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Maurice Höfgen: „In der Eurozone sollten die nationalen Regierungen die Inflation bekämpfen.“

Maurice Höfgen hat über sein neues Buch und die Inflation mit unserem Herausgeber Otmar Tibes gesprochen. Auch sprachen sie darüber, warum die »Gierflation« irreführend ist, die Zentralbank überfordert und der Staat eine aktivere Rolle bei der Inflationsbekämpfung übernehmen sollte.

Herr Höfgen, wenn aus den vielen Debatten zur Inflation im vergangenen Jahr eine Sache klar geworden ist, dann, wie wenig innovativ die meisten Ökonomen eine Inflation zu erklären imstande sind. Die meisten griffen zu ihrer Erklärung einfach auf die Lehren der späten 1970er Jahre zurück und forderten Zinserhöhungen. Was haben die Zinserhöhungen der Fed und EZB gebracht? 

Nicht viel, würde ich sagen. Die Erzeugerpreise, also die Preise zu denen Firmen einkaufen, fallen seit Monaten. Mittlerweile liegen sie bei rund 12 Prozent unter dem Höhepunkt vom September 2022. Warum? Weil Energie und Rohstoffe an der Börse wieder günstiger sind als vor dem Krieg. Der Schock ist also verdaut. Allerdings haben die Zinserhöhungen große Nebenwirkungen: die Wirtschaft stagniert, der Baubranche geht es schlecht (dabei fehlen 700.000 Wohnung im Land) und viele Banken drohen Kreditausfälle.

Auch Verbraucherpreise sind nach langer Zeit wieder etwas gesunken. Zum Beispiel sind Lebensmittelpreise im April günstiger geworden. Haben die Zinserhöhungen vielleicht doch preissenkend gewirkt?

Nein, das liegt allein an den günstigeren Einkaufspreisen für Öl, Gas, Strom, Weizen, Mais, Palmöl und so weiter. Darauf hat der Zins jedoch keinen direkten Einfluss. Es wäre wohlfeil, würden sich die Zentralbanker diesen Teilerfolg auf die Fahne schreiben.

In Ihrem neuen Buch tun Sie etwas, was sonst nicht so häufig vorkommt: Sie widerlegen sich selbst. Sie schreiben, dass der Inflationsbegriff eigentlich völlig verkehrt ist. Welchen Begriff sollte man stattdessen gebrauchen?

Der Inflationsbegriff wird mittlerweile inflationär benutzt. Bei jeder beliebigen Preissteigerung ist von Inflation die Rede. Eine klassische Inflation ist jedoch nur der Fall, wenn Löhne und Preise sich auf breiter Front gegenseitig hochschaukeln. Dann haben wir eine Lohn-Preis-Spirale und einen sich selbst verstärkenden Prozess. Das ist in der Tat eine gefährliche und chaotische Dynamik. Was wir derzeit erleben, hat damit aber nichts zu tun. Wir haben keine klassische Inflation, sondern einen Preisschock – ausgelöst durch die Pandemie und den fürchterlichen Krieg. 

Maurice Höfgen

Maurice ist Ökonom und Betriebswirt. Derzeit ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Bundestag tätig. Er ist Vertreter der Modern Monetary Theory und hat 2020 das Buch »Mythos Geldknappheit« veröffentlicht. 2022 ist sein Buch »Der neue Wirtschaftskrieg« erschienen, 2023 sein Buch »Teurer!«. Regelmäßig veröffentlicht er informative Videos zu ökonomischen Themen auf seinem YouTube-Kanal »Geld für die Welt«.

Sie erklären immer wieder, warum von einer Geldmengeninflation nicht die Rede sein kann.  Der Mythos von der Geldmengeninflation hält sich jedoch hartnäckig. Warum?

Weil die Erklärung »mehr Geld gleich mehr Inflation« so intuitiv ist. Makroökonomisch sollte man seiner Intuition aber misstrauen. Gegenwärtig etwa mit der Frage: Warum braucht es mit der Pandemie und dem Krieg gleich zwei historisch große Schocks, um die Inflationsrate in Richtung zehn Prozent zu hieven? Kann das wirklich an der Geldmenge liegen? Das ganze Geld wurde doch vorher gedruckt und ausgegeben. Im Buch kümmere ich mich seitenweise um diese Frage.

Glauben Sie, dass die Aufgabe der Inflationsbekämpfung künftig besser beim Staat aufgehoben wäre, nicht bei der Zentralbank? 

Ja, das klingt vielleicht kontrovers, ist aber stumpfer Realismus. Die Zentralbanken haben nicht die richtigen Werkzeuge. Sie können nur den Zins verändern und Anleihen kaufen oder verkaufen, mehr nicht. Nehmen wir die EZB als Beispiel: 2012 bis 2020 hat die EZB mit Nullzinsen und billionenschweren Anleihekäufen versucht, die Inflation auf das Ziel von zwei Prozent zu bringen. Damit ist sie all-in gegangen und auf ganzer Linie gescheitert. Die Inflation war zu niedrig und das Deflationsgespenst ging um. Jetzt erwarten alle, dass die EZB mit Zinserhöhungen den Preisschock für die gesamte Wirtschaft in Schlüsselsektoren bändigt? Das ist doch Realitätsverweigerung. Wir erwarten doch auch nicht von einem Maler, dass er mit Hammer und Akkubohrer die Wände streicht. 

