Sebastian Thieme: „Wohlstand hat immer auch mit Wertungen zu tun.“
Spätestens mit dem britischen Ökonomen David Ricardo gehörte es zum etablierten Vorgehen, Moral und Ethik aus der ökonomischen Betrachtung herauszunehmen. Sebastian Thieme hat mit Otmar Tibes über sein aktuelles Buch »Wohlstand« gesprochen.
Herr Thieme, es handelt sich beim Begriff »Wohlstand« um einen Allerweltsbegriff. Wie sind Sie dazu gekommen, ein Buch über Wohlstand zu schreiben?
Das Buch ist völlig ungeplant aus meiner Forschung heraus entstanden. Ich wollte mich – wie es die Forschungspraxis gebietet – zuerst auf den aktuellen Stand bringen, wie »Wohlstand« in der Ökonomik verstanden und verwendet wird. Ich durfte dann feststellen, dass dieser ökonomische Begriff trotz seines gängigen Gebrauchs in Lehrbüchern und Nachschlagewerken undefiniert bleibt, obwohl andere Begriffe – wie etwa Grenzproduktivität – eine eigene Definition besitzen. Ich habe mir das dann systematischer angeschaut und ökonomische Nachschlagwerke, ökonomische Lehrbücher und die Forschung zur ökonomischen Ideengeschichte analysiert. Nach etwa acht Monaten saß ich vor derartig viel Material, dass sich eine eigenständige Publikation rechtfertigte.
Hat sich der erste Befund, dass »Wohlstand« in der Ökonomik undefiniert bleibt, bestätigt?
Ja, wobei ich darauf hinweisen möchte, dass es Synonyme zu »Wohlstand« gibt. Vereinzelt ist vom »Gemeinwohl« die Rede. In der Ökonomik wird vor allem »Wohlfahrt« verwendet. Tatsächlich finden sich dann in den Lehrbüchern und Nachschlagewerken meist Einträge zur »Wohlfahrtsfunktion« oder zum »Wohlfahrtsstaat«, aber eben keine, die separat erklären, was »Wohlstand« oder »Wohlfahrt« ist. Unter den Lehrbüchern, die im deutschsprachigen Raum am häufigsten verwendet werden und die ich mir anschaute, gibt es nur ein Lehrbuch – das von Mankiw und Taylor –, das »Wohlfahrt« im Glossar und im Text definiert und erklärt.
Also herrscht – zugespitzt formuliert – in der Ökonomik keine Vorstellung von »Wohlstand« vor?
Das wäre eine falsche Schlussfolgerung. Im Gegenteil, es zeigt sich, dass vor allem in ökonomischen Lehrbüchern verschiedene Vorstellungen von Wohlstand existieren: Wohlstand als Nutzen, als Bruttoinlandsprodukt (BIP), als Güterwohlstand oder als Existenzsicherung im Sinne eines Wohlfahrtsstaats. Das Problem ist also nicht, dass es in der Ökonomik keine Vorstellung von Wohlstand gibt. Das Problem liegt vielmehr darin, dass unterschiedliche Vorstellungen nebeneinander stehen.
Und warum sind diese unterschiedlichen Vorstellungen ein Problem?
Nun, wer ökonomische Lehrbücher aufschlägt, wird vielleicht auf den ersten Seiten Wohlstand mit dem BIP gleichgesetzt vorfinden. Ein paar Seiten später kommt dann ein Kapitel, in dem Wohlstand als Nutzen mit Wohlfahrtsfunktionen thematisiert ist, während einige Seiten später wieder Wohlstand im Sinne des Wohlfahrtsstaats mit Sozialtransfers und mit Besteuerung assoziiert wird, um dann abermals auf späteren Seiten, wenn es um den Vergleich der Wohlfahrt von Ländern geht, erneut auf das BIP als Referenzpunkt für Wohlstand zu stoßen.
Sebastian Thieme
Das stiftet also begriffliche Verwirrung?
Ja, denn die unterschiedlichen Vorstellungen stehen völlig unvermittelt nebeneinander und werden weder direkt ausbuchstabiert, noch ins Verhältnis zueinander gesetzt oder voneinander abgegrenzt. Das ist intellektuell unbefriedigend. Aber darüber hinaus halte ich es aus didaktischer Sicht für wenig zielführend und sogar für verantwortungslos, Studierende mit diesem Nebeneinander alleine zu lassen. Das gilt vor allem angesichts der Brüche in den Verständnissen von Wohlstand.
