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Marktlogik ist kein Rechtsgebot

Die Ankündigung des Transmission Protection Instrument (TPI) der EZB hat in Deutschland eine Diskussion um die Berechtigung der Zentralbanken zum Eingriff in die Anleihenpreisbildung am Markt entfacht. In seinem Beitrag stellt Philipp Orphal heraus, warum es rechtlich betrachtet keineswegs notwendig ist, die Anleihepreisbildung ausschließlich dem Markt zu überlassen.

Am 21. Juli hat Christine Lagarde das Transmission Protection Instrument (TPI) der EZB vorgestellt. Das TPI ist ein neues Programm zum Ankauf von Staatsanleihen durch das Europäische System der Zentralbanken, mit dem die Zinsen, die Eurostaaten auf ihre Anleihen zahlen müssen, gesenkt werden sollen, wenn die Zinshöhe auf „unwarranted, disorderly market dynamics“ zurückzuführen wäre. Anlass sind die zuletzt sehr hohen Unterschiede (Spreads) zwischen der Höhe der Zinsen, die als „sicher“ empfundene Staaten wie Deutschland auf ihre Anleihen zahlen müssen, und denen, die die Gläubiger von „unsicheren“ Staaten, zuletzt ganz konkret vor allem von Italien verlangen. Die EZB begründet die Notwendigkeit eines Eingriffs in das Marktgeschehen damit, dass die einheitliche Wirkung (Transmission) der Geldpolitik der Zentralbanken in der Eurozone nicht gewährleistet ist, wenn die Zinsen für Staatsanleihen in den Eurostaaten zu weit auseinandergehen. 1 Zum Zusammenhang zwischen Anleihezinsen und Kreditzinsen und damit dem Preisniveau s. Lane, The compass of monetary policy: favourable financing conditions, Rede vom 25.2.2021.

Die Ankündigung des TPI hat in Deutschland, wieder einmal, eine Diskussion um die Rolle der Märkte bei der Beurteilung der öffentlichen Finanzen von Mitgliedstaaten und die Berechtigung der Zentralbanken zum Eingriff in das Marktgeschehen entfacht. Gegen das TPI wird vorgebracht, es sei unmöglich zu beurteilen, wann die Märkte in Hinblick auf die Zinshöhe übertrieben reagieren; auch die EZB habe in ihrer Ankündigung keine klaren Maßstäbe dafür definiert, wann Zinsen nicht mehr „fundamental gerechtfertigt“ seien; es sei außerdem nicht Rolle der Zentralbanken, es überschuldeten Mitgliedstaaten zu erleichtern, Strukturreformen zu verweigern. Wie so oft werden die Argumente dabei in die vornehmlich rechtliche Frage gerahmt, was die EZB eigentlich darf und was nicht; im Kern verläuft die Front aber eher zwischen der Annahme, die italienische Bevölkerung und ihr Staat würden selbst gerne aus den hohen Schuldenständen herauskommen, und der Befürchtung, dass die Höhe italienischer Anleihezinsen tatsächlich ein defizitäres Wirtschaften und die Verweigerung von Strukturreformen widerspiegeln – weshalb eine härtere Linie, die den italienischen Staat zum Sparen zwingt, richtig sei. Die „wahren“ Beweggründe der EZB (etwa: will sie in Wirklichkeit nur Italien helfen? Oder gar den Zusammenbruch der Eurozone verhindern?) geraten dabei in denselben Strudel des Misstrauens, der die Europäische Integration in finanziellen Fragen seit Jahrzehnten begleitet.

Philipp Orphal

Philipp Orphal ist Rechtsdoktorand am Institut für Finanz- und Steuerrecht der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und zurzeit Praktikant beim Dezernat Zukunft in Berlin. Als Doktorand beschäftigt er sich sowohl mit Fiskalrecht (Haushaltsrecht) wie auch mit Staats- und Europarecht.

