sind die Arbeiter*innen, die sie zur Produktion des gewünschten Angebots beschäftigen, die daraufhin über die notwendigen Mittel verfügen, um die produzierten Güter zu konsumieren. Die »effektive Nachfrage« ist somit der Schnittpunkt von Gesamtangebot und Gesamtnachfrage. 

In der keynesianischen Ökonomie sind die Faktoren, die dieses Niveau der effektiven Nachfrage bestimmen, und die Art und Weise, wie diese Faktoren zu suboptimalen Gleichgewichten zwischen Angebot und Nachfrage führen, von besonderem Interesse. Für unsere Analyse ist der Begriff, auf den ich unsere Aufmerksamkeit lenken möchte, die Rolle der Investitionen. Da sowohl die Gesamtnachfrage als auch das Gesamtangebot durch die Erwartungen der Unternehmen, die Investitionen tätigen, bestimmt werden, ist die Investitionsbereitschaft, die Keynes als »Investitionsanreiz« (inducement to invest) bezeichnet, von zentraler Bedeutung. Da die Erwartungen eines Unternehmens nicht im luftleeren Raum existieren, sondern von den Erwartungen anderer Unternehmen beeinflusst werden, ergeben sich verstärkende Rückkopplungsschleifen: Wenn die unternehmerischen Erwartungen hoch sind, werden auch Nachfrage und Angebot höher sein, und umgekehrt, wenn die Erwartungen niedrig sind, sind auch die Investitionen in die Zukunft niedrig, was sowohl das Angebot als auch die Nachfrage in der Zukunft verringern wird. 

»Keynes hat gezeigt, dass es tatsächlich die Investitionen sind, die am Anfang der wirtschaftlichen Abfolge stehen.«

Aus dem Verständnis dieser Abfolge dynamischer Zustände ergibt sich die Einsicht in den Begriff der antizyklischen Ausgaben. Um langfristige Stabilität zu erreichen, muss diese sich verstärkende Rückkopplungsschleife genau überwacht, und wenn nötig, staatlich eingegriffen werden. Im historischen Kontext der Großen Depression bedeutete dies, in einer Flaute Investitionen zu tätigen, um die Nachfrage zu stützen. Und da die Unternehmen dazu nicht bereit waren, weil ihre gegenwärtigen Erwartungen an die Zukunft niedrig waren, wird hier die Rolle des Staates deutlich: Er muss investieren und damit Nachfrage schaffen, damit die Erwartungen an die Zukunft steigen und daraufhin die Unternehmen investieren und eine positive Rückkopplungsschleife entstehen kann. 11 Hier können wir das Problem verstehen, mit dem die Eurozone nach der Finanzkrise konfrontiert war: Obwohl die Kreditkosten niedrig waren, waren die Investitionen immer noch gering. Das ist das Problem, wenn man die Geldpolitik an die große Glocke hängt: Es ist leicht, die Investitionen zu senken, indem man das Geld verteuert, aber es ist schwer, Investitionen zu fördern, indem man Kredite billig macht – Investitionen können nicht allein durch Geldpolitik gefördert werden. Erforderlich ist eine Fiskalpolitik, die die Nachfrage erhöht und damit die unternehmerischen Erwartungen verbessert.

Aus dieser Einsicht heraus müssen komplizierende Faktoren zur Bestimmung der Höhe der produktiven Investitionen eingeführt werden. Dies ist das technische Problem, auf das Keynes in seiner BBC-Rede anspielte: Die Lenkung der Wirtschaftstätigkeit auf produktive Investitionen gegenüber Finanzinvestitionen. Dies wird im Wesentlichen durch das Verhältnis zwischen den Kosten der Kreditaufnahme, die durch den vorherrschenden langfristigen Zinssatz bestimmt werden, und der Kapitalrendite, die Keynes als »marginale Effizienz des Kapitals« bezeichnet, bestimmt. Da alle Investitionen letztlich auf die erwartete Rendite ausgerichtet sind, bestimmt das Verhältnis zwischen diesen beiden Faktoren und wie sie sich in den Investitionsbereichen auswirken, die Richtung der Investitionen: Investitionsentscheidungen werden durch die Differenz zwischen zwei Faktoren bestimmt: (1) der Rendite, die ein Unternehmen von Investitionen in die Produktionstätigkeit erwarten kann, und (2) der Rendite, die durch den Kauf von Unternehmens- oder Staatsschuldtiteln erwartet wird. Beide stehen weiterhin im Verhältnis zu ihrer so genannten Liquiditätspräferenz, dem Wunsch, Bargeld aus Vorsichts- oder Spekulationsgründen zu halten. Das bedeutet insgesamt Folgendes: Wenn der Zinssatz höher ist als die erwartete Rendite, werden die Unternehmen eher Geld verleihen als produktiv investieren. Und was für unsere heutige Situation noch wichtiger ist, wenn die Kapitalrendite für spekulative Investitionen höher ist als die Rendite für produktive Investitionen, werden die Unternehmen zu hochliquiden und hochspekulativen Aktivitäten tendieren, um Rendite zu erzielen. Das Vertrauen der Investoren in die Produktionssituation, d.h. die Erwartungen der Investoren über die Richtung der wirtschaftlichen Entwicklung, in Abhängigkeit von der staatlichen Zinspolitik und in Konkurrenz zur Liquiditätspräferenz bestimmen somit das Niveau der wirtschaftlichen Aktivität und die Richtung der Rückkopplungsschleife.

Aus der Betonung der entscheidenden Rolle der Investitionen im Wirtschaftsprozess, können wir nun die Abfolge der Aktivitäten verdeutlichen, die der Umsturz der »bürgerlichen Säule« mit sich bringt. Anstelle von der Annahme, dass Investitionen der Rest des nicht konsumierten Einkommens sind, der dann automatisch investiert wird, wie es das Say’sche Gesetz sagt, hat Keynes gezeigt, dass es tatsächlich die Investitionen sind, die am Anfang der wirtschaftlichen Abfolge stehen. Es sind die Investitionen, die die Rückkopplungsschleife in Gang setzen. 

Von der Einsicht aus, dass Investitionen den Wirtschaftsprozess in Gang setzen und dass staatliche Investitionen eine entscheidende Rolle bei der Stabilisierung der besprochenen Rückkopplungsschleifen spielen, müssen wir uns nun der Frage zuwenden, was »sich leisten können« wirklich bedeutet. Wenn Investitionen die Quelle der monetären Mittel sind, führt uns das berühmte Zitat von Keynes letztlich zu der Frage nach dem Ursprung des Geldes.

