Wie lassen sich künftige Finanzkrisen verhindern?
Der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank hat die größte Bankenkrise seit der globalen Finanzkrise 2008 ausgelöst. Doch was genau ist passiert? Und was müssen Banken, Zentralbanken und Regierungen tun, um eine neue Finanzkrise zu verhindern?
Erst hat das Bankenbeben in der Tech- und Kryptoszene zugeschlagen, kurz darauf ist in der Schweiz eine neue Riesenbank aus UBS und Credit Suisse hervorgegangen. Viel wurde längst über die Einzelfälle geschrieben. Was aber ist das »Bigger Picture«? Das geht in vielen Texten unter. Vielleicht, weil man dann auf schlechte Zinspolitik und noch schlechtere Bankenpolitik stieße. Auch geht die Frage unter: Was aus den Bankpleiten lernen? Da gibt es nämlich eine ganze Menge!
Pleite ist nicht gleich Pleite
Vorneweg will ich mit ein paar Missverständnissen aufräumen. Die Silicon Valley Bank (SVB) war keine schlecht geführte, sondern eine seit Jahrzehnten etablierte Bank, die sogar die Dotcom-Blase 2001 und die Finanzkrise 2008 überlebt hat! Ihr Geschäftsmodell hat sich allerdings zuletzt geändert, weil die Techszene während Corona einen Boom erlebte. Die Einlagen bei der Bank verdreifachten sich fast – von 70 Milliarden in 2019 auf rund 200 Milliarden in 2022. Wohin mit dem ganzen Guthaben bei der Zentralbank? Sicher parken in US-Staatsanleihen, so das Motto, das der SVB letztlich zum Verhängnis wurde.
Wichtig: Die SVB ist erst illiquide, nicht insolvent geworden. Sprich: Ihr sind die flüssigen Mittel ausgegangen, nicht das Eigenkapital. Sie ist also nicht pleite, weil sie etwa viele faule Kredite in den Büchern hatte (wie zum Beispiel Banken während der Finanzkrise), sondern weil ihre Kunden aus der Tech- und Kryptoszene alle auf einmal Abermilliarden an andere Banken überweisen wollten. Ein digitaler Bankrun. Um den zu überstehen und die Überweisungen auszuführen, hätte die SVB die Milliarden als Guthaben bei der Zentralbank gebraucht. Die hatte sie aber nicht, weil sie die Einlagen bei der Zentralbank in langlaufende Staatsanleihen mit niedrigem Zins geparkt hatte.
Maurice Höfgen
Diese Anleihen hatten an Marktwert verloren, weil es für Guthaben bei der Zentralbank und neue Anleihen längst viel mehr Zinsen gibt als für die alten. Um an neue Guthaben bei der Zentralbank zu kommen, hätten die alten Anleihen nur mit Verlust verkauft werden können. Allerdings ist 1) unklar, ob die Bank die Verluste nicht sogar hätte verkraften können; und 2) zu bedenken, dass die Verluste die Folge aus panischem Bankrun und fehlenden Guthaben bei der Zentralbank sind – und nicht deren Ursache. Ein wichtiger Unterschied!
Insofern tragen Zentralbank und Regierung eine viel größere Verantwortung für das Scheitern der SVB als das bloße Missmanagement der Bank selbst. Durch die drastische Zinsanhebung wurde die sicherste Anlage der Welt, die US-Staatsanleihe, entwertet. Wegen der begrenzten Einlagensicherung (max. 250.000 Dollar) fürchteten Kunden um ihre Einlagen. Nur das ließ Panik ausbrechen, nachdem der milliardenschwere Starinvestor Peter Thiel bekannt gab, sein Geld abzuziehen. Ohne den Zinshammer und den panischen Bankrun gäbe es die SVB heute noch. Nun gut, Konjunktiv!
Was also tun, um solche Pleiten zu vermeiden? Ich habe fünf Vorschläge!
Beendet das Zinschaos!