Mit dem vorliegenden Beitrag möchte ich den Blick auf die rechtliche Rolle der Bildung von Anleihezinsen am Markt lenken. Losgelöst von der Frage, ob es politisch oder ökonomisch wünschenswert wäre, dass die Zentralbanken in die Höhe der Zinsen auf italienische Anleihen eingreifen, halte ich es für dringend geboten, die rechtliche Diskussion darüber zu eröffnen, welche Rolle nach den Regeln über die Wirtschafts- und Währungsunion bei der Entscheidung über mitgliedstaatliche Defizite den Märkten zukommen muss und zukommen darf. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung des EuGH und des Bundesverfassungsgerichts sprechen gewichtige verfassungs- und demokratietheoretische Argumente dagegen, die Anleihepreisbildung ausschließlich dem Markt zu überlassen. Es handelt sich dabei weder um ein Gebot der Wirtschafts- und Währungsunion noch des grundgesetzlichen Demokratieprinzips. Rechtlich muss sich die Zentralbank nicht daran messen lassen, ob sie in die freie Zinsbildung am Markt eingreift.

Anleihepreisbildung am Markt in der Rechtsprechung

Erstmals in seinem Pringle-Urteil entdeckte der EuGH in den Vorschriften der Wirtschafts- und Währungsunion einen Grundsatz, nach dem „die Mitgliedstaaten bei ihrer Verschuldung der Marktlogik unterworfen bleiben, was ihnen einen Anreiz geben soll, Haushaltsdisziplin zu wahren“. 2 EuGH-Urteil vom 27.11.2012, C-370/12 – Pringle, ECLI:EU:C:2012:756, Rn. 135.  In seinem Vorlagebeschluss im Rechtsstreit über das Outright Monetary Transactions-Programm (OMT) der EZB, mit dem ebenfalls zur Senkung von „irrationalen“ Zinsen Staatsanleihen gekauft werden sollten, prangerte das Bundesverfassungsgericht denn auch einen „willkürlichen Eingriff in das Marktgeschehen“ an; 3 BVerfGE 134, 366 Rn. 98.  Zinsaufschläge spiegelten „[n]ach der überzeugenden Expertise der Bundesbank […] nur die Skepsis der Marktteilnehmer wider, dass einzelne Mitgliedstaaten eine hinreichende Haushaltsdisziplin einhalten können, um dauerhaft zahlungsfähig zu bleiben“. Die Zinsen könnten dementsprechend „nicht durch Anleihenkäufe der Notenbanken gesenkt werden, ohne dass diese Eigenverantwortlichkeit [der nationalen Haushalte] außer Kraft gesetzt wird.“ 4 BVerfGE 134, 366 Rn. 71 (s. Verweis ebd. in Rn. 87, 98).  Der EuGH stimmte diesem Maßstab zu und hielt fest, dass Anleihekaufprogramme Mitgliedstaaten nicht erlauben dürften, sich „vor den Konsequenzen [zu] schützen, die die Entwicklung ihrer makroökonomischen Lage oder ihrer Haushaltslage unter diesem Aspekt mit sich bringen kann“. 5 EuGH-Urteil vom 16.6.2015, C-62/14 – Gauweiler, ECLI:EU:C:2015:400, Rn. 114; EuGH-Urteil vom 11.12.2018 – C-493/17 – Weiss, ECLI:EU:C:2018:1000, Rn. 132.  Das PSPP-Urteil des Bundesverfassungsgerichts setzte schließlich den gegenwärtigen Schlusspunkt damit, dass das Europäische System der Zentralbanken  gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung verstoßen würde, wenn Staatsanleihen im Eurosystem gebunden wären und so „für die Märkte – insbesondere für die Bonitätsbewertung der emittierenden Mitgliedstaaten und damit auch für deren Finanzierungsbedingungen – kaum noch eine Rolle“ spielen würden. 6 BVerfGE 154, 17 Rn. 195.  Anders formuliert wäre es also ein Gebot des unberührbaren Kerns des Demokratieprinzips (Art. 23 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Art. 79 Abs. 3, Art. 20 GG), dass Staatsschulden in voller Höhe der „Bonitätsbewertung“ durch die Märkte unterworfen bleiben; wenn die Zentralbanken das verhinderten, handelten sie Ultra vires.