Hat der Staat bessere Werkzeuge?

Ja, vor allem hat er mehr Werkzeuge. Mit LNG-Terminals wird die Gasknappheit bekämpft, mit dem Ausbau von Windkraftanlagen mehr günstiger Strom produziert und mit der Gas- und Strompreisbremse die Preise gesenkt. Sowohl gegen die Symptome als auch gegen die Ursache des Preisschocks kann die Regierung mehr machen. In der Eurozone sollte also nicht Lagarde für das zwei Prozent Inflationsziel verantwortlich sein, sondern die nationalen Regierungschefs, in Deutschland also Olaf Scholz.

Während Zentralbanken weiter Zinsen erhöhen, diskutiert man über Preisdeckel. Was halten Sie von diesen und wäre die Inflation weniger stark verlaufen, wenn man von Anfang an Preiskontrollen eingeführt hätte? 

Die Strom- und Gaspreisbremse kamen zu spät; das 9-Euro-Ticket und der Tankrabatt wurden zu früh beendet. Allerdings lassen sich nicht alle Preise kontrollieren, man sollte also den Gaspreisdeckel nicht auf den Supermarkt mit 20.000 verschiedenen Produkten anwenden. Über wichtige Einzelpreise wie Energie und staatliche Preiskomponenten wie Steuern kann die Regierung aber viel Einfluss nehmen. 

Die aktuelle Inflation kennt nicht nur Verlierer, sondern auch Gewinner. Manche sprechen sogar von einer »Gierflation«. Werden die hohen Preise vor allem durch Preisabzocken angetrieben?

Gier gibt es in einer Marktwirtschaft immer, wieso sollte sie jetzt die hohen Preise erklären? Außerdem lässt sich das bis heute nicht nachweisen, im Gegenteil: beim Großteil der börsennotierten Firmen in Deutschland sind die Margen 2022 geschrumpft. Natürlich wollen Firmen ihre Gewinne maximieren und legen höhere Einkaufspreise auf die Kunden um, aber das ist trivial. Die hohen Preise liegen in erster Linie an den Schocks durch Krieg und Pandemie, nicht an Gier. Und die großen Gewinner sind die, die Öl, Gas und Strom dank höherer Börsenpreise zu deutlich höheren Preisen verkaufen konnten; nicht der Aldi, nicht der Edeka und auch nicht Bäcker Lutze. 

Mittlerweile scheint auch die EZB davon zu sprechen, dass Profite die Inflation mit antreiben bzw. angetrieben haben.

Die EZB-Studie ist irreführend. Wenn die Materialkosten stärker steigen als die Löhne und die Firmen ihre Preise daran anpassen, dann steigen die Profite im Verhältnis zu den Löhnen, aber dadurch lässt sich die Inflation nicht erklären. Es stellt sich auch die Frage: Warum haben Firmen nicht schon vor den Schocks die Preise angehoben, um mehr Gewinne zu machen? Waren die da nicht gierig? Mit Gier kann man in einer Marktwirtschaft alles und nichts begründen. 

Sie sehen in der Inflation auch einen Verteilungskonflikt: Arme werden von der Inflation viel stärker belastet als Besserverdiener. Was könnte man tun, um Armen besser zu helfen?

Die Entlastungen müssten größer sein. Ich hätte 1.000 € statt 300 € Energiepreispauschale ausgeschüttet. Auch hätte ich ein 9-Euro-Ticket und den Tankrabatt für 12 statt 2 Monate eingeführt. Darüber hinaus hätte ich aber auch längst die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel und Bahnfahrten gestrichen. Insbesondere die letzten beiden Forderungen sind hochaktuell. Wer kam überhaupt auf die Idee, dass Grundnahrungsmittel, die ja jeder braucht, mit einer Steuer pauschal teurer gemacht werden sollen? Ist doch, mit Verlaub, zynisch bis schwachsinnig.

Sprechen wir kurz über den Bankensektor: Hat die Fed mit ihren Zinserhöhungen die Silicon Valley Bank in Schwierigkeiten gebracht?

Wichtig bei der Silicon Valley Bank ist, dass ihr nicht das Eigenkapital, sondern die liquiden Mittel ausgegangen sind. Sie hatte keine mehr, weil sie die Einlagen bei der Fed in langlaufende Staatsanleihen mit niedrigem Zins geparkt hatte. Diese hatten aber an Marktwert verloren, weil es für Guthaben bei der Fed und neue Anleihen längst viel mehr Zinsen gab als für die alten. Als dann eine große Panik ausbrach, zogen alle ihre Einlagen heraus und die Bank brach zusammen. In einem Beitrag auf P&Ö erkläre ich das ausführlicher. Auch die Frage, was man tun kann, um die Risiken neuer Finanzkrisen zu reduzieren, beantworte ich dort.

Kommen wir zum Schluss: Sie selbst sind ein Verfechter der Modern Monetary Theory. Was können wir von der MMT über die aktuelle Inflation lernen? 

Ziemlich viel, vor allem weil die MMT penibel darauf achtet, was die Ursache für höhere Preise ist. Die MMT führt zu besseren Diagnosen. Diese sind wiederum die Voraussetzung für eine bessere Inflationstherapie. Mit Blick auf unseren Finanzminister, der die Schuldenbremse zur Inflationsbremse verklärt, sind wir davon noch Lichtjahre entfernt. Leider. 

Vielen Dank für das Gespräch!