Was meinen Sie mit Brüchen?
Ich meine damit Vorstellungen, die jeweils etwas anderes als Wohlstand adressieren. Ich denke hier vor allem an den Wohlfahrtsstaat, bei dem Wohlstand als Wohlfahrt mit Sozialtransfers assoziiert ist. Niemand würde heute von Wohlstand sprechen, bliebe er auf dem Niveau von Sozialtransfers – also auf das Existenzminimum – beschränkt. Hiervon abgesehen taucht Wohlstand an anderen Stellen wieder als BIP pro Kopf oder abstrakte Wohlfahrtsfunktion auf. Damit verbinden sich völlig andere Vorstellungen, als sie im Rahmen wohlfahrtspolitischer Überlegungen zum Ausdruck kommen. Das kann auch wirtschafts- und sozialpolitisch zum Problem werden, da die wohlfahrtspolitischen Maßnahmen zur Sicherung des Existenzminimums auf etwas anderes abzielen als wirtschaftspolitische Maßnahmen, die ein hohes BIP anvisieren und den Wohlstand statistisch als BIP pro Kopf erhöhen wollen.
Es mangelt also an begrifflicher Schärfe in der Ökonomik?
Richtig. Ich würde aber noch einen Schritt weiter gehen und vom Unvermögen sprechen, zwischen Voraussetzungen für Wohlstand – dazu gehört zum Beispiel die Sicherstellung der soziokulturellen Existenz, soziale Sicherheit usw. – und dem eigentlichen Wohlstand zu unterscheiden. Es geht also um mehr als nur um begriffliche Schärfe, es geht um eine inhaltliche, sachliche Tiefe, die fehlt. Das betrifft im Wesentlichen die ethische Dimension. Denn Wohlstand hat immer auch mit Bewertungen, also mit normativen Fragen zu tun, die aber von Fachleuten ›der‹ Ökonomik umgangen oder ausgeblendet werden und deren Erörterung von ihnen üblicherweise als ‚unseriös‘ disqualifiziert wird. Das verhindert einen angemessenen Umgang mit Wohlstand.
War das schon immer so? Wie stellt sich das Ausblenden der ethischen Dimension im ökonomischen Denken aus der Sicht der Ideengeschichte dar?
Die Forschung zur ökonomischen Ideengeschichte lässt ihre Erzählung üblicherweise mit ›der‹ griechischen Antike beginnen, wobei dort in aller Regel auf die Texte von Platon und Aristoteles Bezug genommen wird. Diesem griechisch-antiken Denken wird ein normativ-ethisches Verständnis von Wirtschaft unterstellt, d.h. dass dort die ethische Dimension berücksichtigt war. Es ging dort um ›das gute Leben‹, das ein glückliches Leben sein sollte, um ein tugendhaftes Leben, im Einklang mit den Regeln der Gemeinschaft. Aus heutiger Sicht wird das mit der Vorstellung assoziiert, dass ›Wirtschaft‹ dem Menschen dienen soll, was die Berücksichtigung ethischer Prinzipien und damit entsprechende Regulierungen ›der‹ Wirtschaft beinhaltet. Die ideengeschichtliche Literatur geht offenbar davon aus, dass diese ethisch-normative Vorstellung langsam erodierte, aber über die griechische Antike hinaus reichte und das Denken in der Hochscholastik prägte.
In der Hochscholastik?
Ja, die Gedanken von Thomas von Aquin kreisten um die Idee des ständischen Preises, der Rechtfertigung von Gewinnen und um die Idee von Gerechtigkeit bei Aristoteles. Das sind klar erkennbare Momente einer normativ-ethischen Perspektive auf Wirtschaft. Danach verschwand diese Perspektive aber nicht einfach. Die Idee der »moral economy«, wie sie der britische Historiker Edward P. Thompson beschrieb, ist ein jüngeres Beispiel: noch bis in die Anfänge der Industrialisierung wurden Märkte als physische Märkte reguliert, um die Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern sicherzustellen. Das zeigt, dass die ethisch-normative Perspektive auf Wirtschaft noch lange vorherrschte und die Entwicklung des ökonomischen Denkens sich nicht einfach in abgeschlossenen Etappen darstellt. Offenbar können bestimmte Perspektiven oder Paradigmen sehr lange mit anderen Perspektiven und Paradigmen koexistieren. Sie müssen auch nicht gänzlich verschwinden. Zum Beispiel taucht die Idee des guten Lebens heute wieder verstärkt im Diskurs um die sozial-ökologische Transformation auf.
