Die menschlichen Kosten der Südseeblase: Reichtum, Ruin und Ungleichheit 

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts erschüttert ein Finanzskandal weite Teile der Bevölkerung. Während sich die einen beim Glücksspiel vergnügen, fürchten die anderen um ihre finanzielle Sicherheit. Die Rede ist nicht vom berühmten und deutlich früheren Tulpenskandal, sondern vom Crash der Südseeblase.

Die 1711 durch ein Parlamentsgesetz inkorporierte South Sea Company hatte in erster Linie die Aufgabe, den Handel mit »Spanisch-Amerika« zu fördern, um die drohende Staatsverschuldung abzubauen. Die englische Gesellschaft ging davon aus, dass der Spanische Erbfolgekrieg mit einem Vertrag enden würde, der diesen Handel ermöglichte. Tatsächlich gewährte die spanische Krone Königin Anne 1713 ein Handelsmonopol für die Region, das auch den Asiento einschloss, der den Handel mit afrikanischen Sklaven mit dem spanischen und portugiesischen Reich förderte.

Anne übertrug den Vertrag auf die South Sea Company, die sich im Gegenzug bereit erklärte, an der teilweisen Umschuldung der Staatsschulden mitzuwirken. Diese Vorgehensweise, die sich in der Vergangenheit als erfolgreich erwiesen hatte, schien zunächst ebenso lukrativ zu sein. Im Juli 1711 schloss die South Sea Company Verträge mit der Royal African Company, um Jamaika mit der benötigten Anzahl afrikanischer Sklaven zu versorgen. Im Laufe des Jahres verschiffte die Kompanie mindestens 1.200 Sklaven von Jamaika nach Amerika, wobei die Gesamtzahl wahrscheinlich höher lag. Die Summe der von der South Sea Company transportierten Sklaven wird auf etwa 34.000 geschätzt. 

Lange Zeit wurden die Unternehmungen der South Sea Company von Historikern als finanziell erfolglos bezeichnet, was nach neueren Erkenntnissen jedoch nicht der Fall gewesen zu sein scheint. Die vorrangige Konzentration auf die Frage, ob das Geschäft lukrativ war oder nicht, führte jedoch gleichzeitig zu einer fast vollständigen Ignoranz gegenüber dem Schicksal der »thousands of people [who] were transported across the Atlantic by the South Sea Company«. 1 Paul 2011: 11  

Sina Menke

Sina Menke promoviert in frühneuzeitlicher Geschichte an der Universität Marburg und ist Mitglied bei den New Voices on Women in the History of Philosophy und der DGphil AG Frauen in der Geschichte der Philosophie. Sie interessiert sich für feministisches Denken, Philosophiegeschichte und utopische Strukturen.

Abgesehen von der Frage der finanziellen Tragfähigkeit sind die letzten Kapitel der South Sea Company gut dokumentiert: Der Vertrag mit der spanischen Krone brach im September 1720 zusammen, und selbst eine vereinfachte Beschreibung der Ereignisse kann ein vertrautes Bild von dem zeichnen, was folgte: Die Aktienkurse begannen zu fallen, und angesichts der hohen Verluste anderer zogen sich viele ganz zurück, was zu einer sich verstärkenden Spirale der Desinvestition führte, die wiederum die Aktienkurse noch drastischer fallen ließ. Schließlich »fielen die Südsee-Aktien so stark, dass sie … unter ihrem Wert lagen, zu dem die meisten Inhaber von Staatsanleihen eingetauscht hatten«. 2 Paul 2011: 50 Obwohl die Bank of England den Vertrag mit dem Unternehmen kündigte, erholten sich die Aktienkurse wohl wieder etwas, um dann endgültig und nachhaltig abzustürzen. 

Es wird oft angenommen, dass dies zu einem der größten finanziellen Crashs in der Geschichte Englands führte, aber das ist nur zum Teil richtig. Die faktischen Auswirkungen des Zusammenbruchs und seiner nachträglichen Erzählung waren denen der Tulpenmanie zwischen 1634 und Februar 1637 nicht unähnlich, deren tatsächliche Auswirkungen von Goldgar (2008) überzeugend dargelegt wurden. Sowohl die Südseeblase als auch die Tulpenmanie scheinen als riesige Finanzkatastrophen mystifiziert worden zu sein und offenbaren »eine Kluft zwischen der Rhetorik und der Art und Weise, wie die Gesellschaft tatsächlich funktioniert«. 3 Paul 2011: 14  

Haywoods skandalöse Erzählung konfluenter Ungleichheiten 

Eine Autorin, die diesen Skandal zu Beginn des 18. Jahrhunderts literarisch verarbeitet hat, ist Eliza Fowler Haywood (1693–1756?). Haywood arbeitete abwechselnd als Poetin und als Schauspielerin und finanzierte die Publikation einiger ihrer Werke, die sie selbst verfasste, mithilfe ihres Druckhauses The Sign of Fame. In ihrem zweibändigen Werk »Memoirs of a Certain Island Adjacent to the Kingdom of Utopia« thematisiert sie zunächst die »Finanzcrash-Hysterie«, die sich im weiteren zeitlichen Verlauf manifestiert. Sie beschreibt einen verzauberten Brunnen, in den Minister, der Adel, korrupte Herren sowie »common folk« investieren. Viele der Investor*innen werden persönlich vorgestellt, darunter hochrangige Grafen, wie der Earl of Macclesfield oder dem ersten Premierminister Robert Walpole. Nachdem der Protagonist vom Erzähler, Cupid, durch ausschweifende Anekdoten erfährt, wie korrumpiert  die gesamte Insulaner-Gesellschaft ist, wird der Zauberbrunnen von Justitia persönlich zerstört und die Investor*innen begreifen langsam, dass es sich bei dem Zauberbrunnen um einen ganz gewöhnlichen, aber bodenlosen Brunnen hält. Die Mystifikation der haltlosen Investitionen könnte hiermit abgeschlossen sein. Was aber als Nächstes passiert, ist entscheidend, um zu verstehen, wie und warum viele Forscher*innen von Finanzcrashs wie der Tulip Mania, aber auch heutigen Börsencrashs missverstehen. 