Der vom Bundesverfassungsgericht hergestellte Zusammenhang zwischen Marktpreisbildung und mitgliedstaatlicher Eigenverantwortlichkeit klingt zunächst eingängig, ist aber bei näherem Hinsehen gar nicht so trivial: was hat die freie Bildung von Marktzinsen eigentlich mit Eigenverantwortlichkeit zu tun? Weshalb sieht das Bundesverfassungsgericht die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestags bedroht, 7 BVerfGE 134, 366 Rn. 43.  wenn italienische Anleihen dauerhaft der „Bonitätsbewertung“ durch die Märkte entzogen wären?

Die Antwort liegt in der impliziten Stilisierung von Finanzmärkten als neutrale Instanz, die die „Gesundheit“ der öffentlichen Finanzen von Mitgliedstaaten fachkundig und unbeeinflusst „diagnostiziert“. Anders als Staaten, politische Organe der EU oder eben die EZB unterlägen sie keiner Beeinflussung durch Stabilitätssorgen und stünden damit auch nicht im Verdacht, durch Solidarität oder Rücksicht auf individuelle Umstände angetrieben zu sein – denn das widerspräche dem Prinzip „Eigenverantwortlichkeit“. Die Kreditfinanzierung ausschließlich (1) am Markt und (2) zu Marktzinsen garantiert in dieser Sichtweise, dass jeder Mitgliedstaat sich vorbehaltlich neuer politischer Entscheidung ganz allein und ausschließlich nach Leistungsfähigkeitskriterien finanziert: Steuereinnahmen in Abhängigkeit vom BIP, Krediteinnahmen in Abhängigkeit von der Einschätzung mittelfristiger Tragfähigkeit durch die „neutralen“ Märkte.

Anleihepreisbildung am Markt als zwingendes Gebot des Demokratieprinzips?

Das Konstrukt der Marktpreise unterstellt freilich, dass Mitgliedstaaten durch ihre Fiskalpolitik (ausschlaggebenden) Einfluss auf die Bildung der Marktpreise hätten, sodass ihre Refinanzierungskonditionen sich mit der „Seriosität“ ihrer Politik verbesserten. 8 Dazu De Grauwe/Ji/Steinbach, The EU debt crisis: Testing and revisiting conventional legal doctrine, BMWE-Diskussionspapier Nr. 5 vom 22.8.2017, S. 3.  Umgekehrt formuliert handelt es sich um eine – oft hinterfragte – 9 Nur bspw. Bandilla in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Werkstand 75. EL Januar 2022, Art. 123 Rn. 4 (Dokumentstand 44. EL Mai 2011). Interpretation eines bestimmten Marktgeschehens, wie sie im Alltag etwa bei der Erklärung von Börsenpreisen im Marktbericht der Tagesschau zu finden ist. Aus verfassungsrechtlicher Sicht stellt sich im Licht der wirtschaftspolitischen Offenheit des Grundgesetzes, der Entwicklungsoffenheit integrativen Völkervertragsrechts und schließlich auch der Budgethoheit des Bundestags die Frage, ob die Unterwerfung unter Marktmechanismen wirklich als auslegungs- und damit vorbehaltlich einer Vertragsänderung zukunftsfestes normatives Gebot gelten und eine für neue Erkenntnisse offenere Handhabung immer als Ultra vires-Handeln zu beurteilen sein müsste – selbst dann, wenn sie gerade der Preisstabilität und gesunden öffentlichen Finanzen (Art. 119 Abs. 3 AEUV) dient. Erzwingt ausgerechnet das Grundgesetz eine Unterwerfung unter Stimmungen der Finanzmärkte und von Rating-Agenturen gesetzte Bonitätsbewertungen? 10 Vgl. BVerfGE 154, 17 Rn. 208, wo der Senat doch tatsächlich eine Mindestbonität von Kreditqualitätsstufe 3 für nach Art. 23 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG geboten erklärt.  Welches Verständnis von einer „Stabilitätsgemeinschaft“ 11 BVerfGE 146, 216 Rn. 68 m.w.N.  liegt dem zugrunde? Und wie ist es zu rechtfertigen, dass einerseits die Geldpolitik wegen rationalerer Ergebnisfindung der Willkür des demokratischen Prozesses entnommen wird, fiskalpolitische Spielräume auf der anderen Seite aber bewusst der Willkür der Finanzmärkte unterworfen werden – wohlwissend, dass auch diese irrational entscheiden können? 12 BVerfGE 134, 366 Rn. 71.

