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Woher kommt das Geld, das die deutsche Bundesregierung ausgibt?

Die deutsche Bundesregierung hat dieses Jahr 200 Milliarden Euro an zusätzlichen Ausgaben beschlossen. In seinem Beitrag schreibt Dirk Ehnts, dass dies die Sicht der Modern Monetary Theory (MMT) bestätigt, wonach Staatsausgaben politisch bestimmt werden und die Bundesregierung das Geld nicht vorher einnehmen muss. Marcel Fratzscher widerspricht, liefert aber keine überzeugende Begründung, wie Dirk Ehnts kritisiert.

Die Modern Monetary Theory ist eine etablierte Denkschule der Makroökonomik (Ehnts 2022). Sie legt den Fokus auf das Geldsystem und beschreibt die Schöpfung und Vernichtung von Geld. Dabei erklärt sie die institutionellen Regeln und stellt die Ergebnisse meist in Form von buchhalterischen Bilanzen dar. Wichtigste Erkenntnis ist, dass es sich beim staatlichen Geld um eine Steuergutschrift handelt, die von Zentralbanken erzeugt wird. Die Banken erzeugen Zahlungsversprechen in staatlicher Währung, aber eben weder Bargeld noch Zentralbankguthaben, welche ultimativen Geldcharakter haben. Das Geld ist also ein rechtliches und kein wirtschaftliches Konstrukt.

Eine Zentralbank verwaltet das Kontensystem, welches auch Zahlungssystem genannt wird. Banken und Regierungsstellen haben Konten bei der Zentralbank, welche diese verwaltet. Dabei handelt es sich bereits seit Jahrzehnten um rein digitales Geld. Die Zentralbank verändert diese Konten, wenn sie Geschäfte tätigt. Kauft sie zum Beispiel einer Bank eine Staatsanleihe ab, so erhöht sie den Kontostand der verkaufenden Bank um die entsprechende Summe. Ben Bernanke, der ehemalige Zentralbankpräsident und diesjährige Gewinner des Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften, hat dies mehrfach im Kontext von QE (quantitative easing) beschrieben. Dies wird als Geldschöpfung bezeichnet, denn die Zentralbank ist Monopolistin der Währung. Sie kann nicht „finanzieren“ ­- Geld einnehmen, bevor sie es ausgibt. Fließt Geld an sie zurück, wird es vernichtet. Wenn also eine Bank der Zentralbank die Staatsanleihe wieder abkauft, dann wird das Guthaben der Bank bei der Zentralbank reduziert. Es wird nicht der Zentralbank gutgeschrieben. Das ist genau so, wie bei der Rückzahlung eines Kredits durch einen Haushalt. Die Bilanzen der Bank und des Haushalts verkürzen sich.

Dirk Ehnts

Dr. Dirk Ehnts ist Ökonom und Buchautor. Im November 2023 erscheint sein Lehrbuch »Makroökonomik« bei Springer. Dirk Ehnts ist Vorstandssprecher der Pufendorf-Gesellschaft in Berlin. Er hält Kurse zur MMT und volkswirtschaftlichen Themen u.a. im Rahmen der Maastricht Summer School.

Woher kommt das Geld aus Berlin?

Was passiert, wenn die deutsche Bundesregierung Geld ausgibt? Diesen Prozess habe ich bereits sehr detailliert beschrieben (Ehnts 2020). Er verläuft wie folgt. Es gibt nur ein wesentliches Instrument, um staatliche Ausgaben zu tätigen, und das ist die „Hausbank des Staates“ (laut ihren Webseiten) Deutsche Bundesbank. Sie führt die Zahlungen durch, die das Bundesministerium der Finanzen (BMF) auf der Basis des Haushalts übermittelt. Dabei erhöht sie das Konto der Bank des Zahlungsempfängers um den entsprechenden Betrag. Die Bank erhöht wiederum das Guthaben des Zahlungsempfängers in der eigenen Buchhaltung. Gleichzeitig belastet die Bundesbank das „Zentralkonto des Bundes“, welches vom BMF geführt wird.

