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Klassenkampf mit der Notenpresse?

Manche Linke machen es sich schwerer, als sie müssten. Wie die Modern Monetary Theory helfen kann.

Die Modern Monetary Theory (MMT) ist so neu wie kontrovers. Vor zwanzig Jahren wurde die Denkschule von drei Professoren und einem Investmentbanker aus der Taufe gehoben und schwappt nach und nach aus dem angelsächsischen in den deutschen Diskurs hinüber. Ihre Einsichten stellen bisherige Grundannahmen über Staatsfinanzen und das Geldsystem von Grund auf in Frage. Damit setzt sie den ökonomischen Mainstream unter Druck – und zwar so sehr wie keine andere Denkschule seit dem Ende des Keynesianismus in den 1980ern. Ihre potenziellen politischen Schlussfolgerungen klingen für manche zu gut, um wahr zu sein. Zudem entlarvt sie vermeintlich bewährte linke Ansätze als widersprüchlich und wird gerade deshalb auch in der politischen Linken kontrovers diskutiert.

So werfen einige Sozialistinnen und Sozialisten der MMT vor, sie würde die Klassenfrage ignorieren, Machtkämpfe einfach mit der Notenpresse lösen wollen oder den Kapitalismus gar bestärken Stimmt das? Eins nach dem anderen! Ja, die MMT gibt keine Antwort auf die Klassenfrage. Ja, sie zeigt, wie man die Macht der Arbeiter mit der Notenpresse verbessern kann. Nein, die MMT stärkt weder den Kapitalismus noch den Sozialismus. Denn sie ist weder eine politische noch eine gesellschaftliche Theorie noch ein politisches Regime oder Reformpaket. Die MMT ist eine Geldtheorie oder, genau genommen, eine Anleitung für das Geldsystem. Sie zeigt uns, was Geld ist, wo es herkommt und warum es wichtig ist, die Bedeutung des staatlichen Währungsmonopol zu verstehen. Die wohl bedeutsamste Einsicht der MMT lautet: Geld ist keine knappe Ressource. Das Währungsmonopol gibt dem Staat viel mehr wirtschaftspolitischen Handlungsspielraum als andere Denkschulen nahelegen, was vor allem daran liegt, dass sie die Konsequenzen der staatlichen Monopolstellung ignorieren. Und die sind weitreichend. 

Maurice Höfgen

Maurice ist Ökonom und Betriebswirt. Derzeit ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Bundestag tätig. Er ist Vertreter der Modern Monetary Theory und hat 2020 das Buch »Mythos Geldknappheit« veröffentlicht. 2022 ist sein Buch »Der neue Wirtschaftskrieg« erschienen, 2023 sein Buch »Teurer!«. Regelmäßig veröffentlicht er informative Videos zu ökonomischen Themen auf seinem YouTube-Kanal »Geld für die Welt«.

Da der Staat unter anderen Bedingungen agiert als ein Währungsnutzer, sind seine Ausgaben nicht etwa durch die Höhe der Steuereinnahmen begrenzt, sondern durch reale Ressourcen, die in staatlicher Währung zum Verkauf stehen, und durch eigens auferlegte politische Regelungen wie etwa die Schuldenbremse. Ein Staat kann in der eigenen Währung auch nicht pleite gehen und ist weder von den Finanzmärkten und noch vom Geld der Superreichen abhängig. Auch das Preisniveau und die Arbeitslosenquote werden maßgeblich durch den Staat beeinflusst. 

»Die wohl bedeutsamste Einsicht der MMT lautet: Geld ist keine knappe Ressource. Das Währungsmonopol gibt dem Staat viel mehr wirtschaftspolitischen Handlungsspielraum als andere Denkschulen nahelegen, was vor allem daran liegt, dass sie die Konsequenzen der staatlichen Monopolstellung ignorieren.«

Sozialistinnen und Sozialisten sollten verstehen, dass die MMT eine Linse ist, derer sie sich bedienen können, um den Staat und das Geldsystem für die eigene Sache nutzen zu können. Dafür müssen sie der MMT natürlich sozialistische Werte überstülpen. Dies würde die Einsicht eröffnen, dass man nicht Robin Hood spielen muss, um Leuten mit kleinen Geldbeuteln größere zu verschaffen und dass man sich einen größeren Staatssektor und die Förderung von wirtschaftsdemokratischen Strukturen finanziell leisten kann; es würde zeigen, dass die Rückabwicklung von Privatisierungen und der Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht am Geld scheitern müssen; es würde klar werden, dass der Staat Vollbeschäftigung erzeugen und damit die Verhandlungsmacht der Beschäftigten stärken kann. Und letztlich würde deutlich werden, dass die Verteilungsfrage und die Finanzierungsfrage nicht in einen Topf gehören.