Die Wirtschaft ist ein Spinnennetz aus etlichen Verträgen: Kreditverträge, Lieferverträge, Einkaufsverträge, Mietverträge, Arbeitsverträge etc. In all diesen Verträgen sind Konditionen für Geldströme jetzt und in der Zukunft festgehalten, mit ganz unterschiedlichen Laufzeiten. Jede Zinsänderung zerrüttet die Geschäftsgrundlage dieser Verträge. Beim Hauskredit ist das am offensichtlichsten: Wenn die Bank einen zehnjährigen Kredit für zwei Prozent vergibt, aber die Zentralbank kurz darauf den Leitzins auf fast fünf Prozent anhebt (wie in den USA), dann hat der Immobilienbauer Glück gehabt und die Bank ein schlechtes Geschäft, weil ihre Kosten steigen, ihre Einnahmen aber nicht.
Die Banken kalkulieren deshalb einen Sicherheitspuffer für Zinsänderungsrisiken mit ein. Das macht Kredite teurer, als sie bei stabilem Zins sein müssten. Daneben gibt es für Banken die Möglichkeit, solche Risiken mit Gegengeschäften abzufedern. Wenn also die SVB viel in langlaufende, niedrig verzinste US-Anleihen investiert ist, kann sie das Kursrisiko absichern, indem sie mit einem Teil des Geldes auf steigende Zinsen wettet. Das ist in etwa so, als wenn man bei Fußballwetten gleichzeitig zwanzig Euro auf die Bayern und zwei Euro auf den unterlegenen Gegner setzt. Das mindert die möglichen Gewinne, weil die Absicherung zwei Euro kostet, aber begrenzt auch die Verlustrisiken.
Dafür gibt es spezielle Produkte am Finanzmarkt, die den Eindruck vermitteln, die Risiken könnten ach so smarte Banken ach so smart verschwinden lassen. Aber das ist eine große Illusion. All diese Geschäfte sind Nullsummenspiele. Jede Wette braucht zwei Parteien, braucht Gewinner und Verlierer. Jedes Geschäft braucht einen Geschäftspartner. Also: Eine einzelne Bank kann versuchen, ihr Risiko mit Gegengeschäften und Wetten minimieren, aber der Finanzsektor als Ganzes natürlich nicht. Wie auch?
Zinsänderungen von der Zentralbank sind also vorprogrammiertes Chaos für eine vertragsbasierte Wirtschaft und erzeugen immer Gewinner und Verlierer. Diese Unsicherheit ist ein externer Schock, den die Zentralbanken allen Marktteilnehmern zufügt. Je steiler die Zinserhöhung, desto drastischer die Auswirkung, desto größer das Risiko für Verlierer wie die SVB. Schon bei der Finanzkrise 2008 hat man das gesehen, auch damals steigen die Zinsen vorher an, bis die Immobilienblase platzte. Heute ist der Zinsanstieg in den USA sogar noch steiler als damals und kommt erst langsam bei den Immobilien an.
Übrigens: Sollte die FED bald aufhören mit den Zinserhöhungen, könnten aus den heutigen Gewinner die zukünftigen Verlierer werden. Dann werden die niedrig verzinsten Anleihen nämlich wieder beliebter und die Wetten auf steigende Zinsen gehen nicht mehr auf. Ein einziges Chaos!
Entlastet die Zentralbank!
Ob die FED in den USA oder die EZB bei uns: Preisstabilität ist ihre vorderste Aufgabe. Die Zentralbanken sollen dafür sorgen, dass die Inflation stabil bei zwei Prozent liegt. Dafür können sie den Zins ändern und mehr oder weniger Anleihen kaufen, mehr Werkzeuge stehen ihr nicht zur Verfügung. Zwei Sachen sollten wir aber eigentlich gelernt haben.
Erstens: Die Zentralbanken sind mit ihrem Inflationsmandat überfordert. Zehn Jahre All-In-Strategie mit Nullzinsen und Anleihekaufprogrammen haben nicht geschafft, die Inflation auf zwei Prozent hochzudrücken. Und jetzt gerade sehen die Zentralbanken kein Land gegen die hohen Wellen des Energiepreisschocks.
Zweitens: Es gibt einen Zielkonflikt zwischen Preis- und Finanzstabilität. Das hat die jüngste Sitzung der FED eindeutig gezeigt. Einerseits müsste sie nach ihrer eigenen Überzeugung den Zins weiter anheben, um die Inflation zu bekämpfen, andererseits gefährdet sie damit die Stabilität der Banken, weil jede Zinserhöhung weitere Kursverluste für alte Anleihen bedeutet. Um die goldene Mitte zwischen Preis- und Finanzstabilität zu treffen, hat sie den Leitzins um 0,25 statt 0,5 Prozentpunkte erhöht. Verbergen kann sie den Zielkonflikt aber nicht.