Geldtheorie und Investitionen – was »sich leisten können« wirklich bedeutet

Woher kommen die Mittel, die Investitionen ermöglichen? Von der Erkenntnis, dass Investitionen Ersparnisse schaffen, kommen wir zur zweiten revolutionären Einsicht von Keynes, die bei der Beschäftigung mit seinem Werk oft zu wenig berücksichtigt wird: Der Veränderung des Verständnisses dessen, was Geld eigentlich ist. 12 Davidson, P. (2009). John Maynard Keynes. Palgrave Macmillan. S. 27-30. Im Kern ist dies eine Frage der Perspektive: Das heißt, wir müssen das Problem nicht aus Sicht eines Unternehmens betrachten, wie es der Architekt in Keynes‘ Beispiel tun würde, sondern aus der Perspektive der Gemeinschaft als Ganzes. Verstehen wir Geld aus dieser Perspektive, indem wir uns speziell mit dem Geld beschäftigen — was in vielen ökonomischen Theorien seltsamerweise vergessen wird 13 Sahr, A. & Degens, P. (2019). Die Rückkehr des Geldes. Mittelweg 36, 28(3-4). S. 3-49.  — können wir ein vollständiges Bild davon entwickeln, was »sich leisten« wirklich bedeutet. 

Dazu müssen wir uns zunächst in Erinnerung rufen, was die klassischen Ökonomen unter Geld verstehen: Geld wird als eine intermediäre Ware betrachtet, die Tauschbeziehungen zwischen zwei Waren darstellt. Dies hängt mit dem vorherrschenden Verständnis der Geldentstehung zusammen und dem sogenannten Problem der »doppelten Koinzidenz der Bedürfnisse«: In einer Situation, in der Anna Schuhe herstellt und Lisa Kürbisse züchtet, und in der Anna einen Kürbis will, müsste Lisa Schuhe wollen, damit ein Tauschakt zustande kommt. Da dies, dass die Bedürfnisse beider übereinstimmen, jedoch nicht bzw. nur selten der Fall ist, soll das Geld entstanden sein, um diesen Tausch über eine Zwischenware zu ermöglichen. 

Aus dieser Auffassung von Geld ergibt sich der Begriff des Numeraire in den Walras’schen Gleichgewichtsmodellen, der das geldtheoretische Gegenstück zum Say’schen Gesetz in der klassischen Ökonomie im Sinne eines axiomatischen theoretischen Rahmens darstellt. Es besagt, dass Geld lediglich dazu da ist, den Tauschakt zu schmieren, indem es die Tauschverhältnisse zwischen den Gütern darstellt: Im Walras’schen Modell stellt das Geld bei einer Versteigerung aller Waren auf einem vorgestellten Markt die Art und Weise dar, wie die relativen Werte der Waren gemessen werden. Für den anschließenden Tauschakt ist das Geld dann irrelevant und somit neutral, da die Waren entsprechend den relativen Werten, die das Geld repräsentiert, gegeneinander ausgetauscht werden 14 Paul, A. (2020). Money and Society. Pluto Press. S.15-16. . Geld ist also nur ein »neutraler Schleier« 15 Ingham, G. (2004). The Nature of Money. Polity Press. S. 17 , der sich über die realen wirtschaftlichen Beziehungen legt, und das, was für die wirtschaftliche Analyse wichtig ist, ist ein Blick hinter den Vorhang auf die Beziehungen zwischen den Gütern selbst. 

Geoffrey Ingham bezeichnet diese Perspektive als die Warenaustausch-Theorie des Geldes, 16 Ebd. S. 19. weil Geld in derselben Kategorie wie die Waren begriffen wird. Daraus wird ein direkter Zusammenhang zwischen Geldangebot und Warenpreisen abgeleitet, der aus der Konzeption einer intermediären Ware logisch erscheint: Steigt die Geldmenge, so steigen auch die Preise der Waren, wenn die Menge der Waren nicht gleichzeitig steigt. Daraus leitet die Quantitätstheorie des Geldes ab, dass das Geld von der ausgebenden Instanz – dem Staat – knapp gehalten werden muss, damit die Tauschverhältnisse gleich bleiben. Da das Geld von außen in den Wirtschaftskreislauf gelangt, wird diese Sichtweise als exogenes Geld bezeichnet. 

»Anstatt Geld einfach nur als Zwischenprodukt zu betrachten, ist es besser Geld als soziales Kredit- und Schuldverhältnis zwischen verschiedenen Beteiligten zu verstehen.«

In diesem Zusammenhang wird die zweite revolutionäre Erkenntnis von Keynes deutlich, die sich direkt auf den Ursprung des Geldes bezieht. Keynes »mesopotamische Manie«  – eine Phase in seinem Leben, in der er wochenlang die mesopotamische Wirtschaft erforschte, um die Ursprünge des Geldes zu verstehen – führte ihn zu der Feststellung, dass das, was Geld zu Geld macht, nicht die Erleichterung des Tausches ist, sondern das so genannte Rechengeld (money of account). Dieser Perspektivwechsel ist von entscheidender Bedeutung, denn er ermöglicht es uns, Geld nicht als die Dinge zu sehen, mit denen wir Geld assoziieren – Münzen und Scheine –, sondern vielmehr als die buchhalterische Einheit, die dem Geld seinen Wert verleiht. Keynes kam bei seiner Analyse der mesopotamischen Tempelwirtschaften zu dem Schluss, dass Geld aus einer Gläubiger-Schuldner-Beziehung mit der zentralen politischen Autorität entstanden sein muss: Anstatt Geld einfach nur als Zwischenprodukt zu betrachten, ist es besser Geld als soziales Kredit- und Schuldverhältnis zwischen verschiedenen Beteiligten zu verstehen. 

Der Wechsel von einer individuellen Nutzerperspektive zu einer makroskopischen, gesellschaftlichen Perspektive ist hier von entscheidender Bedeutung. Anstatt Geld aus der Perspektive von Nutzern oder Unternehmen zu denken, wie es der Architekt in Keynes‘ Vortrag tat, müssen wir Keynes‘ Bemerkung folgen und das Geld aus der Perspektive der Gemeinschaft als Ganzes betrachten und Geld auf einer gesellschaftlichen Ebene als das denken, was der Wirtschaftswissenschaftler Perry Mehrling (2017) als das „money-grid“ 17 Mehrling, P. (2017). Financialization and its Discontents. In: Finance and Society 2(2), p. 138-150.   –  zu deutsch Geldgeflecht – bezeichnet.  