Damit sind die Staatsausgaben getätigt, der Zahlungsempfänger hat jetzt ein höheres Guthaben als vorher. Woher kam das Geld? Die Deutsche Bundesbank, als Teil des Eurosystems und Hausbank des Staates, hat es im Auftrag des BMF geschöpft. Da der Deutschen Bundesbank die Staatsfinanzierung verboten ist, muss das BMF das Konto innerhalb des Geschäftstages ausgleichen. Bevor dies untersucht wird, können wir festhalten:

Die Geldregeln der Eurozone

Die Bundesbank darf die Zahlungen des BMF nach den Regeln der Eurozone nur dann ausführen (nicht: finanzieren), wenn das Zentralkonto des Bundes vor Ende des Geschäftstags ausgeglichen ist. Dieses kann durch Einzahlungen von Steuererlösen und Erlösen aus Staatsanleihenverkäufen erhöht werden. Dabei wird jeweils die Geldmenge reduziert (Wissenschaftlicher Dienst 2020). Bei dem Guthaben der Bundesregierung handelt es sich nicht um Geld. Aus rechtlicher Sicht sind Guthaben in Euro bei der Zentralbank Steuergutschriften, mit denen Banken, Haushalte und Unternehmen Zahlungen an den Staat leisten können (Ehnts und Paetz 2019). Da die Bundesregierung keine Zahlungen an sich selbst tätigen kann, wird ihr Guthaben bei der Bundesbank nicht mit zur Geldmenge gerechnet. Es handelt sich um eine Art Verrechnungskonto. Die Frage, ob eine Erhöhung der Staatsausgaben aus Steuermitteln oder Verkauf von Staatsanleihen (Staatsschulden) ausgeglichen wird, ist zum Zeitpunkt der Ausgabe weder bekannt noch relevant – die Ausgaben kommen zuerst.

Staatsanleihen verkauft die Bundesfinanzagentur in Frankfurt am Main, welche zum BMF gehört. Sie verkauft diese ausschließlich am sogenannten Primärmarkt an die Bietergruppe Bundesemissionen. Dies sind mehr als 30 Banken, die in Europa zuhause sind. Da sie mit staatlichem Geld zahlen, muss der Staat dieses erst in Umlauf gebracht haben. Entweder geschah dies über Staatsausgaben oder über Kredite der nationalen Zentralbanken an die Banken. Menschen und Unternehmen können die Staatsanleihen dann von den Banken kaufen, ihr Geld landet dann allerdings dann bei der verkaufenden Bank und nicht beim Staat. Wer heute BMW-Aktien kauft, meint ja auch nicht, damit würde BMW finanziert werden.

Private Ersparnisse statt „Geld für lau“?

Marcel Fratzscher, Präsident des DIW, schrieb zum Thema Staatsausgaben jüngst auf Twitter (Fratzscher 2022): „Ein Staat kann sich nie Geld für lau besorgen, sondern es sind immer ultimativ die privaten Ersparnisse von Menschen und Unternehmen, die mobilisiert werden. Und aus diesem Grund ist die #MMT „Theorie“ so falsch, widersprüchlich & widerlegt.“

Ich halte es für problematisch, dass hier eine ganze Theorie (MMT) anhand eines Satzes auf Twitter für „widerlegt“ und „falsch“ erklärt wird. Der Ort der wissenschaftlichen Auseinandersetzung sind die Fachzeitschriften. Die MMT gibt es seit spätestens 1996. Herr Fratzscher hätte also mehr als ein Vierteljahrhundert Zeit gehabt, um die wesentlichen Aussagen zu widerlegen. Solange dies nicht geschieht, kann davon ausgegangen werden, dass die Modern Monetary Theory mit ihren wesentlichen Aussagen vollumfänglich gültig ist. 

Die Sicht der MMT auf die deutschen Staatsausgaben habe ich eben deutlich dargestellt. Die Sicht von Herrn Fratzscher kann ich nur schwer nachvollziehen und würde mich daher über eine Klarstellung freuen. Eine „Mobilisierung“ von privaten Ersparnissen zur „Finanzierung“ des Staats ist, wie oben gesehen, ein Ding der Unmöglichkeit. Die privaten Ersparnisse können zum Kauf von bereits an Banken verkaufte Staatsanleihen verwendet werden, wodurch sich aber lediglich die Portfolios von Banken und privatem Sektor verändern. Wenn Banken bei der Vergabe von Krediten neue Zahlungsversprechen schöpfen, dann finanzieren Ersparnisse weder die Investitionen noch den Staat (Bundesbank 2017). Den „Spartopf“ gibt es nicht (Bofinger 2020). Zentralbank und Banken sind die Geldschöpfer und finanzieren somit die privaten wie öffentlichen Investitionen. In den Worten Fratzschers halte ich dessen Sicht für „falsch, widersprüchlich & widerlegt“.

Was sagt die Praxis?