Der Finanzierungsmythos

Superreiche sollten besteuert werden, weil ihr Reichtum nicht auf eigener Leistung beruht, sondern das Ergebnis von Mehrwertaneignung ist. Ihr Reichtum bedeutet politische Macht, ist eine Zumutung für die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Der Staat braucht ihr Geld aber nicht. Denn staatliche Währung wächst nicht auf reichen Menschen, sondern in der Excel-Tabelle der Zentralbank – und zwar auf Knopfdruck! Anders als häufig angenommen, ist diese Einsicht kein Argument gegen eine höhere Besteuerung von großen Vermögen – das Gegenteil ist der Fall. Vielmehr eröffnet uns diese Perspektive den Handlungsspielraum für viel weitreichendere Forderungen. Denn zur Wahrheit gehört auch, dass wir die massive Ungleichheit nicht mit ein paar Prozent Vermögensteuer lösen können. Die Superreichen werden auch dann noch genauso viel konsumieren, lobbyieren und korrumpieren können wie zuvor. Doch genau zu dieser moderaten Forderung kommen Sozialistinnen und Sozialisten aber, wenn sie glauben, sie seien von privatem Kapital abhängig, weil dort die Investitionen, die Jobs und die Steuereinnahmen herkommen.

So argumentiert etwa Vivek Chibber im ABC des Kapitalismus. Er benennt Steuern als Haupteinnahmequelle für den Staat. Daraus leitet er ab, dass die Politik strukturell vom Kapital abhängig und der Staat damit dazu verdammt sei, zu einem Organ des Kapitals zu verkommen: Sobald der Staat eine Politik gegen die Interessen des privaten Kapitals mache, reagiere das Kapital mit sinkenden Investitionen, was wiederum zu weniger Wachstum, mehr Arbeitslosigkeit und sinkenden Steuereinnahmen führe. Staatliche Politik und Sozialprogramme würden dann unfinanzierbar, die Armut stiege und die Regierung würde über kurz oder lang ausgewechselt. 

Jetzt darf das Einführungsband von Chibber nicht als Stellvertreter für marxistische Staatstheorie herhalten. Denn hier spielt zum Beispiel das Problem der Kapitalflucht eine ebenso wichtige Rolle, vielleicht sogar eine noch wichtigere als die finanzielle Abhängigkeit von Steuereinnahmen. Dennoch: Sozialistinnen und Sozialisten, die unter solchen Annahmen agieren, machen sich das Leben schwerer, als es sein sollte. 

»Der neoliberale Kapitalismus war nicht etwa das Ergebnis staatlicher Kapitulation vor der erpresserischen Macht des privaten Kapitals, sondern wurde durch die Politik und ihre staatlichen Institutionen durchgesetzt.«

Der neoliberale Kapitalismus war nicht etwa das Ergebnis staatlicher Kapitulation vor der erpresserischen Macht des privaten Kapitals, sondern wurde durch die Politik und ihre staatlichen Institutionen durchgesetzt. Auch heute gibt es keine freien Märkte, sondern nur Märkte, die nach staatlichen Regeln funktionieren. Und diese Regeln sind politisch gemacht und wurden nicht einfach durch das Kapital erzwungen. Kurz gesagt: Die geltenden Regeln sind neoliberal, weil der Staat sie dazu gemacht hat. Es stimmt, dass sich der Staat auch selbst neoliberale Regeln – etwa die Schuldenbremse – auferlegt und damit die eigene Handlungsfähigkeit eingegrenzt hat. Und es stimmt auch, dass dies dazu geführt hat, dass sich ungleiche Eigentumsverhältnisse – allen voran jene zwischen Kapital und Arbeitern – dadurch zementiert haben. 

Doch dieser Status quo hat sich nicht nur durch Gesetze und politische Mehrheiten verfestigt, sondern auch und vor allem durch ökonomische Mythen, die in Medien, Politik und Bildung laufend reproduziert werden. Einer der zentralen Mythen ist, dass Geld knapp und der Staat auf die Steuerzahlungen seiner Bürgerinnen und Bürger angewiesen sei. Linke täten gut daran, sich dieser Mythen zu entledigen und sich der Bedeutung des Währungsmonopols bewusst zu werden. Das allein ist selbstverständlich nicht ausreichend, um sozialistische Reformen zu verwirklichen. Schließlich entscheidet in der Politik nicht nur das bessere Argument, sondern Macht und Momentum. Bei der Austragung von Konflikten kann es daher nur helfen, eine treffende Analyse über das Geldsystem in der Hinterhand zu haben. 

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Jacobin.