Wir können dies deutlich machen, indem wir die Perspektive eines zeitgenössischen Geldwissenschaftlers, Aaron Sahr, einnehmen. In seinem jüngsten Buch Die monetäre Maschine: Kritik der Finanziellen Vernunft (2022) 18 Sahr, A. (2022). Die monetäre Maschine: Kritik der finanziellen Vernunft. C.H. Beck.  argumentiert Sahr, dass man Geld nicht aus der Perspektive des einzelnen Nutzers als Werkzeug betrachten sollte, sondern aus einer makroskopischen Perspektive als ein zusammenhängendes Netzwerk von Bilanzen, die die Beziehungen zwischen Gläubigerinnen und Schuldnern darstellen. Eine solche Kredit-Geld-Perspektive betrachtet den Schlüsselaspekt des Geldes als den Begriff der Positionierung in einem Netzwerk von Forderungen. Wenn Anna ein positives Guthaben auf Ihrem Konto bei der Bank hat, befindet Sie sich in einer Kreditposition gegenüber der Bank. Das bedeutet, dass Anna Forderungen in Form von Bankgeld als »allgemeine Gläubigerpositionen« besitzt. Es sind diese Forderungen, diese Positionierung als »Guthaben« gegenüber der Bank, die es Anna heutzutage ermöglichen, jede kommerzielle Schuld zu begleichen, d. h. Schulden, die sie beim Kauf eines Fahrrads, von Lebensmitteln oder bei der Anmietung einer Wohnung machen: Anstatt zu sagen, dass Anna einen Betrag virtueller Münzen an das Unternehmen überweist, mit dem sie bezahlt, ist das, was auf makroskopischer Ebene geschieht, ein verschachtelter Prozess der Aufrechnung von Forderungen: Wenn Anna Ihre verallgemeinerten Gläubigerpositionen nutzen, um Ihre Lebensmittel zu bezahlen, werden die Forderungen, die sie gegenüber Ihrer Bank hat, um den Betrag reduziert, der dann dem Bankkonto des Unternehmens gutgeschrieben wird, bei dem sie einkauft. Das Unternehmen hat nun mehr Forderungen gegenüber seiner Bank, und zwar in der gleichen Höhe, in der Anna weniger hat. 

Je nachdem, ob Anna und das Unternehmen ein Konto bei derselben Bank oder bei verschiedenen Banken haben, ist an der Verrechnung der Forderungen nur diese eine Bank oder die Zentralbank beteiligt, bei der auch die jeweiligen Geschäftsbanken Konten haben, bei der noch eine Ebene dazukommt: Bei der Bezahlung von Lebensmitteln werden die Forderungen, die Anna gegenüber Ihrer Bank hat, zwischen zwei Geschäftsbanken auf deren Zentralbankkonten verrechnet, von denen aus die Forderungen dann wieder auf das Konto des Unternehmens, von dem Anna die Lebensmittel erworben haben, zurückfließen und den Kontostand erhöhen. Es ist dieses hierarchisch organisierte Netz von miteinander verbundenen Bilanzen, dass die Architektur des Geldnetzes ausmacht und somit charakteristisch für das ist, was Geld heute ausmacht. 

Dieses Netz funktioniert, weil die zugrunde liegenden Forderungen, die dieses Netz bilden, Forderungen gegenüber dem Staat in Form von Zentralbankgeld auf den Konten der Geschäftsbanken sowie in Form von gesetzlichen Zahlungsmitteln, d. h. Münzen oder Banknoten, sind. Aus dieser Perspektive sind Münzen oder Scheine nicht die archetypische Form des Geldes, sondern vielmehr Mittel zur Begleichung von Schulden in Bezug auf eine hierarchisch organisierte höhere Einheit. Durch die Verwendung von Bargeld anstelle von Bankkarten ändert sich nur der Prozess der Begleichung von Handelsschulden: Nicht durch einen Prozess miteinander verbundener Bilanzen, sondern durch einen Prozess der materiellen Darstellung von verallgemeinerten Gläubigerinnenpositionen. 

Diese Verschiebung der Perspektive auf das, was Geld ist, kann den Ursprung des Geldes im Investitionsprozess sehr deutlich machen. Wenn ein Unternehmen im Zuge einer Investition einen Kredit bei einer Bank aufnimmt, um eine Erweiterung seiner Produktionskapazitäten zu finanzieren, macht die Bank etwas sehr Einfaches. Anstelle des angenommenen Geldtransfers – dass die Bank die Gelder, die ihre Einleger auf ihren Bankkonten haben, ausleiht, die so genannte Intermediärfunktion – hat die Bank die Möglichkeit, dem Bankkonto des Unternehmens oder der Privatperson, die den Kredit aufnimmt, die gewünschten Mittel einfach gutzuschreiben, während das Unternehmen oder die Privatperson gleichzeitig in gleicher Höhe verschuldet ist. 

Gleichzeitig verbucht die Bank diese Forderung gegenüber dem Unternehmen als Aktiva in ihrer Bilanz und die Forderungen, d. h. die verallgemeinerten Gläubigerpositionen, die das Unternehmen dann gegenüber der Bank hat, als Passiva in ihrer Bilanz, das ist es, was die Bank dem Unternehmen »schuldet«. Letztlich wird in diesem Prozess der ausgeglichenen doppelten Buchführung sowohl die Bilanz der Bank als auch die des Kreditnehmers vergrößert. Das bedeutet, dass das Geld, das den Kredit ausmacht, im Prozess der Buchführung »mit einem Tastendruck«  19 Sahr, A. (2017). Keystroke Capitalism: Ungleichheit auf Knopfdruck. Hamburger Edition. geschaffen wird. Und genauso wie das Geld mit einem Tastendruck in Umlauf gebracht wird, wird mit der vollständigen Rückzahlung des Kredits die Forderung der Bank gegenüber dem Unternehmen ebenso getilgt wie das positive Bankkonto, das das Unternehmen bei der Bank hatte, ebenfalls aufgehoben wird. 

Wir haben hier also eine abstrakte Beschreibung, wie Geld zirkuliert und als Kredit in Umlauf kommt. Diese Erkenntnis ist jedoch ein Pulverfass. Denn sie räumt mit der vorherrschenden Vorstellung von der Produktionsabhängigkeit des Geldes auf. Anstatt zu denken, wie der Architekt in Keynes‘ Beispiel und wie es sowohl die klassischen Ökonomen als auch viele zeitgenössische neoklassische Ökonomen tun, dass Geld produziert werden muss, geht etwas anderes vor sich. In den Worten von Aaron Sahr wird Geld »erschuldet« – es wird einfach und leicht kreditiert, indem jemand eine Schuld bei einer Bank aufnimmt. 

