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Wie man die Inflation bekämpft und wie nicht

Was können wir aus der Politik der vergangenen Monate über die Inflationsbekämpfung lernen? Lukas Scholle und Maurice Höfgen diskutieren verschiedene Ansätze und erklären, warum gezielte Inflationsmaßnahmen verträglicher für die Wirtschaft sind als pauschale Zinserhöhungen oder marktgläubige Zurückhaltung.

Es ist eine Frage, die spaltet: Wie geht man am besten gegen Preissteigerungen vor? Die Bandbreite der Meinungen unter Ökonomen wie Politiker ist riesig. Während die einen für staatliche Eingriffe in die Preise und höhere staatliche Ausgaben plädieren, fordern die anderen das Gegenteil – und noch Zinserhöhungen obendrauf. Grundlegender könnten sich die Meinungen nicht unterscheiden. Die unterschiedlichen Ansätze beruhen allerdings auf verschiedenen Analysen des Geschehens. 

Grundkonflikt dessen ist die Frage, worin die Ursachen der Preissteigerungen liegen? Während sich Wirtschaftsliberale wie Progressive oft einig sind, dass es Schocks auf der Angebotsseite gibt – von Lieferketten bis Energie – gehen bei der Nachfrageseite die Meinungen rasch auseinander. Wirtschaftsliberale wittern die Folgen von zu hohen Staatsausgaben, zu geringen Zinsen, einer zu hohen Geldmenge und unflexiblen Märkten. Progressive hingegen sehen vor allem die Folgen mangelnder staatlicher Ausgaben hinsichtlich der Energiewende. Diese beiden unterschiedlichen Ergebnisse zu den längerfristigen Ursachen übersetzen sich in verschiedene Handlungsempfehlungen zur Krisenbewältigung: Die Wirtschaftsliberalen wollen eher an sektorübergreifenden Stellschrauben drehen, Progressive eher an den Stellschrauben in den betroffenen Sektoren. Beide Ansätze bewerten also unterschiedlich, wie die einzelnen Schocks die derzeitigen Preissteigerungen beeinflussen.

Die erste Runde

Bereits vor dem Überfall Wladimir Putins auf die Ukraine und dem damit einhergehenden Wirtschaftskrieg begannen die Preise anzuziehen – in den USA, in Europa und in Deutschland. Greenflation wurde das Phänomen damals genannt. Hauptverursacher war auch da schon die Angebotsseite. Es hat sich deshalb nicht die Kaufkraft der Menschen verändert, sondern die Kosten der Produktion. Das lag vor allem an den Nachwehen der Coronakrise. Zerrissene Handelsketten und hohe Rohstoffpreise trieben die Erzeugerpreise nach oben. Damals, also Ende 2021, erwog Isabella Weber deshalb schon das Instrument der Preiskontrollen, um eine Überwälzung von Preissteigerungen in andere Bereiche zu vermeiden. 

Diese Überwälzung von steigenden Preisen in andere Bereiche wurde mit dem russischen Überfall auf die Ukraine nochmal relevanter. Nach dem Überfall stiegen die Energiepreise nämlich in ungekannte Höhen. Es traf also wieder die Angebotsseite und die Kosten bei den Konzernen stiegen. Die Konzerne gaben die Kosten dann in unterschiedlichsten Konstellationen an die nächsten Produktionsschritte und die Verbraucher weiter. Zugleich gab es aber auch Übergewinne auf der Angebotsseite: Insbesondere bei grünen Stromerzeugern in Deutschland und Ölkonzernen im Ausland. Denn bei beiden änderten sich die Produktionskosten nicht erheblich, die Preise und folglich auch die Gewinne gingen jedoch durch die Decke. 

Lukas Scholle

Lukas ist Ökonom und als wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Bundestag tätig. Nebenbei ist er Redakteur für Finanzthemen bei Jacobin. Darüber hinaus veröffentlicht er wöchentlich den Podcast »Wirtschaftsfragen«, wo er Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik interviewt.

Während der Energiepreiskrise gab es in Deutschland sowie in anderen EU-Staaten und auch in den USA Entlastungsmaßnahmen. Manche mit fundamentaler Wirkung und andere mit symbolischer Wirkung. Hauptzweck der Entlastungsmaßnahmen war es; die Kaufkraft und die Planungssicherheit von Verbrauchern und Unternehmen sicherzustellen, sodass sich die Energiekrise nicht auf andere Bereiche ausweitet. 