In Ihrem Buch sprechen Sie von einem Emanzipationsprozess: die moderne Ökonomik hat sich von der ethisch-normativen Perspektiv emanzipiert?
Folgt man der Geschichte des ökonomischen Denkens, stellt es sich so dar, dass mit der Popularität der aufkommenden Naturwissenschaften der Gedanke aufkam, auch in sozialen und ökonomischen Belangen so etwas wie natürliche Gesetzmäßigkeiten zu finden. Spätestens mit dem britischen Ökonomen David Ricardo gehörte es zum etablierten Vorgehen, Moral und Ethik aus der ökonomischen Betrachtung herauszunehmen. Der Ideenhistoriker Karl Přibram schrieb dazu einmal, dass dies der Preis »für die Umwandlung der Wirtschaftslehre in eine ›exakte Wissenschaft‹.« sei. 1 Přibram 1992: 278 Mit der Etablierung der Ökonomik als eigenständige Disziplin stellt sich die Entwicklung des ökonomischen Denkens also als eine Emanzipationsbewegung dar: die Emanzipation von einer normativ-ethischen Perspektive auf Wirtschaft, die ursprünglich durch die Willkür der Herrschenden geprägt war, hin zu einer vermeintlich von Ethik und Moral freien, an den Naturwissenschaften orientierten, nur den empirischen Fakten folgenden und exakten Wissenschaft.
Die Ökonomik wurde also immer abstrakter und dieser Emanzipationsversuch hält bis heute an?
Ja. Dafür liefert die Entwicklung des Verständnisses über »Wohlstand« ein anschauliches Beispiel. Bei Adam Smith kreiste der Wohlstand noch um den »Güterwohlstand«, es ging um zählbare Güter, die gehandelt werden konnten. Ab dann wurden die Vorstellungen zunehmend abstrakter, formaler und sie zogen in Modelle ein. In der alten neoklassischen Wohlfahrtsökonomik bestand Wohlstand im abstrakten Nutzen, der sich über Konsumenten- und Produzentenrente darstellen ließ. Während dort vom zählbaren (kardinalen) Nutzen ausgegangen wurde, stellte die »New Welfare Economics« auf ein ordinales Nutzenkonzept ab, in dem sich die Wertschätzung des Nutzens nur als Rangfolge darstellen lässt (besser, schlechter, gleich). Wohlstand wurde in eine abstrakte Nutzenfunktion, eine Wohlfahrtsfunktion, gepackt. Die Gedanken versanken in einer formalen Modellwelt, in der die Wohlfahrtsfunktion von Containergütern (Gut 1, Gut 2 usw.) und Preisen gespeist wurde. Wer sich das in den Lehrbüchern anschaut, wird konfrontiert mit Funktionen, graphischen Darstellungen mit Indifferenzkurven und mathematische Auseinandersetzungen mit Pareto-Optimalität sowie dem ersten und dem zweiten Hauptsatz der Wohlfahrtsökonomik. Ethische Reflexionen oder das gute Leben, das findet man dort nirgends.
Im Vergleich dazu ist das Bruttoinlandsprodukt, das in der der öffentlichen Debatte immer wieder für Wohlstand herangezogen wird, doch recht konkret.
Ja und vermutlich lässt sich daraus das Nebeneinander in den Lehrbüchern erklären: die abstrakten, formalen Modelle über Wohlstand und daneben das konkrete BIP als Indikator für Wohlstand.
Das BIP als Indikator für Wohlstand steht seit längerer Zeit in der Kritik. Sie schreiben, dass das mittlerweile auch ein fester Bestandteil ökonomischer Lehrbücher ist. Verschwindet die Fixierung auf das BIP?