Von hier aus können wir zu Keynes und seiner revolutionären Einsicht zurückkehren: Indem er diesen Prozess der Kreditgeldschöpfung klar erkannte, betonte Keynes den Begriff der Endogenität der Geldmenge. Anstatt zu denken, dass Geld von außerhalb des Wirtschaftsprozesses in den wirtschaftlichen Austausch kommt, ist die Geldschöpfung ein der Wirtschaft inhärenter Prozess. Geld wird im Prozess der kreditbasierten Investition geschaffen. 

Wenn wir dies in die Übersicht über die effektive Nachfrage von oben einfügen, können wir nun sehr deutlich sehen, was im Investitionsprozess tatsächlich geschieht, und was Keynes meinte, als er sagte, dass das Problem der Geldbeschaffung für ein Unternehmen anders ist als für eine Gemeinschaft als Ganzes. Geld kommt im Prozess der positiven Rückkopplungsschleife als kontinuierliche Liquiditätszufuhr in die Wirtschaft, weil Investitionen über Kredite Geld schaffen. Auf diese Weise liefert der Konjunkturzyklus seine eigene Grundlage für das Funktionieren. Sind die Erwartungen hingegen niedrig und tritt ein negativer Rückkopplungskreislauf ein, so stocken die Investitionen und damit die Liquiditätsversorgung, was wiederum die Wirtschaftstätigkeit hemmt. Hier ist der Staat wie bereits oben beschrieben gefordert einzugreifen und zu investieren, um die Wirtschaft durch die Bereitstellung von Nachfrage wieder zu stabilisieren oder gar anzukurbeln.

Die Bedeutung des Staates im gesamtwirtschaftlichen Prozess geht jedoch über das hinaus was unsere Analyse bereits angedeutet hat. Wenn wir Geld als die Betitelung von Forderungen gegenüber Geschäfts- und Zentralbanken verstehen, können wir erkennen, wie der Staat im Mittelpunkt des Wirtschaftsprozesses steht. Erstens ist der Staat in der Rolle der Zentralbank als staatliche, wenn auch heutzutage »unabhängige«, Institutionen der ultimativen Schiedsrichter, der die Forderungen leitet, die gehalten werden, das Zentrum des Geldnetzes. Und zweitens, da Geld als ein Netzwerk von miteinander verbundenen Bilanzen zu verstehen ist, die aus Krediten und Schulden bestehen, wird die Rolle der Staatsverschuldung zu einer wichtigen neuen Perspektive: Anstatt Staatsverschuldung als etwas Schlechtes zu betrachten, erlaubt uns diese Perspektive zu sehen, dass alle Schulden, die der Staat macht, notwendigerweise ein Guthaben von jemandem anderen sein müssen. Das ist das Schöne daran, wenn wir unsere Analyse auf die Bilanzen konzentrieren. 

Auf dieser Grundlage lassen sich einige Schlüsselbegriffe klären, die uns dann wieder zum Begriff des Wirtschaftens im Allgemeinen führen. Erstens diskreditiert diese Perspektive die Vorstellung, dass der Staat nur über das Geld anderer Leute verfügt. Weil der Staat der Ursprung und das Zentrum des Geldsystems ist und Forderungen die Materialien sind, aus denen Geld besteht, gibt es aus dieser Perspektive gar kein Geld »anderer Leute«. Vielmehr basiert das Geld letztlich auf Forderungen gegenüber dem Staat, die die Begleichung von Handelsschulden ermöglichen. Auf diese Weise ist Geld nicht Eigentum von Marktindividuen, sondern kann mit einer öffentlichen Infrastruktur verglichen werden, die kollektiv betrieben wird und gegenüber der wir, wie Sahr anmerkt, kollektiv Ansprüche auf ihr ordnungsgemäßes Funktionieren stellen können und müssen. 

»Da Geld nicht aus der Produktion stammt, sondern durch Schulden entsteht, bedeutet »sich leisten können«, Schuldbeziehungen einzugehen und so Gläubiger-Schuldner-Positionen für die Zirkulation bereitzustellen« 

Und zweitens, da der Staat sowohl die Richtung als auch die Quelle der Forderungen ist, könnte der Staat in Form der Zentralbank die Möglichkeit haben, Forderungen gegen sich selbst als Mittel zur Begleichung der gegen ihn bestehenden Schulden zu stellen. Diese Idee, die gemeinhin als direkte Monetarisierung von Staatsschulden bezeichnet wird, ist jedoch in Verruf geraten. Die heutige Bereitstellung von Liquidität durch die Zentralbanken funktioniert als indirekte Monetarisierung, bei der Staatsanleihen zunächst an private Akteure verkauft werden, von denen die Zentralbank dann die Anleihen übernimmt und in ihre Bilanz aufnimmt. Unsere heutige Konzentration auf die indirekte Monetarisierung von Staatsschulden lässt sich so als eine selbst auferlegte Beschränkung mit einer langen und verworrenen Geschichte identifizieren 20 Für eine Analyse dieser Geschichte der Zentralbanken und ihrer Selbstbeschränkung siehe Sahr (2022), Kapitel 8. . Der Punkt bleibt jedoch derselbe: Wenn wir verstehen, dass der Staat die letzte Quelle und Richtung des Geldes ist, können wir verstehen, warum Keynes sagte: »Alles, was wir tatsächlich tun können, können wir uns auch leisten«. Da Geld nicht aus der Produktion stammt, sondern durch Schulden entsteht, bedeutet »sich leisten können«, Schuldbeziehungen einzugehen und so Gläubiger-Schuldner-Positionen für die Zirkulation bereitzustellen – und kein Akteur ist dazu besser in der Lage als der Staat. 