Die zweite Runde

Infolge der Preissteigerungen und der eher zaghaften Entlastungspakete stieg auch das Verlangen nach höheren Löhnen. So setzten etwa die Angestellten der Post oder des öffentlichen Dienstes im Vergleich zu den Vorjahren deutlich höhere Tarifsteigerungen durch. Damit ging die Gefahr der Lohn-Preis-Spirale einher, wenn etwa der Kaufkraftverlust der Menschen überkompensiert worden wäre. Doch das war eher eine theoretische Befürchtung, da die Gewerkschaften gar nicht die nötige Verhandlungsmacht dafür besaßen. Auch die Knappheit an Arbeitskräften war nicht in notwendiger Höhe gegeben. Somit hat sich die Befürchtung einer Lohn-Preis-Spirale bislang nicht erhärtet und dürfte auch ohne weitere Schocks, welche die Lohnerwartungen nochmal nach oben treiben, nicht entstehen. 

Was relevanter zu sein scheint, ist, was mit den Unternehmensgewinnen passiert. Dort gibt es für die USA und die Eurozone klare Befunde, dass die Profite im Zuge der Krisen gestiegen sind. Die Theorie dahinter: Profitgetriebene Preissteigerungen fanden durch die kostengetriebenen Preissteigerungen höhere Akzeptanz in der Bevölkerung. Die Konzerne nutzten die Situation also zu ihrem Vorteil aus, um nicht nur die Kosten zu überwälzen – sondern auch um ihre Gewinne zu erhöhen. Das ist ein Anzeichen dafür, dass in den jeweiligen Branchen der Wettbewerb nicht mehr auf herkömmliche Weise funktioniert. Sonst hätte ein Unternehmen die Preise weniger stark erhöht, um Marktanteile zu gewinnen und die Konkurrenten zu Preissenkungen zu zwingen. Neben diesen Branchen als Krisengewinner gibt es auch noch klassische Krisengewinner – wie zum Beispiel Häfen und Energiekonzerne.

Für Deutschland ist die Lage allerdings etwas komplizierter, da die Industrie in Deutschland in besonderer Weise getroffen wurde. Einerseits von den Nachwehen der Pandemie sowie nicht intakten Lieferketten, andererseits durch die hohen Energiepreise und der Zuliefererabhängigkeit bei der Energie. Dazu kommt der hohe Kaufkraftverlust der Menschen, da sowohl die Energie- als auch die Lebensmittelpreise in die Höhe gestiegen sind und die Geldbeutel der Menschen geschmälert hat. Aktuell ist die Frage, ob in Deutschland auf breiter Front noch profitgetriebene Preissteigerungen kommen und was aus den fallenden Erzeugerpreise folgt. Sollten sie nicht nach unten weitergegeben werden, kommt es auch hier zu steigenden Profiten. Auch so ließe sich die Marge der Konzerne ausweiten, was den Druck auf die Löhne hochhalten und die Binnennachfrage schwächen würde. 

Falsche und richtige Antworten

Trotz der relativ weit verbreiteten Ansicht, dass der Energiepreisschock massiven Anteil an der Situation hat, gehen die Empfehlungen für Maßnahmen gegen Preissteigerungen weit auseinander. Von den falschen Antworten gibt es eine ganze Reihe, die es in sich haben. Die wohl wichtigste: anstatt Preiseingriffe vorzunehmen, sollte man die Preise einfach durchwirken lassen. Der Gedanke dahinter ist kein anderer, als dass der Markt es schon regeln wird. Kann der Preis nämlich wirken, dann werden die Menschen weniger konsumieren. So kann der Markt die verfügbaren Güter optimal verteilen. Eingriffe in den Preismechanismus führen früher oder später zu Marktversagen. Das Beispiel dahinter: Wenn ein Gut preislich pauschal gedeckelt wird, das Angebot immer weiter sinkt und die Nachfrage konstant bleibt, dann gibt es irgendwann keine Güter mehr. Somit hat der pauschale Preisdeckel die Signalwirkung des Preises komplett verdeckt – wobei es selbstverständlich noch andere Indikatoren mit Signalwirkung gibt. 

Maurice Höfgen

Maurice ist Ökonom und Betriebswirt. Derzeit ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Bundestag tätig. Er ist Vertreter der Modern Monetary Theory und hat 2020 das Buch »Mythos Geldknappheit« veröffentlicht. 2022 ist sein Buch »Der neue Wirtschaftskrieg« erschienen, 2023 sein Buch »Teurer!«. Regelmäßig veröffentlicht er informative Videos zu ökonomischen Themen auf seinem YouTube-Kanal »Geld für die Welt«.