Deshalb: Entlastet die Zentralbank von ihrem Inflationsmandat und lasst die Regierung sich um die Inflation kümmern. Das Ziel kann dann trotzdem noch bei zwei Prozent bleiben, nur hat die Regierung über Löhne, Preisbremse, Steuern, Investitionen und ein Kartellamt viel größere Hebel gegen die gestiegenen Preise als die Zentralbank. Und: Ein stabiles Finanzsystem ist Herausforderung genug für die Zentralbank, damit hat sie immer noch alle Hände voll zu tun.
Sichert die Einlagen – ohne Limit!
Die Idee, dass Einlagen bei Banken nur bis zu einer begrenzten Höhe gesichert werden, ist etwas unsinnig. In den USA gilt die Einlagensicherung bis 250.000 USD, in Deutschland bis 100.000 EUR pro Kopf und Konto. Warum unsinnig? Nun, sie entspringt der Vorstellung, dass Kunden ihre Firmen kontrollieren sollen. Beispiel: Wenn Oma Erna beim Aldi faule Erdbeeren in der Schale findet, geht sie die beim nächsten Mal im Lidl kaufen. Der souveräne Konsument nimmt so im Wettbewerb der Anbieter Einfluss auf bessere Produktqualität.
Was bei Erdbeeren noch klappt, ist allerdings bei Banken etwas viel verlangt. Das Geschäftsmodell und die Bilanzen der Banken sind so komplex und undurchsichtig, dass kein Kunde kontrollieren kann, ob seine Bank gesund ist oder nicht. Schon die Profis bei der Bankenaufsicht und die Wirtschaftsprüfer haben damit alle Mühe!
Gut, jetzt kann man sagen: Oma Erna muss die Bank ja gar nicht prüfen, weil sie nicht mehr als 100.000 EUR auf der hohen Kante hat. Mag sein, allerdings sind 100.000 EUR an Ersparnissen auch im Alter nicht die Welt, wir reden hier längst nicht über Reichtümer und Luxusyachten. Außerdem gilt die Grenze auch für Firmenkunden. Schon der Lüftungsgroßhandel mit 30 Mitarbeitern hat schnell mehr als 100.000 EUR auf dem Konto, wenn ein paar Großkunden ihre Einkäufe bezahlen. Doch warum sollte der sich mit den Bilanzen der Commerzbank auseinandersetzen? Weder ist es dem Lüftungsgroßhandel zuzumuten, noch ist das effizient. Der Lüftungsgroßhandel soll sich um Ventilatoren und Brandschutzklappen kümmern, nicht um seine Einlagen bei der Commerzbank!
Das Limit bei der Einlagensicherung muss deshalb fallen. Jeder Euro an Einlage bei Banken muss sicher sein – egal, was passiert. Profis sollten die Banken beaufsichtigen und sonst niemand. Wenn der Staat alle Einlagen garantiert, gibt es auch kein Risiko für Bankruns. Die Panik, die Starinvestor Peter Thiel bei der SVB ausgelöst hat, wäre mit voller Einlagensicherung gar nicht entstanden.
Ironischerweise hat die US-Regierung im Fall der SVB sogar erklärt, dass alle SVB-Einlagen in Ausnahme von der Regel abgesichert werden. Allerdings wirklich nur als Ausnahme und nicht für immer, Finanzministerin Yellen lehnt eine limitlose Einlagensicherung ab und streut damit neue Unsicherheit im Markt. Ein politischer Fehler.
Ach ja: Einlagensicherung rettet die Kunden, nicht die Bankeigentümer. Die Vorstellung, dass Banken dann noch wilder spekulierten und eine Vollkasko-Versicherung vom Staat bekämen, ist also falsch und ein weitverbreitetes Missverständnis. Machte die Bank Verluste, müssten die Eigentümer (meistens also die Aktionäre) auch mit unbegrenzter Einlagensicherung für den Verlust aufkommen und mit ihrem Eigenkapital geradestehen. Aber eben nur die und nicht die ahnungslosen Kunden. Und nochmal: Aufsicht über wilde Spekulation ist Aufgabe der Profis und kann mit Regeln des Gesetzgebers verhindert werden, nicht mit mehr oder weniger Einlagensicherung.