Wenn wir nun Geld als das zusammenhängende Netzwerk von Bilanzen, also ein Geldnetz verstehen, und wenn wir den Staat als das Zentrum des Ganzen begreifen, wobei die Geschäftsbanken als privatisierte Intermediäre im Prozess der Geldschöpfung agieren — die Tatsache, dass die Geschäftsbanken das Privileg der Geldschöpfung haben und dies nur vom Profitmotiv geleitet tun, wird ein anderes Mal problematisiert werden müssen — dann bedeutet »bezahlen« aus staatlicher Sicht nichts anderes als die Bereitstellung von Forderungen gegen den Staat als Zahlungsmittel. Die Perspektive, die ich hier betonen möchte, ohne in die technischen Details von Staatsanleihen und Primär- und Sekundärmärkten, Überziehungskonten bei der Zentralbank usw. einzutauchen, ist, dass sich, wenn wir Geld über den Begriff der Gläubiger-Schuldner-Beziehungen verstehen, die über die makroskopische Perspektive des Geldnetzes konzeptualisiert werden, und den Staat und damit die Öffentlichkeit potenziell an den Hebeln dieser Infrastruktur sehen, ein neuer Möglichkeitsraum eröffnet, der zeigt, dass die Grenzen des Bezahlens nichts anderes als selbst auferlegte sind: Es sind die Grenzen der zwischenmenschlichen Ansprüche, und diese sind potenziell unbegrenzt. 

Deshalb sprechen Keynesianer auch von hyperflexibler Geldproduktion. Alles, was getan werden will, kann finanziert werden, denn Finanzierung bedeutet die Aufnahme von Kredit- und Schuldpositionen. Es muss nur darauf geachtet werden, dass die bestehenden Produktionskräfte nicht überfordert werden, um nicht zu viel Nachfrage auf der Basis eines kurzfristig begrenzten Angebots zu erzeugen und so dann tatsächlich doch Inflation hervorzurufen. Nur hat dies nichts mit der Geldmenge, sondern mit der Verwendung in Relation zur Produktionskapazität zu tun.

Damit kommen wir nun zu den Grenzen der Bezahlbarkeit. Wie Keynes in seiner gesamten Rede betonte und wie in den obigen Abschnitten deutlich wird, können die Grenzen der Bezahlbarkeit potenziell überwunden werden, da sie selbst auferlegt sind. Bei entsprechendem Handlungswillen und abhängig von der politischen Architektur, die Sahr als den Begriff der monetären Souveränität bezeichnet, könnten wir uns alles leisten, was wir uns leisten möchten. Grenzen gibt es erstens nur aufgrund der selbst auferlegten Beschränkungen, die die derzeitige Währungsordnung vorsieht, von den im Maastricht-Vertrag festgelegten Schuldengrenzen in Relation zum BIP für die Eurozone, über Schuldenbremsen in den Verfassungen wie im Falle Deutschlands, bis hin zu der übergreifenden sentimentalen Wahrnehmung von Schulden, die als fast sündhaft angesehen werden und nach einer angemessenen Rechtfertigung für diejenigen verlangen, die eine Erhöhung der staatlichen Zahlungen sehen.

Eine zweite, ebenfalls historisch selbstauferlegte Grenze liegt heutzutage in der durch die indirekten Staatsfinanzierung zugrundeliegende Notwendigkeit der Finanzierung von Staatsanleihen über die Kapitalmärkte. In dieser Architektur ist die Finanzierung von Staaten zu einem nicht unerheblichen Teil vom guten Willen der Kapitalmärkte abhängig. Eine Veränderung des Tabus der direkten Staatsfinanzierung, also der Aufnahme von Staatsschulden in den Bilanzen der Zentralbank könnte dem Entgegenwirken. Doch ob wir bereit sind, dieses historische Tabu zu brechen, ist eine andere Frage. 

Vor allem gilt es aber festzuhalten: Ein Verständnis der grundlegenden Funktionsweise unseres Währungssystems sowie der Bedeutung von Investitionen für die wirtschaftliche Stabilität führt uns zu der Einsicht, dass viele der Grenzen der Finanzierbarkeit selbstauferlegt und bestenfalls fehlerhaft, schlimmstenfalls jedoch unnötig sind. Auf die Überwindung dieser selbstauferlegten Grenzen muss sich die Aufgabe linker Politik in erster Linie konzentrieren, um (monetären) Spielraum zu schaffen. Wenn diese Grenzen als brüchig wahrgenommen werden, eröffnen sich Handlungsspielräume. Ein aktuelles Beispiel stellt im deutschen Kontext das Sondervermögen für die Bundeswehr dar, das trotz der verfassungsrechtlich verankerten Schuldenbremse verabschiedet wurde, um die finanziellen Mittel für Verteidigungsausgaben bereitzustellen. Diese Art der Finanzierung als, wie Steffen Murau es nennt, Off-Balance-Sheet-Fiscal-Agencies 21 Guter-Sandu, A. & Murau, S. (2022). The Eurozone’s Evolving Fiscal Ecosystem: Mitigating Fiscal Discipline by Governing Through Off-Balance-Sheet Fiscal Agencies. New Political Economy, 27(1), 62-80. , ist — unabhängig von der politischen Orientierung, die dazu führt, diese Ausgaben zu akzeptieren oder abzulehnen — ein Beispiel dafür, dass der politische Wille dazu führt, dass monetäre Kapazitäten freigesetzt werden, ohne dass jemand fragt: Wie sollen wir das bezahlen? In diesem Sinne können auch andere notwendige Veränderungen in Angriff genommen werden, bei denen eine Grenze der Finanzierbarkeit nicht der einschränkende Faktor ist. Schauen wir uns jedoch den schleichenden Fortschritt und mäßigen Erfolg der Investitionen über das Sondervermögen an, sehen wir, dass viel entscheidender ist, was wir tatsächlich tun können. 

Grenzen des Tuns

Wenn wir uns alles leisten können, was wir tun können – was können wir dann tun? Ausgehend von den geklärten Grenzen der »Finanzierbarkeit« müssen wir uns nun mit der Frage des Tuns und seinen inhärenten Grenzen auseinandersetzen, um die Zwänge und Möglichkeiten im Kontext der multiplen Krisen zu verstehen, mit denen wir konfrontiert sind. 

Wie Keynes feststellt, gibt es inhärente wirtschaftliche Grenzen für das, was wir uns leisten können: Wenn man das Tempo der Investitionen im Verhältnis zu den Produktionskapazitäten und dem verfügbarenÜberschuss betrachtet, müssen zusätzliche Ausgaben so getätigt werden, dass die Produktionskräfte nicht überfordert werden. Diese ganz konkreten Grenzen der Machbarkeit sind der erste Bereich von Zwängen, den wir berücksichtigen müssen. 