Allerdings greift diese marktgläubige Betrachtung zu kurz, da sie der Komplexität von wirtschaftlichen Wirkungskanälen nicht gerecht wird. Denn die Planungssicherheit von Kosten für Unternehmen und Verbraucher ist von enormer Relevanz – geht diese verloren, dann geben beide präventiv weniger Geld aus, was wiederum zu größeren Problemen führt. Geben Unternehmen und Verbraucher nämlich weniger Geld aus, kann das die Produktion und den Konsum zum Erlahmen bringen. Ein entscheidender Vorteil von gezielten Preiseingriffen ist deshalb, dass sie chirurgisch wirken, um größere Auswirkungen zu vehindern. Sie können selbst dann von größerer Relevanz sein, wenn ein enormer Kostenschock ausbleibt: Bei Unternehmen gibt es nämlich geringeren Druck, die gestiegenen Produktionskosten weiterzugeben. Gleichzeitig kann die Signal- und Lenkungswirkung des Preises erhalten bleiben, wie etwa die Gaspreisbremse zeigt. Wirklich wichtig an solchen Preiseingriffen ist jedoch, dass sie früh genug kommen, um ihre anti-inflationäre Wirkung zu entfalten. Das war bei der Gaspreisbremse leider nicht der Fall.

Gleichwohl können Preiseingriffe nur dabei helfen, die Folgen der Knappheit abzudämpfen. Sie können die Knappheit nicht an sich verhindern. Somit kaufen sie „nur“ Zeit, um die realen Knappheiten zu reduzieren. Doch auch auf dieser realwirtschaftlichen Ebene der Angebotsseite versagen die liberalen Ökonomen und Politiker. Ihre Marktgläubigkeit führt sie nämlich zu folgendem Argument: Wenn es jetzt zu hohe Preise gibt, bietet das höhere Investitionsanreize, was die Knappheit reduziert. Selbiges gilt für Übergewinne. Der Staat soll daher nicht in das Geschehen eingreifen, sondern lieber auf die Selbstheilungskräfte des Marktes vertrauen. Diese liberale Doktrin verkennt, dass es sich bei Angebotsschocks nicht um vorübergehende Preisschwankungen handelt, sondern um Kostenschocks mit weitreichenden Folgen. Deshalb hält dieses Argument der realwirtschaftlichen Komplexität auch nicht stand. Gerade große Investitionsplanungen erfordern eine gewisse Planungssicherheit – sowohl über Nachfrage, über Rendite als auch über Kosten. Gibt es diese nicht, dann investieren Unternehmen auch weniger. 

Eine gewisse Planungssicherheit für private Unternehmen kann jedoch nur der Staat schaffen. Dafür braucht er finanzielle Handlungsspielräume. Doch auch bei diesen Spielräumen weisen wirtschaftsliberale Ökonomen und Politik in die falsche Richtung. Aufbauend auf ihrer Marktgläubigkeit beharren sie darauf, dass das Verhältnis aus Angebot und Nachfrage nicht verzerrt werden darf. So würde ein staatliches Investitionsprogramm genauso wie Entlastungspakete nur zu weiteren Preissteigerungen führen – was auch wieder den Marktmechanismus beeinträchtigen würde. Doch auch aus der Vogelperspektive ist das zu undifferenziert bzw. wird dem Konkreten nicht gerecht. So kann es zum Beispiel auf dem Lebensmittelmarkt Knappheiten geben, was eine hohe Gesamtinflationsrate zur Folge hat – das heißt aber noch lange nicht, dass Branchen wie die Gebäudesanierung oder der Windradbau ausgelastet sind. 

Und wenn wir schon bei pauschalen Maßnahmen sind, von welchen liberale Ökonomen und Politiker allzu gerne sprechen: Laut ihnen müssen die Zinsen hochgedreht werden. Dies soll die gesamtwirtschaftliche Aktivität erlahmen lassen. Erst die der Unternehmen, da sie neue Investitionen nicht mehr tätigen, dann die der Verbraucher, die bei weniger Investitionen weniger angestellt werden. Das Problem daran: Auch das trifft Branchen, die mit dem Energiepreisschock direkt nichts zu tun haben, was dann wiederum Folgeeffekte hat. So zum Beispiel die Bauindustrie bei sich gleichzeitig abzeichnender Wohnungskrise. Aber auch für die Energieindustrie ist der Zins entscheidend. Denn auch hier geht es um Investitionsräume von Jahrzehnten. Und bei hohen Zinsen langjährige Verträge einzugehen, ist natürlich unattraktiv. 

Gegen Marktgläubigkeit

Diese ganzen Konfliktfelder zeigen, dass blinde Marktgläubigkeit in aller Regel zu kurz gedacht ist. Obwohl noch unklar ist, wie sich diese Fortschritte in die Zukunft übertragen, bergen sie eine fundamentale Chance in sich: Das Aufbrechen der blinden Marktgläubigkeit bei grundsätzlichen ökonomischen Fragen. Ob es nun um den Preismechanismus geht, um das Privateigentum an Produktionsmitteln in systemrelevanten Bereichen oder um die finanzielle Handlungsfähigkeit des Staates. All das sind Kernelemente des Neoliberalismus, die Jahrzehnte als unantastbar galten. Umso wichtiger, dass sich ihre Antastbarkeit weiterträgt.