Türen auf zum Zentralbankgeld!
Die FED hat richtigerweise entschieden, den Banken eine neue Kreditlinie einzurichten, das Bank Term Funding Program. Das Besondere daran: Banken können Staatsanleihen ohne Abschläge zu ihrem Ausgabewert als Sicherheit gegen Zentralbankguthaben eintauschen. Bisher konnten sie das nur mit kleinen Abschlägen und nur zum aktuellen Kurswert der Anleihen.
Anstatt eines Krisenprogramms, sollte daraus eine generelle Regel werden, sowohl bei der FED als auch bei der EZB. Jede Staatsanleihe könnte dann zu ihrem Ausgabewert und ohne Abschläge als Sicherheit für einen Kredit bei der Zentralbank akzeptiert werden. Wie schon bei den whatever-it-takes-Anleihekäufen in der Pandemie machen die Zentralbanken aus der Not geboren oft das, was vorher schon vernünftig gewesen wäre.
Ich würde aber noch einen Schritt weitergehen: Banken sollten auch Zentralbankkredite ohne Sicherheiten bekommen, wenn (!) sie vernünftig reguliert und beaufsichtigt sind. Denn, dass die Zentralbank bei Krediten an Banken Sicherheiten von ihnen sehen will, ist ja nur ein zweiter Sicherheitsschritt, um die Banken zu überprüfen. Wenn Banken aber viel strenger reguliert würden, wäre das gar nicht notwendig, sondern redundant – doppelt gemoppelt.
Reguliert die Banken!
FDP-Abgeordneter und Bitcoin-Befürworter Frank Schäffler forderte, Banken sollten mehr Eigenkapital vorhalten, wenn sie Staatsanleihen halten. Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn von der CDU forderte das auch. Spahn hat übrigens eine Bankausbildung gemacht. Bisher müssen Banken das nicht, weil die Staatsanleihe als die sicherste aller Anlagen gilt. Und das zurecht. Ein kluger Vorschlag ist die Forderung deshalb nicht. Staatsanleihen würden unnötig unattraktiv gemacht und am Ende bedeutete das nur höhere Kosten für die Banken, die sie über höhere Kreditzinsen und niedrige Sparzinsen wieder auf ihre Kunden umlegen. Der Wirtschaft ist damit nicht gedient.
Für Anleihen in eigener Währung gibt es darüber hinaus auch kein Ausfallrisiko, weil ein Staat in eigener Währung immer die Anleihe samt Zinsen bedienen kann. Zinsänderungen mögen zwar den Marktwert einer Anleihe verändern, aber das ist nur ein unrealisierter Verlust, der entfällt, wenn Banken diese Anleihen bis zum Ende ihrer Laufzeit halten. Dann bekommen sie natürlich vom Staat für die Anleihe den Ausgabewert zurück, nicht den niedrigeren Marktwert. Durch die offene Tür zur Zentralbank und die Möglichkeit, Anleihen gegen Zentralbankguthaben zu tauschen, gäbe es keinen Grund, aus Liquiditätsengpässen die Anleihen mit Verlust zu verkaufen – und eine neue SVB-Pleite zu verursachen.
Trotzdem sollte man die Banken strenger regulieren. In »Mythos Geldknappheit« habe ich dazu diverse Vorschläge gemacht. Banking muss wieder langweilig werden, so heißt die Devise. Kreditforderungen sollten Banken nicht verkaufen und Kreditausfälle nicht versichern dürfen. Beides widerspricht dem originären Zweck von Banken, sorgfältig und umsichtig Kredite an kreditwürdige Kunden zu vergeben. Sobald sie sich gegen den Ausfall absichern, ist der Anreiz für sorgfältige Kreditvergabe futsch, die heiße Kartoffel wird einfach an den nächsten übergeben. Außerdem sollten Banken der eigene Handel mit Aktien und anderen Vermögenswerten – außer Staatsanleihen – untersagt werden. Ebenso Finanzierung in Fremdwährung und undurchsichtige Konstrukte mit Tochterfirmen. Wenn das Geschäftsmodell langweilig ist, gibt es auch weniger Risiken und die Zentralbank kann Banken bedingungslosen Zugriff auf Zentralbankgelder gewähren. Deshalb: Make Banking boring again!