Im Zusammenhang mit der Energiewende zeigt uns der Begriff der produktiven Kapazitäten, dass das, was wir in Deutschland unter dem Begriff des Fachkräftemangels erleben, eine Unterversorgung mit produktiven Kapazitäten, vor allem mit Arbeitskraft, ist, um notwendige Handlungen durchzuführen. In einem kürzlich erschienenen Artikel in der ZEIT verwies der Autor auf 250.000 unbesetzte Stellen allein für die allgemeine Arbeit, die täglich verrichtet wird 22 Scheritz, M. (6.7.2022). Ein bisschen Planwirtschaft. Die Zeit. Abgerufen am 9.8.22, von  https://www.zeit.de/zustimmung?url=https%3A%2F%2Fwww.zeit.de%2Fwirtschaft%2F2022-07%2Ffachkraeftemangel-arbeitsmarkt-industrie-arbeitskraft-5v8 . Dies deutet bereits auf einen grundlegenden Mangel an produktiven Fähigkeiten zur Durchführung notwendiger Handlungen hin. Bei der Erhöhung der Ausgaben müssen jedoch die Gründe für diesen Mangel berücksichtigt werden: Liegt es daran, dass nicht genügend Menschen zur Verfügung stehen, oder daran, dass die Menschen nach anderen Jobs suchen, weil ihr Beruf nicht genug einbringt? Wenn letzteres der Fall ist, könnten Lösungen gefunden werden. 

Wäre dies jedoch das einzige Problem, wäre es leicht zu lösen. Zusätzlich zu den 250.000 unbesetzten Stellen stellt der Autor fest, dass allein für die Energiewende 400.000 zusätzliche Arbeitskräfte benötigt werden — für den Bau von Windrädern, der Installation von Sonnenkollektoren und Wärmepumpen. Vor diesem Hintergrund wird die Gesamtsumme des Fachkräftemangels frappierend: 650.000 offene Stellen, die besetzt werden müssen, um die Arbeit zu leisten, die wir uns wünschen würden. Das ist nun wirklich eine konkrete Grenze des Machbaren. 

Im Zusammenhang mit unserer gegenwärtigen Inflation wird dieses Problem auf der Angebotsseite noch stärker betont: Da in unserer gegenwärtigen Situation mehrere kostentreibende Inflationsfaktoren zusammenkommen, von kurzfristigen Angebotsschocks, z. B. bei Öl und Gas, über die anhaltenden Auswirkungen der Pandemie auf die globalen Versorgungsketten bis hin zu den Auswirkungen von Lieferengpässen und der weltweiten Chip-Knappheit führen mehrere Auswirkungen auf das Warenangebot zu Preissteigerungen. Hinzu kommen nachfrageseitige Inflationstreiber in Kombination mit Gewinnstreben wie die von Isabella Weber beschriebenen Profitmargen-Preis Dynamiken 23 Weber, I. M., & Wasner, E. (2023). Sellers’ inflation, profits and conflict: why can large firms hike prices in an emergency?. Review of Keynesian Economics11(2), 183-213. , die dann die Vorboten eines sich selbst verstärkenden Inflationszyklus sind. In solchen Situationen, in denen uns die Produktionskapazitäten kurzfristig die wirklichen Grenzen aufzeigen, ist es von entscheidender Bedeutung, diese vielfältigen Triebkräfte zu entwirren und Antworten zu finden, indem man differenziert, interveniert und stimuliert. Aber das ist ein Thema für einen anderen Aufsatz. Was ich stattdessen betonen möchte, ist, dass, wenn die Produktionskapazitäten überlastet sind, keine noch so großen zusätzlichen Ausgaben uns helfen können. 

»Die Energiepreisinflation ist eine Folge der verzögerten Energiewende in der Vergangenheit. Hätten sich die staatlichen und privaten Investitionen auf den Ausbau der Kapazitäten für erneuerbare Energien konzentriert, wäre die Situation heute nicht so schlimm.«

Dies führt dazu, Keynes‘ Bemerkungen über langfristige Planung und Tempo ernst zu nehmen. Wie uns die keynesianische Produktionstheorie 24 Kronenberg, T. (2012). Finding common ground between ecological economics and post-Keynesian economics. Ecological Economics, 69, S. 1488–1494.  zeigt, kann das Angebot nicht kurzfristig, sondern nur mittel- bis langfristig angepasst werden, da kurzfristige Engpässe zunächst durch erhöhte Investitionen zur Ausweitung der Produktionskapazitäten ausgeglichen werden müssen, um dann auf den Nachfrageanstieg zu reagieren. Tempo und Weitsicht sind also entscheidend. Sie zeigt auch, dass die Energiepreisinflation eine Folge der langwierigen und verzögerten Energiewende in der Vergangenheit ist. Hätten sich die staatlichen und privaten Investitionen auf den Ausbau der Kapazitäten für erneuerbare Energien konzentriert, wäre die Situation heute nicht so schlimm. 

In diesem Fall kann die Unterscheidung zwischen kurz- und langfristig wieder aufgegriffen werden. Bekanntlich stellte Keynes in Bezug auf die klassische Vorstellung, dass Geldpolitik langfristig keine Wirkung habe, fest: »Langfristig sind wir alle tot.« Damit betonte er, dass die kurzfristigen Auswirkungen der monetären Expansion nicht zu vernachlässigen sind, sondern stattdessen erhebliche positive Auswirkungen haben können. Abgesehen davon, dass die Vorstellung der (Neo)Klassikers auf einer Quantitätstheorie des Geldes beruht, die wir oben diskreditiert haben – es geht nicht um die Gesamtmenge des Geldes, sondern um die Richtung und die Geschwindigkeit, mit der das Geld durch die Wirtschaft fließt – können Kaufkraftexpansionen auf diese Weise sowohl positive kurzfristige Auswirkungen auf die Nachfrage als auch positive mittelfristige Auswirkungen auf das Angebot haben, die dann zu möglicherweise wesentlich anderen zukünftigen Zuständen führen. Langfristig können wir also, wenn wir dem Keynes’schen Begriff des Tempos folgen, alle unsere Träume verwirklichen, wenn wir eine kluge kurzfristige Politik betreiben, die es ermöglicht, dass sich die langfristige Entwicklung in der von uns gewünschten Weise vollzieht.  