Ich gehe nicht davon aus. Eine der befremdlichen Einsichten aus den ökonomischen Lehrbüchern ist, dass zwar sehr häufig die Kritik am BIP aufgegriffen wird. Aber das hat für die Lehrbücher keine Konsequenzen. Statt alternative Messkonzepte für Wohlstand – wie den Human-Development-Index oder den Better-Life-Index – heranzuziehen, wird in den Kapiteln nach der Kritik einfach weiter auf das BIP als Indikator für Wohlstand abgestellt.
Haben Sie eine Erklärung dafür?
Ja. Bei aller Kritik darf nicht vergessen werden, dass für die Verwendung des BIPs als Wohlstandsindikator auch ›gute Gründe‹ sprechen. Kurioserweise liegt einer davon in einem Punkt, der dem BIP häufig kritisch angekreidet wird: Das BIP reduziert Wohlstand auf zählbare und zu Preisen bewertete Güter und Dienstleistungen – und letztlich auf eine Zahl. Im Gegensatz dazu wirken moderne Multiindikatoren-Systeme wie der Better-Life-Index, der Wohlstand auf verschiedene Indikatoren aufschlüsselt (Lebenszufriedenheit, Wohnungsgröße usw.), komplex und unübersichtlich. Das kritisieren selbst Fachleute der heterodoxen Ökonomik. Außerdem ist das BIP gut etabliert und wohl auch eine statistisch breit verfügbare Kennziffer. Generell kann man das BIP nicht in eins mit Wohlstand setzen, in modernen Ökonomien hat es aber zweifelsohne mit materiellem Wohlstand zu tun. Darüber hinaus sind auch die neoquantitativen Alternativen zum BIP mit Schwierigkeiten behaftet und verlagern das Problem, das am BIP kritisiert wird, nur.
Was meinen Sie mit »neoquantitativ«? Und inwiefern findet nur eine Verlagerung des Problems statt?
Mit »neoquantitativen Alternativen« bezeichne ich alternative Versuche, Wohlstand zu vermessen: angefangen bei Einzelindikatoren wie dem Human-Development-Index über Multiindikatoren-Systeme wie den Better-Life-Index bis zur Glücksforschung, die Glück in messbare Einzelteile zerlegt und diese dann in einer Glücksformel arrangiert. Die Problemverschiebung bezieht sich auf den Vorwurf, das BIP reduziere Wohlstand nur auf eine Zahl. Die neoquantitativen Alternativen sind im Vergleich dazu breiter aufgestellt, berücksichtigen andere Aspekte, die im BIP nicht berücksichtigt sind. Aber es bleibt ein Reduktionismus: Der Reduktionismus auf eine Größe (BIP) wird auf mehrere quantitative – also zähl- und messbare – Größen verschoben. Auch hier bleibt das grundlegende Problem: Was nicht vermessen werden kann, bleibt unberücksichtigt.
Ist also die Vermessung das Problem?
Ich will mal so sagen: Für die wirtschafts- und sozialpolitische Gestaltung braucht es natürlich auch Zahlen. Aber die Vermessung von Wohlstand steht auch für eine Vermessung des Lebens, für eine kategorische Bewertung des Menschen in all seinen Facetten – wie es Wilhelm Heitmeyer einmal zur Ideologie der Ungleichwertigkeit schrieb. Das hat ethisch problematische Seiten: informationelle Selbstbestimmung, Instrumentalisierung und Verdinglichung, eine drohende Standardisierung von Lebensentwürfen, die Gefahr laufen, zur gesellschaftlichen Norm erhoben zu werden. Letzteres kann dann autoritäre Züge annehmen.
Wie könnte ein angemessener Umgang mit Wohlstand in diesem Spannungsfeld aussehen?
Es wäre wichtig, sich zuerst einmal dieses Spannungsfeld bewusst zu machen und auch die problematischen Seiten der Vermessung von Wohlstand zur Kenntnis zu nehmen. Und dann müsste in diesem Spannungsfeld ethisch abgewogen werden, in welchem Falle und wie weit die Vermessung von Wohlstand ethisch zu rechtfertigen wäre. Die Vorstellung von Wohlstand und seine Erfassung müssten ganz bewusst unter einen ethischen Legitimationsvorbehalt gestellt werden.
Das klingt, als ob wir wieder bei dem Problem der mangelnden Kompetenz für den Umgang mit normativen Fragen in ›der‹ Ökonomik angekommen sind.