Aus der Perspektive des Grundgesetzes verlangt Art. 79 Abs. 3 i.V.m. Art. 20 GG in erster Linie, die Ausgestaltung der Union als „Stabilitätsgemeinschaft“ beizubehalten. Das Bundesverfassungsgericht hat dies wiederholt als „Grundlage und Gegenstand des deutschen Zustimmungsgesetzes“ bezeichnet. 13 S.o. Fn. 11.  Damit ist aber der Begriff der Stabilität noch nicht definiert und kann sicherlich nicht ausgerechnet mit der (unberührt zu lassenden) Volatilität der Finanzmärkte gleichgesetzt werden.

Der Wortlaut der Vorschriften der Wirtschafts- und Währungsunion sagt über die Höhe der Zinsen, die die Mitgliedstaaten auf Anleihen zahlen müssen, ebensowenig aus wie über ihr Zustandekommen. Art. 123 AEUV verbietet monetäre Staatsfinanzierung, Art. 124 AEUV verbietet einen staatlich verordnet begünstigten Zugang zu Finanzinstituten, Art. 125 AEUV schließt eine Haftung für einen Mitgliedstaat aus.

In den historischen Dokumenten wurde nicht eindeutig geäußert, wie normativ die Instrumentalisierung der Marktpreise für das Ziel von „gesunden öffentlichen Finanzen“ (in der Tendenz verstanden als nicht zu hohe Defizite) wirken sollte. Ob die Preisbildung am Markt zum rechtlichen Gebot werden sollte, geht daraus nicht hervor. Der Delors-Bericht beschrieb lediglich ihre Unzulänglichkeiten, insbesondere aufgrund ihrer Volatilität und gleichzeitig oft zu schwachen Wirkung. 14 S. Committee for the Study of  Economic and Monetary Union, Report on economic and monetary union, Rn. 30 auf S. 20.  Die Verordnung (EG) 3604/93 führt immerhin in den Erwägungsgründen die Unterwerfung unter Marktmechanismen an. Das kann für eine entsprechende historische Intention der Herren der Verträge bei der Begründung des Primärrechts sprechen, zwingend ist das aber nicht. In erster Linie handelt es sich um eine Orientierung der sekundärrechtsetzenden Gesetzgebungsorgane und nicht der primärrechtsetzenden Vertragsparteien, die die Bildung von Anleihepreisen ausschließlich am Markt – für die behauptete Bedeutung dieses Grundsatzes überraschend – jedenfalls nicht primärrechtlich verankert haben.

Der explizite Sinn und Zweck der Vorschriften des Kapitels über die Wirtschafts- und Währungsunion ist es, stabile Preise und gesunde öffentliche Finanzen zu wahren (Art. 119 Abs. 3 AEUV). Als implizite Zwecke stehen Sorgen im Mittelpunkt, die sich verfassungsrechtlich in die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestags übersetzen. Die konkreten Zwecke des Art. 123 AEUV als Einschränkung des geldpolitischen Instrumentariums bestehen darin, (1) wegen Inflationssorgen zur Sicherung der Preisstabilität eine Zentralbankfinanzierung von Staatsausgaben auszuschließen und (2) zur Wahrung gesunder öffentlicher Finanzen zu verhindern, dass die Mitgliedstaaten ihre Defizite bei Zentralbanken refinanzieren können und dabei hohe Schuldenstände aufbauen. 15 S. Schlussantrag GA Cruz Villalón vom 14.1.2015, C-62/14 – Gauweiler, ECLI:EU:C:2015:7, Rn. 218.  Aus beidem folgt aber kein rechtliches Gebot zur unberührten Geltung von Marktpreisen für Staatsanleihen. Insbesondere kann eine teleologische Auslegung nicht behaupten, die Bindung an Marktpreise sei der eigentliche Zweck irgendeiner Norm der Wirtschafts- und Währungsunion. Marktpreise sind kein Selbstzweck. Sinn und Zweck aller Regelungen der Wirtschafts- und Währungsunion sind Preisstabilität und gesunde öffentlichen Finanzen. Selbst ein etwaiges – methodisch interessantes – Konstrukt eines „Zwischenzwecks“ dürfte keinesfalls seine eigenen Zwecke behindern.