Doch die ‚lange-Frist‘ Perspektive führt uns weiter zu einer Reihe von Grenzen des Handelns, die mit der Entwicklung der planetarischen Krisen immer dringlicher werden. In der Klimakrise gibt es eine grundlegende Grenze für unsere Anpassungsfähigkeit (Adaptability), die Frage, in welchen Situationen eine zusätzliche Investition tatsächlich sinnvoll ist. Wenn Häuser in Überschwemmungsgebieten oder in der Nähe von ansteigenden Küsten stehen, ist es vielleicht an der Zeit, den Ansatz zu ändern und sich an das sich verändernde Klima anzupassen, anstatt das Problem mit Geld zu überhäufen, um Grenzen und Flüsse zu befestigen, wie es beim Wiederaufbau der Fall ist. Diese Grenzen, auch wenn sie (noch) nicht so dringlich sind, müssen wir in Betracht ziehen, wenn die Verkettung von Niederschlagsmustern, Wüstenbildung, Hitzewellen oder zunehmende Überschwemmungen bestimmte Gebiete der Erde für den menschlichen Körper unwirtlich machen. Investitionen in die Befestigung der Küsten, in Klimaanlagen und Bewässerungssysteme sind jedoch in vielen Fällen ein gangbarer Weg. 

Vor diesem Hintergrund muss sich der Blick nun auf das richten, was getan werden kann. In unseren heutigen Krisen sind wir nicht mehr nur mit den Grenzen der Finanzierbarkeit und den Grenzen der Anpassungsfähigkeit konfrontiert. Vielmehr stoßen wir schließlich an die Grenze der Substituierbarkeit – hier kommen wir zur dritten von Skidelsky als revolutionäre beschriebenen Einsicht von Keynes. Während des bei Keynes um das Widerlegen der Annahme der Substituierbarkeit zwischen Produkten ging – dass Produkte nicht beliebig austauschbar sind, was dazu führt das allgemeine Equivalenzmodelle ihre Gewichtigkeit verlieren, wie von Arrow und Hahn gezeigt 25 Davidson, P. (2009). John Maynard Keynes. Palgrave Macmillan. S. 30-31. Hierzu schreibt Davidson zusammenfassend: „Wenn das Axiom der Brutto-Substitution nicht von vornherein als Fundament einer Theorie gesetzt wird, dann kann diese Theorie nicht zeigen, dass alle Märkte (einschließlich des Arbeitsmarktes) gleichzeitig geräumt werden, selbst wenn alle Preise unmittelbar flexibel sind. Ohne Bruttosubstitution kann nicht nachgewiesen werden, dass Vollbeschäftigung für alle Ressourcen ein automatisches und unvermeidliches Ergebnis eines Systems frei wettbewerbsfähiger Märkte mit flexiblen Löhnen und Preisen ist.“ (S. 31).  – geht es bei uns um eine noch viel grundlegendere Nicht-Substituierbarkeit: Wir können das von Menschen geschaffene Kapital, einschließlich des Finanzkapitals, Arbeit und die Produkte aus beidem nicht als Ersatz für Naturkapital einsetzen. Oder präziser ausgedrückt: Wir können uns nicht einfach aus der Krise herauskaufen, es muss etwas getan werden – und genau das stößt an Grenzen. Was wir tun können, ist, Ressourcen zu mobilisieren, um den Veränderungen zuvorzukommen, indem wir in Präventionsstrategien wie erneuerbare Energien oder in Strategien zur Schadensbegrenzung für die menschliche Zivilisation wie Küstenbefestigung oder Klimaanlagen investieren, aber es gibt inhärente Grenzen für das, was die Mobilisierung von Ressourcen und die Ausgabe von Geld tatsächlich bereinigen, verbessern oder ersetzen kann. 

Grenzen der Substituierbarkeit

Der Begriff der Grenze der Substituierbarkeit – Austauschbarkeit – unterstreicht dies: Es gibt eine Grenze für den Eingriff in die Ökosysteme durch Beton, Kabel und Glas. Das Leben des Menschen hängt von einem gesunden Ökosystem ab, von der Luft, die wir atmen, über den Stickstoff in unseren Lebensmitteln bis hin zum Wasserkreislauf und der Bestäubung. Unser Leben ist eng mit unserer Umgebung verflochten und in sie eingebettet. Wir stehen in direkter Beziehung zur Gesundheit der uns umgebenden Ökosysteme, und als solche müssen wir grundsätzlich verstehen, dass wir ohne ein gesundes Ökosystem, in das wir eingebettet sind, nichts tun und nicht leben können. Für viele scheint dieser Punkt trivial zu sein, aber es lohnt sich, ihn noch einmal zu betonen, denn nur aus dieser Perspektive erhält die Rede von der Substituierbarkeit das Gewicht, das sie verdient. 

An dieser Stelle müssen wir über den Keynesianischen und Postkeynesianischen Diskurs hinausgehen und uns in den Bereich der Nchhaltigkeitswissenschaften und speziell der ökologischen Ökonomik begeben: Während viele klassische und zeitgenössische Ökonomen den Produktionsprozess über den Einsatz von Arbeit und Kapital beurteilen, betonen ökologische Ökonomen die Einbettung der Wirtschaft in die Gesellschaft und der menschlichen Gesellschaft in die natürliche Umwelt. Damit betonen sie, dass der Begriff der Ressourcen von den Ökonomen erheblich unterbewertet wird. Es ist der Stoffwechsel zwischen menschlichen Gesellschaften und der Natur, der das Ausgangsmaterial für die Produktion darstellt. 

Nur wenn wir diese Stoffwechselbeziehung verstehen, können wir den Begriff des Tuns klarer fassen. Wenn alles von natürlichen Ressourcen abhängt, gibt es eine klare Grenze der Substitution, die stattfinden kann. Während die Substitution zwischen Natur und menschlicher Arbeit im Falle der Handbestäubung von Pflanzen zwar möglich ist, aber nur zu erheblichen, immensen Kosten und erheblichem Arbeitskraftaufwand, ist eine Substitution von komplexeren Ökosystemprozessen wie dem Nährstoff- oder Wasserkreislauf schlichtweg unmöglich. 

Von hier aus ergibt sich eine Differenzierung des Nachhaltigkeitsbegriffs, die den zeitgenössischen Diskurs fruchtbar erhellen kann: Während eine schwache Nachhaltigkeitsperspektive eine gewisse Substituierbarkeit zwischen vom Menschen geschaffenen Produkten und natürlichem Kapital impliziert – das der Verlust, den die Abholzung eines Waldes in Bezug auf Ökosystemfunktionen wie die Kohlenstoffbindung darstellt durch Kohlenstoffbindungsanlagen im industriellen Maßstab ausgeglichen werden kann – argumentiert eine starke Nachhaltigkeitsperspektive, dass diese Art der Substitution ein Trugschluss ist: Alle Funktionen und Beiträge, die der Wald für die Menschheit leistet, können nicht sinnvoll kompensiert werden. Wenn der Wald abgeholzt wird, gehen all diese Aspekte verloren. 