Ja. Solch eine Kompetenz wäre wieder zu erlangen, um wirklich angemessen über Wohlstand reden zu können. Das betrifft aber noch eine Reihe weiterer Aspekte.
Welche?
Verteilungsfragen und die Sensibilität dafür, dass das ökonomische Denken immer auch in Narrative eingebettet ist, die Emotionen und Werte vermitteln. Was mir die Auseinandersetzung mit Wohlstand deutlich gezeigt hat, ist, dass das ökonomische Denken seit der Etablierung ›der‹ Ökonomik als eine akademische Disziplin immer mit Wachstumsnarrativen verbunden war. Das hat verschiedene Konsequenzen, die sich hier nicht ausführen lassen. Aber festhalten möchte ich, dass Fachleute ›der‹ Ökonomik häufig mit einem Denken sozialisiert wurden, das Wohlstand nicht ohne Wachstum kennt. Das sorgt überall dort für Probleme, wo ökonomisches Wachstum als wohlstandsgefährdend angesehen wird (Klimadebatte, DeGrowth, Postwachstum). Eine sachliche und angemessene Auseinandersetzung damit ist dann seitens ›der‹ Ökonomik nur schwer möglich.
Es braucht in der ökonomischen Ausbildung also eine umfassende Sensibilisierung für Fragen der Normativität und für die ökonomische Ideengeschichte?
Ja, und eine Pluralisierung im Sinne von sozialökonomischen Ansätzen, die Wirtschaft und Gesellschaft über Marktwirtschaft hinaus denken können. Eigentlich ist das eine Forderung, die seit über 20 Jahren von kritischen Studierenden und Forschenden ›der‹ Ökonomik erhoben und unter dem Schlagwort »Pluralismus« diskutiert wird.
Könnte die geforderte Sensibilisierung vielleicht durch eine philosophische Grundausbildung im Studium geschaffen werden?
Ich bin hier zurückhaltend. Erstens gibt es Studiengänge, die Philosophie und Ökonomik im Titel tragen, schon. In der Lehre wirkt es allerdings so, als ob beides separat nebeneinander steht. Ich würde stattdessen ein integratives Verständnis bevorzugen, das sich auch in anderen Lehrveranstaltungen niederschlägt, etwa, indem die preanalytische Vision der gelehrten Ansätze, ihre normativen Voraussetzungen sowie die Einbettung in Narrative reflektiert werden. Zweitens ist die Frage, wer das lehren soll? Es braucht interdisziplinäre Kompetenz, die ich in der Breite so nicht sehe. Deshalb wäre ein interdisziplinäres akademisches Umfeld wünschenswert, auf dem aus verschiedenen Fachdisziplinen heraus im wechselseitigen Austausch eine gemeinsame Kompetenz in diesen philosophischen Fragen gedeihen kann. Dem sind im derzeitigen System der Wissens- und Privilegienverwaltung an den Hochschulen institutionelle Grenzen gesetzt: der Drittmittelfetisch, die Befristungen, die damit verbundene Sonderstellung von Professuren, Habitus und der Marktfundamentalismus, der sich durch Uni-Verwaltung, Organisation von Forschung und Lehre sowie auch deren Inhalte zieht.
Und wie sieht es mit dem Fach der Wirtschaftsethik aus?
Ja, es ist ein naheliegender Gedanke, dass aus diesem Bereich heraus die gewünschte Sensiblisierung in der Grundausbildung bewerkstelligt werden könnte. Aber dazu braucht es entsprechende Stellen. Das ist nichts, was z.B. ein Makroökonom mal nebenher lehren sollte. Darüber hinaus beunruhigt mich der Eindruck, dass das Feld der Wirtschaftsethik oft auf praktische – vermeintlich pragmatische – Business Ethics beschränkt oder auf deskriptive Ethik eingegrenzt ist. Außerdem scheinen vor allem normativ marktfundamentalistische Ethikkonzepte im Feld »Wirtschaftsethik« gut institutionalisiert zu sein (Ordnungsethik, Ordonomik usw.). Unter diesem Vorzeichen wäre der Sensibilisierung für normative Fragen in der Ökonomik ein Bärendienst erwiesen. Dann lieber kein Versuch solch einer Grundausbildung!
Vielen Dank für das Gespräch!