Bedauerlicherweise ist es selten, dass Zentralbankpräsidenten in der Öffentlichkeit über die Geldschöpfung für ihre nationale Regierung sprechen. Eine Ausnahme ist Alan Greenspan, Vorsitzender der Federal Reserve Bank, der 2005 vor dem Haushaltsausschuss des Repräsentantenhauses folgendes sagte: „There is nothing that prevents the federal government from creating as much money as it wants and paying it to somebody.“ Diese Gedanken wurden auch von John Yarmouth, dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, im Parlamentsfernsehen geäußert (C-SPAN 2022). Auf die Frage, wie sich die US-Bundesregierung ihre (hohen) Ausgaben leisten könne, antwortete er:

„We can afford it because we determine how much money is in the system at the federal level. The federal government is not like any other user of currency, not like any household, any business, any state or local government. We issue our own currency and we can spend enough to meet the needs of the American people, the only constraint being that we do have to worry about inflation from that spending.“

Ähnliche Aussagen hat auch Christine Lagarde getätigt. Im November 2020 sagte sie vor dem Europa-Parlament (Reuters 2020): „As the sole issuer of euro-denominated central bank money, the Eurosystem will always be able to generate additional liquidity as needed“. Als alleiniger Herausgeber der Währung kann das Eurosystem also Liquidität (Zentralbankgeld) nach Bedarf bereitstellen werden. Zum Eurosystem gehören die EZB und die nationalen Zentralbanken. Diese dürfen im Rahmen der aktuellen Gesetze nach Bedarf Geld bereitstellen. Dazu gehört auch die Ausführung von deutlich höheren Staatsausgaben. Die Corona-Pandemie hat deutlich gezeigt, dass mit entsprechenden Regeländerungen (PEPP, Aussetzen der Defizitgrenzen) den nationalen Regierungen in der Eurozone das Geld nicht ausgehen kann (Ehnts und Paetz 2021). Auch die griechische Regierung mit einer Staatsverschuldung von über 210 Prozent des BIP im Jahr 2020 kam problemlos durch die Krise.

Natürlich sollen die Aussagen von Greenspan, Yarmouth und Lagarde nicht als argumentum ab auctoritateverstanden werden. Es sollte lediglich aufgezeigt werden, dass es genug Hinweise von PraktikerInnen gibt, dass die Theorien der MMT gültig sein könnten. Wer die Aussagen der MMT ablehnt, sollte seinen Widerspruch durch akademische Publikationen zum Ausdruck bringen, auf die entsprechend geantwortet werden kann. Ein guter Anfangspunkt wäre der jüngst in den Perspektiven der Wirtschaftspolitik erschienene Aufsatz zur MMT (Ehnts und Höfgen, 2022).

Literatur

Bundesbank (2017), Die Rolle von Banken, Nichtbanken und Zentralbank im Geldschöpfungsprozess, Monatsberichtsaufsatz April 2017, S. 15-36
Bofinger, Peter (2020), Sparen und Investieren im Spannungsfeld widerstreitender Paradigmen, Wirtschaftsdienst 100(8), S. 577-581
C-SPAN (2022), Representative John Yarmuth on President Biden’s Fiscal Year 2022 Budget Request, https://www.c-span.org/video/?512625-5/washington-journal-rep-john-yarmuth-d-ky-discusses-president-bidens-fy-2022-budget-request
Ehnts, Dirk (2020), Geld und Kredit: Eine €päische Perspektive, Marburg: Metropolis
Ehnts, Dirk (2022a), Modern Monetary Theory: Eine Einführung, Wiesbaden: Springer
Ehnts, Dirk und Maurice Höfgen (2022), Was ist Modern Monetary Theory, Perspektiven der Wirtschaftspolitik23(2), S. 108-119
Ehnts, Dirk und Michael Paetz (2019), Die Modern Monetary Theory: Staatsschulden als Steuergutschriften, Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung 4/2019, S. 77-89
Ehnts, Dirk, Michael Paetz (2021), COVID-19 and its economic consequences for the Euro Area, Eurasian Economic Review 11, S. 227-249, https://doi.org/10.1007/s40822-020-00159-w
Fratzscher, Marcel (2022), https://twitter.com/MFratzscher/status/1578728941916823552?s=20&t=UL4tbppVi89hDNkaYHuliw
Greenspan, Alan (2005), Committee on the Budget, House of Representatives, 2. März 2005, https://www.youtube.com/watch?v=DNCZHAQnfGU
Reuters (2020), ECB can’t go bankrupt even it suffers losses, https://www.reuters.com/article/us-ecb-policy-bonds-idUSKBN27Z12S
Wissenschaftlicher Dienst (2020), Verfahren und Wirkungen bei der Emission von Bundeswertpapieren, WD 4 – 3000 – 129/20 

Dieser Artikel erscheint zuerst auf bei Dirk Ehnts.