Dies zeigt uns, dass es einen lebenswichtigen Bedarf an Naturschutz gibt, der die Erhaltung gesunder Ökosysteme ermöglicht. 

»Die ökologischen Krisen zeigen, dass das Problem, vor dem wir stehen, weder eine Frage der Finanzierung noch des Tuns ist, sondern eine Frage dessen, was nicht getan werden kann.«

Hier lässt sich der von Keynes angedeutete Naturschutzgedanke wieder aufgreifen: Um eine lebendige Beziehung zwischen der eingebetteten Menschheit und ihrer natürlichen Umgebung aufrechtzuerhalten, müssen wir für »Raum und Luft und Perspektive« sorgen, aber nicht nur für die Zivilgesellschaft, sondern für die Ökosysteme insgesamt. Im Nachhaltigkeitsdiskurs greift die Diskussion um die Begriffe »Land-sharing« und »Land-sparing« dieses Thema auf. Währen es bei letztem darum geht, bewusst Landstriche unbenutzt zu lassen, geht es bei ersterem darum, die Förderung von Artenvielfalt inmitten der menschlichen Lebensräume zu integrieren. Eine Antwort auf diese Frage hängt, wie so oft, von dem jeweiligen Kontext ab, in dem diese Strategien genutzt werden. Ohne diese Debatte hier zu vertiefen, gilt es hierbei aber vor allem festhalten, dass beide Sichtweisen einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, unser Verhältnis zur natürlichen Umwelt von einem zerstörerischen zu einem fürsorglichen Verhältnis zu verändern. Denn egal ob wir »Land-sharing« oder »Land-sparing« betreiben, das Wichtige ist, dass wir den Schutz und gar die Förderung von Artenvielfalt ernst nehmen – es ist für zukünftiges menschliches Leben in intakten Ökosystemen insgesamt von entscheidender Bedeutung, dieses Anliegen ernst zu nehmen und die Debatte um die jeweils Beste, weil verfolgte Strategie der Förderung von Artenvielfalt auf lokaler und regionaler Ebene zu führen. Denn egal was von beidem verfolgt wird, beides ist besser, als nichts zu tun. Sich um »Raum und Luft und Perspektive« für das eingebettete Ökosystem, dessen Teil wir sind, zu kümmern, bedeutet also, dafür zu sorgen, dass die Gesundheit des Ökosystems gepflegt und gefördert wird, anstatt sich nur auf den wirtschaftlichen Tauschwert zu konzentrieren. Womit wir es also zu tun haben ist eine sehr konkrete Grenze des Tuns, die wir nicht überkommen können.

Auf diese Weise zeigen die ökologischen Krisen, dass das Problem, vor dem wir stehen, weder eine Frage der Finanzierung noch des Tuns ist, sondern eine Frage dessen, was nicht getan werden kann. Aus dieser recht einfachen Einsicht muss eine Änderung der keynesianischen Langfristperspektive erfolgen. Auch wenn das Leben, wie Keynes betont, aus einer Reihe von Kurzläufen besteht, verlangen die zahlreichen planetarischen Krisen – die Klimakrise und das sechste große Artensterben – nach einer sehr langfristigen Perspektive. Es stimmt zwar, dass wir auf lange Sicht alle tot sind, aber wenn wir nichts gegen den inhärenten »metabolischen Riss« 26 Foster, J. B. (1999). Marx’s Theory of Metabolic Rift: Classical Foundations for Environmental Sociology. American Journal of Sociology, 105(2), 366–405. unternehmen, der unsere heutige kapitalistische Gesellschaft in Bezug auf die ihr zugrundeliegenden natürlichen Bedürfnisse aufweist, dass wir die Grundlage unseres eigenen Überlebens systematisch übermäßig ausbeuten ohne sie zu erneuern, werden wir auf lange Sicht nicht nur tot sein, sondern unsere Kinder und Enkelkinder, werden weitaus schlechter dran sein. Es ist also töricht, sich nur auf die kurzfristige Frage zu konzentrieren, »wie wir das Bezahlen werden«. Vielmehr müssen wir eine Ausrichtung der kurzfristigen Politik entwickeln, die langfristig eine Entwicklung ermöglicht, die nicht zu planetarischen Krisen und potenziellem zivilisatorischen Kollaps führt. 

Dazu müssen wir unsere implizite Annahme der Grenzen der Erschwinglichkeit verstehen und überwinden – Geld nicht als Zwischenprodukt, sondern als relationale Ansprüche verstehen, die zur Mobilisierung von Handlungen genutzt werden können – und mit den Grenzen des Handelns vor Augen die Grenzen der Anpassungsfähigkeit und vor allem die Grenzen der Substituierbarkeit ansprechen, die sich abzeichnen. 

Auf diese Weise ist dieser Aufsatz ein Vorgriff auf die diskursive Verschiebung, die vor uns liegt: Weg vom Fokussieren auf die Finanzierbarkeit, hin zur Frage des Tuns und seinen Grenzen: Den Grenzen des Tuns angesichts von Produktionskapazitäten, die zunächst kurzfristig erweitert werden müssen, um mittelfristig zu wirken; den Grenzen der Anpassung an die kommenden Veränderungen und den Grenzen der Substituierbarkeit, die uns natürliche Grenzen aufzeigen und uns dazu führen müssen, hier mehr zu tun (was auch manchmal heißt, weniger zu tun), um das Leben zu erhalten. 

Keynes Einsicht in die Wichtigkeit von »Raum, Luft und Perspektive« im Blick auf den Wiederaufbau Londons kann uns dafür leiten: Mit der Perspektive auf die nicht-Begrenztheit der Finanzierbarkeit und den vergleichsweisen geringen Kosten können wir die Funktionsweise, der für unser Überleben essenziellen Ökosysteme aufrechterhalten und gleichzeitig was für die Lebensqualität der Bevölkerung tun. Das, wie wir uns erinnern, war Keynes ursprüngliches Ziel, als er sagte: »Alles, was wir tatsächlich tun können, können wir uns leisten«. Heute jedoch ist es an der Zeit, diesen Ausspruch zu aktualisieren: Alles was wir tatsächlich tun können, müssen wir tun – leisten können wir es uns sowieso.