»[T]he young gay Coquette,« beschreibt der Protagonist der Geschichte, »tho she lost great part of her Pertness, still flirted her Fan, and perhaps affected more than felt a real Terror. The well-dress’d powder’d Beau, shaking back his Ruffle, and gently rapping with his ring’d Fingers his Snuff-Box-Lid, cry’d, Gad, tis wondrous strange!« Der König der Insel, auf der sich die Geschichte abspielt, ergänzt daraufhin: »They are a sort of Butterfly; pretty, little, unhurtful, insipid Insects, who when they have play’d away their Season here, are translated into some other World to buzz about, incapable of meriting either Heaven or Hell.«

Ganz anders werden die Bürger*innen beschrieben, die all ihr Hab und Gut verloren haben: »[N]o dependance, no hope of Support, or even Sustenance for themselves and miserable Families …. What was now the Estate of these unhappy Wretches! How truly dreadful their Condition! Long beguil’d with pleasing Dreams of coming Happiness, Prosperity, Plenty, to be waked at once to such a Certainty of Penury, Disgrace, and all the Miseries which make consummate Ruin. To have no hope, no expectation left, and to know that they had lost all this by an Infatuation.«

The Rich were greedy to increase their Store, the Indigent eager to know a better State.

Haywood 1724: 8

Sie stellt fest: Es kommt darauf an, wen man fragt. Haywoods Beobachtung scheint auf den ersten Blick simpel, und in gewisser Weise ist sie das auch, aber in der Blütezeit der Skandalromane, die sich oft ausschließlich mit dem Adel und der wohlhabenderen Gesellschaft beschäftigen, bleibt Haywoods Perspektive auf die vulnerablen Teile der Gesellschaft eine besondere. Der Macclesfield-Skandal von 1725 gilt als Paradebeispiel dafür, wie ehemals reiche Investor*innen der South Sea Company 4 https://www.dominicwinter.co.uk/Auction/Lot/304-the-south-sea-bubble-and-the-trial-of-the-earl-of-macclesfield/?lot=361622&sd=1 wie der Earl of Macclesfield nach deren Crash tief in die Taschen der Bevölkerung greifen. Macclesfield ist Anfang des 18. Jahrhunderts vor allem dafür bekannt, in seiner Zeit als Oberster Richter am Court of Chancery 60.000 Pfund in die eigene Tasche gesteckt zu haben. Die finanziellen Mittel waren ursprünglich für Waisenhäuser und psychiatrische Anstalten vorgesehen. In Anbetracht dessen wird Macclesfield von Haywood als ein Beispiel für einen Schmarotzer schlechthin bezeichnet. 

Auf der Suche nach Gerechtigkeit 

Wagt man einen vorsichtigen Blick in die Gegenwart – vorsichtig, weil die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen natürlich völlig andere sind –, so stellt man fest, dass auch in den aktuellen Debatten um Finanzcrashs allzu oft diejenigen in den Hintergrund treten, die von solchen Phänomenen am stärksten betroffen sind. Der Crash der US-Immobilienblase im Jahr 2008 zog ganz besonders diejenigen in Mitleidenschaft, die ihre Häuser verloren. Sie waren deutlich anfälliger für Krankheiten oder litten zumindest unter stärkeren Angstzuständen. Neben den gesundheitlichen Problemen zeigte sich, dass die Instabilität des Wohnungsmarktes zu einem deutlichen Anstieg der Gewalt geführt hat. Selbstverständlich leiden auch größere Unternehmen und Investoren unter diversen Finanzcrashes. So schreibt die Washington Post 2022 über die Crypto Bubble: »there was ‘the sense that the crypto bubble has definitively popped, taking with it billions of dollars of investments made by regular people, pension funds,.« 5 https://www.washingtonpost.com/business/2022/12/18/crypto-winter-ftx-collapse-bitcoin-prices/ Aber, und Haywood zeigt dies eindringlich, arme und reiche Bürger*innen haben nicht dieselben Grundlagen, die sie sich wieder aufbauen können und sie werden ebenfalls nicht gleichwertig entschädigt. Während Macclesfield bei ihr (der echte Macclesfield wurde tatsächlich verurteilt) mit einer milden Geldstrafe davonkommt, hat die englische Unter- und Mittelschicht diese Chance nicht. Haywood beendet daher ihre Kritik mit der offenen Frage wohin sich diejenigen wenden, die nicht angehört werden? »What therefore could [they] do? On whom could [they] depend, either for Comfort, or indeed Subsistence?« 6 Haywood 1725: 163 In Zeiten massiver austeritätspolitischer Maßnahmen von Trump, Musk und auch Merz muss diese Frage zentral sein und bleiben. 

Literatur

Haywood, Eliza Fowler and Menke, Sina. Memoirs of a Certain Island Adjacent to the Kingdom of Utopia: Volume I, De Gruyter, 2024. 
Haywood, Eliza Fowler and Menke, Sina. Memoirs of a Certain Island Adjacent to the Kingdom of Utopia: Volume II, De Gruyter, Sept. 2025.