Das „Credo“ der Marktpreisbildung kann also nur auf eine systematische Begründung gestützt werden, wenn „systematische Auslegung“ denn auf das Zusammenspiel von Vorschriften reduziert wird. Aus den Vorschriften über die Wirtschafts- und Währungsunion folgt in der Tat im Ergebnis, dass Mitgliedstaaten ihre Defizite nur noch durch Kreditaufnahme am Markt und zu Marktbedingungen finanzieren können, da ja der Weg zu den Zentralbanken versperrt ist (Art. 123, Art. 130 AEUV) und kein bevorrechtigter Zugang zu Finanzinstituten besteht (Art. 124 AEUV). Diese zutreffende Beobachtung der Ausgangslage ist aber noch keine Auslegung des Verbotsinhalts von Art. 123 AEUV. Wird systematische Auslegung im herkömmlichen Sinne als die Frage nach der Rolle einer Norm im Licht der umliegenden Normen verstanden, erscheint die Auslegung von Art. 123 AEUV im Sinne einer Verpflichtung der Zentralbanken auf die Markt-„Logik“ nicht überzeugend und erst recht nicht im Sinne der Ultra-vires-Rechtsprechung zwingend. Art. 124 AEUV – das Verbot des bevorrechtigten Zugangs zu Finanzinstituten – kann mit guten Gründen so ausgelegt werden, dass er die Mitgliedstaaten daran hindern soll, sich durch hoheitliches Handeln gegenüber Privaten vergünstigte Konditionen zu verschaffen. Art. 123 AEUV steht aber vor Art. 124 AEUV; er soll die Vorschrift also nicht ergänzen, sondern hat eine eigene Bedeutung, die weiter oben angesprochen worden ist. Auch umgekehrt betrachtet spricht kein systematisches Argument dafür, dass die Regelung in Art. 124 AEUV „eigentlich“ auch die Zentralbanken verpflichten soll. Eine solche „systematische“ Auslegung von Art. 123 AEUV macht sie lediglich zu einem Mit-Adressaten des Verbots aus Art. 124 AEUV, an den diese Vorschrift aber eigentlich eben nicht gerichtet ist.

Die Unterwerfung unter Marktzinsen als ein objektiver „Grundsatz“ der Wirtschafts- und Währungsunion ergibt sich also weder aus historischen Dokumenten noch aus Wortlaut, Zweck oder systematischer Auslegung irgendeiner Regelung. Die Finanzierung von Defiziten zu Marktbedingungen ist lediglich eine Folge der Verbote an die Mitgliedstaaten, die ihren Weg in eine problematische eigenständige Normativität gefunden hat. Geboten ist eine auf gesunde öffentliche Finanzen und Preisstabilität gerichtete „Stabilitätsgemeinschaft“. Die Mittel zur Verfolgung dieser Ziele sind, im Rahmen der Regeln der Wirtschafts- und Währungsunion, offen.

Art. 123 AEUV sollte nicht extensiv so ausgelegt werden, dass er einer wirksamen Geldpolitik im Weg steht und dabei die Interessen, die er eigentlich schützen soll, schlechter schützt als möglich. Das Primärrecht ist keine kodifizierte Interpretation von Marktfluktuationen, sondern ein Regelungswerk mit Prinzipien, Verboten und Pflichten. Die Bildung von Anleihepreisen am Markt ist keines davon.

Dieser Text erschien zuerst auf dem Verfassungblog.